Strukturschwächere Region und Menschen mit niedrigerem Einkommen und Bildungsstand gelten als anfälliger für autoritäre Einstellungen. All das finden wir auch im Land Bremen. Wie gefährdet sind wir hier?
Ich glaube, es gibt schon Unterschiede zwischen Bremen und peripheren Regionen im Erzgebirge. Es geht ja nicht nur um den wirtschaftlichen Wohlstand, sondern auch um die Angst vor den Veränderungsprozessen und die Infrastruktur. Das fängt schon beim Bäcker und dem Supermarkt und dem fehlenden Nahverkehr an. Das sind Erfahrungen und Entwicklungen, die natürlich auch in Bremen und Umgebung gemacht werden – aber die Unterschiede zwischen autoritären und weniger autoritären Einstellungen sind zwischen Ost und West auch gar nicht so groß. Ich glaube, man darf nicht übersehen, dass wir landesweit Gefahr laufen, unsere Demokratie selbst verächtlich zu machen.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein, gerade angesichts der Transformationsprozesse und der Probleme in der Daseinsvorsorge?
Es kommt darauf an, den Menschen ein Gefühl zu vermitteln, dass sie, aber auch die Politik handlungsfähig sind und dass man diese Transformationsprozesse gestalten kann. Sie müssen das Gefühl haben, beteiligt zu sein und nicht davon überrollt zu werden. Dann können Veränderungen sehr wohl auch positiv wahrgenommen werden. Gerade in den letzten Jahren ist die politische Debatte sehr stark davon geprägt, dass alles in der Krise ist. Hinzu kommen ideologische Barrieren wie etwa die Schuldenbremse, die Gestaltung erschweren. Transformation muss man gestalten, dafür braucht es Gestaltungswillen und die finanziellen Mittel. Die haben wir als sehr reiches Land. Wir müssen sie nur nutzen wollen.
Was kann man ihrer Ansicht nach als Beschäftigter tun, um sich für Demokratie einzusetzen?
Jeder kann aktiv werden, zum Beispiel in einer Partei oder Gewerkschaft oder anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch Betriebsräte unterstützen. Man kann mit den Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch kommen – auch das ist sehr wichtig, um zu verstehen, dass Demokratie etwas ist, das wir selber machen. Vielleicht vergessen wir das manchmal, weil wir so viel damit zu tun haben, unseren Alltag zu organisieren und uns vor all den Krisen schützen wollen oder davon etwas gelähmt werden. Es gibt auch in Ostdeutschland sehr viele, sehr tolle engagierte Menschen, und die muss man unterstützen.
Was können Betriebe und Betriebsräte ausrichten?
Es gibt natürlich Betriebsräte, die eher verwalten und Betriebsräte, die stärker gestalten. Da gibt es einen Spielraum, den kann man nutzen. Auch die Betriebe müssen verstehen, dass sie nur in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft wirklich erfolgreich Geschäfte machen können. Die AfD ist da eine echte Gefahr, auch für die Wirtschaft und die Gewinnung von Fachkräften und Auszubildenden. Umfragen zeigen, dass Sachsen oder Thüringen für junge Fachkräfte wegen der starken AfD-Ergebnisse nicht attraktiv sind – die Ergebnisse sind eine Katastrophe für diese Region. Denn diese Menschen werden gebraucht. Unternehmer können sich da stärker positionieren und demokratische Parteien unterstützen. Ich glaube, da sollten wir die bürgerschaftliche Identität wieder stärken und die Verteidigung der Demokratie als Bürgertugend wieder stärker in den Blick nehmen.
Datum: 27. August 2024
Grafik: Bremische Bürgerschaft
Foto: Universität Leipzig
Fragen: Jan Zier