Hier können Sie einen oder mehrere Suchbegriffe eingeben, um gezielt Seiten zu finden die Ihren Suchwörtern entsprechen.

© 2024 Arbeitnehmerkammer Bremen

Schutz und Souveränität für Beschäftigte

Mehr Zeitsouveränität für Beschäftigte. In der Diskussion steht die Ausgestaltung der Arbeitszeit.

Welche Arbeitszeiten brauchen Beschäftigte heute? Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche werden vielerorts diskutiert. Unsere Beschäftigtenbefragung zeigt: Auch viele Bremer Beschäftigte würden ihre Arbeitszeiten gern reduzieren. Ohne Lohnausgleich ist dies für die meisten aber nicht machbar. Mehr Zeitsouveränität erleichtert es, Familie, Beruf und sonstiges Leben zu vereinbaren, sich weiterzubilden und die Gesundheit zu schützen. Fragen der Gestaltung von Arbeitszeiten und eine lebensphasenorientierte Arbeitszeit- und Personalpolitik werden daher immer wichtiger.

Mai 2024

Spielräume für mehr Flexibilität im Interesse der Beschäftigten

Die Beschäftigtenbefragung der Arbeitnehmerkammer macht deutlich: 53 Prozent der Beschäftigten sind unzufrieden mit ihrer Arbeitszeit. Während viele Vollzeitbeschäftigte eine Reduktion ihrer Arbeitszeit wünschen, würde knapp ein Viertel der Teilzeitbeschäftigten gern länger arbeiten. Von Arbeitgeberseite steht dem die Forderung nach längeren Arbeitszeiten und einer „Flexibilisierung“ von Arbeitszeiten gegenüber. Hier wird eine Reduktion notwendiger Ruhezeiten und die Möglichkeit zur Ausweitung täglicher Höchstarbeitszeiten gefordert. Bestehende Gestaltungsspielräume werden jedoch bisher bei Weitem nicht flächendeckend von den Betrieben genutzt.

Aus Perspektive der Beschäftigten eröffnen unter anderem Arbeitszeitkonten, bezahlte Freistellungen, Ansprüche auf Teilzeit mit Rückkehrrecht in Vollzeit oder Mobilarbeit sowie Homeoffice Gestaltungsspielräume für flexible Lösungen. Es geht um eine neue Zeitsouveränität, die auch unterhalb der gesetzlichen Regelungsebene in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zum Ausdruck kommt. Als nicht mehr zeitgemäß erachten Arbeitgeber die gültige Arbeitszeitgesetzgebung, sie verweisen dabei auf den demografischen und digitalen Wandel, vor allem aber auf den Fachkräftebedarf, der einer „Flexibilisierung“ der Ruhezeiten und der Lockerung bei der Höchstarbeitszeit bedürfe. Die unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen der Sozialpartnerinnen und -partner zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten sind in tarifvertraglichen und betrieblichen Vereinbarungen nicht einfach miteinander zu verbinden.

 

Die Forderungen und Positionen der Arbeitnehmerkammer zur Arbeitszeitpolitik finden Sie in diesem Positionspapier zum Download. Die Kurzfassung finden Sie hier.

Die Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung zu den Arbeitszeitwünschen der Bremer Beschäftigten finden Sie in dem KammerKompakt "Wunsch und Wirklichkeit: Arbeitszeit im Land Bremen" zum Download

 

Als nicht mehr zeitgemäß erachten Arbeitgeber die gültige Arbeitszeitgesetzgebung, sie verweisen dabei auf den demografischen und digitalen Wandel, vor allem aber auf den Fachkräftebedarf, der einer „Flexibilisierung“ der Ruhezeiten und der Lockerung bei der Höchstarbeitszeit bedürfe. Die unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen der Sozialpartnerinnen und -partner zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten sind in tarifvertraglichen und betrieblichen Vereinbarungen nicht einfach miteinander zu verbinden.

Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeit erhöhen die Anforderungen an die Selbstorganisation und bergen das Risiko, dass Grenzen zwischen Arbeits- und Ruhezeiten verwischen. Dies beeinträchtigt das gedankliche Abschalten von der Arbeit und damit die Erholung. Die Erfassung von Arbeitszeiten dient der Sicherstellung der Ruhezeiten und damit dem Gesundheitsschutz. Die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeit der einzelnen Beschäftigten auf Grundlage der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2019 und des BAG-Beschlusses von 2022 sollte zur Schaffung von Rechtssicherheit und zur Stärkung des Gesundheitsschutzes zügig in deutsches Arbeitszeitrecht umgesetzt werden.

Betriebe schöpfen ihre Möglichkeiten noch nicht aus

Bisher schöpfen viele Betriebe den im geltenden Arbeitszeitgesetz verankerten Spielraum einer flexiblen Gestaltung von Arbeitszeit ganz und gar nicht aus: Weniger als die Hälfte der Beschäftigten im Land Bremen können beispielsweise Gleitzeitregelungen in Anspruch nehmen, nur gut ein Drittel der Betriebe ermöglichen Arbeitszeitkonten. Dort, wo Schichtarbeit notwendig ist, fehlt es oft an der notwendigen Verlässlichkeit der Dienstpläne. Hier ist Luft nach oben für eine partizipative, flexible und verlässliche Gestaltung von Arbeitszeiten.

Regulierung der Arbeitszeit – eine lange Geschichte mit neuer Aktualität

Das Arbeitszeitgesetz ist eines der ältesten Arbeitsschutzgesetze. Die Sicherstellung von Belastungsgrenzen und Zeiten für Erholung ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erhalten bleibt. Meilensteine in der langen Tradition der Auseinandersetzungen um die Regulierung der Arbeitszeit waren etwa die Durchsetzung der 40-Stunden-Woche und des arbeitsfreien Samstags in den 1960er-Jahren und später die teilweise Einführung einer 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich. Diese Entwicklung folgte dem Leitbild eines männlichen Facharbeiters in stabiler, unbefristeter und tarifvertraglich abgesicherter Beschäftigung im traditionellen Normalarbeitsverhältnis (NAV) mit Kernarbeitszeiten zwischen 9 und 17 Uhr. Die Kehrseite davon erwies sich spätestens bei Ehe und Familiengründung in einer klaren Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern, mit dem männlichen Allein- oder Hauptverdiener im Mittelpunkt und der stark auf Familie und Haushalt orientierten Frau an seiner Seite, allenfalls als Zuverdienerin und ohne entlohnte Sorgearbeit.

Im Zusammenhang mit umfangreichen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen hat sich seit den 1990er-Jahren die Tendenz zur Arbeitszeitverkürzung umgekehrt, das Normalarbeitsverhältnis hat zugleich an Bedeutung verloren. In vielen Bereichen sind (wieder) Arbeitszeiten an oder gar über der 40-Stunden-Grenze zur Regel geworden. Die Frauenerwerbstätigkeit hat erheblich zugenommen, jedoch überwiegend in den Bereichen Teilzeit und Minijobs. Leiharbeit und Befristungen werden intensiver als Flexibilisierungsinstrumente genutzt. Die Erreichbarkeit außerhalb der eigentlichen Arbeitszeiten wird vielfach erwartet und oft nicht vergütet. In Bremen arbeiten gut fünf Prozent der Beschäftigten auf Abruf.

Vielfältige Bedarfe und ambivalente Entwicklungen

Die Bedarfe sind vielfältig. Daher muss es in den aktuellen Debatten um Arbeitszeiten nach wie vor auch um Fragen jenseits formaler Wochenarbeitszeiten, etwa um die Arbeitszeitgestaltung in besonderen Lebensphasen gehen. Auch die Frage nach der wirtschaftlichen Leistbarkeit für untere Einkommen muss hierbei in den Blick genommen werden. Die fortschreitende Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Beschäftigten sind ambivalent. Mobiles Arbeiten ermöglicht Souveränitätsgewinne, gleichzeitig steigen Ansprüche an eine permanente Erreichbarkeit, die zu einer Belastung für die Beschäftigten wird. Beschleunigter Strukturwandel, Automatisierungs- und Digitalisierungsschübe erfordern die Ausgestaltung niedrigschwelliger Weiterbildungsmöglichkeiten. Anreize für Betriebe und Beschäftigte, beispielsweise durch rechtlich verbriefte Freistellungansprüche, müssen geschaffen werden.

Vereinbarkeit als zentrales Gestaltungskriterium

Die Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Beruf muss auch aus diesen Gründen ein zentraler Bestandteil von „guter Arbeit“ und Arbeitszeitgestaltung werden. Jüngere Beschäftigte hinterfragen zunehmend das traditionelle Rollenverständnis und suchen gemeinsam nach Lösungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zudem nimmt die Tendenz zu, eine Familie nur durch zwei Einkommen finanzieren zu können. Rechtliche Anreize für eine geschlechtergerechte Teilhabe am Arbeitsmarkt und eine ebenso geschlechtergerechte Aufteilung der Sorgearbeit sind erforderlich, damit Freistellungsansprüche zum Zweck von Sorgearbeit eine stabile Arbeitsmarktintegration nicht (mehr) hemmen.

Zum Zoomen Mausrad oder Finger verwenden

KontaktAKB003_Icon-Kontakt

Dr. Kai Huter
Referentin für Arbeitsschutz- und Gesundheitspolitik

Am Wall 195
28195 Bremen

Tel.: 0421/36301-991
Fax: 0421/36301-995

E-Mail schreiben

Unsere Position zur Arbeitszeit AKB003_Icon-Download

Weitere Downloads AKB003_Icon-Download