Frauke Becker im Porträt in der Uni

Eine Brücke zum Studium

Arbeiterkind.de unterstützt und berät

Für Menschen aus Nicht-Akademikerfamilien ist der Weg zum Studium häufig mit Unsicherheiten verbunden. Die Initiative ArbeiterKind.de bietet praktische Hilfe und Orientierung vom Studienbeginn bis zum Berufseinstieg.

Text: Suse Lübker
Foto: Jonas Ginter
1. November 2024

Auf dem Foto: Frauke Becker

Studienfächer vergleichen, Bewerbungsunterlagen ausfüllen, Finanzierungsmöglichkeiten recherchieren, eine Wohnung in der Universitätsstadt suchen – viele Aufgaben warten auf diejenigen, die sich entschieden haben zu studieren. Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien sind dabei häufig auf sich gestellt. Ihre Eltern, die selbst nicht studiert haben, sind mit den Abläufen meist nicht vertraut und können kaum helfen. Manchmal halten sie ein Studium sogar für überflüssig und stehen den Plänen ihrer Kinder skeptisch gegenüber. Umso wichtiger ist es, dass die Jugendlichen in der Übergangszeit von der Schule zum Studium Ansprechpartner haben, die sich auskennen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Frauke Becker, Mitglied der Bremer Gruppe von ArbeiterKind.de, kennt diese Schwierigkeiten aus eigener Erfahrung. „Als Erste in meiner Familie zu studieren war nicht einfach. Mir fehlte oft die Unterstützung und das Verständnis von zu Hause“, erinnert sie sich. Das sei auch ein Grund gewesen, warum sie sehr lange studiert habe und immer wieder über neue Hürden gestolpert sei. So kam bis zu ihrem Abschluss aus dem Elternhaus regelmäßig die Frage, wann sie denn endlich fertig sei und ob es nicht besser ge­­wesen wäre, eine Ausbildung zu machen. Diese persönliche Geschichte zeigt gut, vor welchen Herausforderungen Menschen stehen. Heute engagiert sich Frauke Becker ehrenamtlich, um anderen den Weg zu ebnen und ihnen zu zeigen, dass ein Studium auch für sie erreichbar ist.

„Wir wissen aus der Forschung, dass Studierende ohne akademischen Hintergrund häufiger (und mehr) neben dem Studium arbeiten müssen als Kinder von akade­misch ausgebildeten Eltern, weil sie ihr Studium und ihren Lebensunterhalt absichern müssen“, ergänzt Jessica ­Heibült, Referen­tin für Bildungs- und Hochschulpolitik der Arbeitnehmer­kammer Bremen. Neben dem Workload eines Studiums sei das eine erhebliche Mehrbelastung, die dazu führen kann, dass Studierende länger brauchen, um ihr Studium abzuschließen.

„Studierende ohne akademischen ­Hintergrund müssen häufiger (und mehr) neben dem Studium arbeiten, weil sie Studium und Lebensunterhalt absichern müssen.“
Jessica Heibült

ArbeiterKind.de schließt diese Lücke und hilft Rat­suchenden bei organisatorischen und finanziellen Fragen. Über 6.000 Ehrenamtliche engagieren sich bundesweit in rund 80 lokalen ArbeiterKind.de-Gruppen. Diese Gruppen bieten nicht nur Informationen, sondern auch persönliche Unterstützung, die für viele Jugendliche von unschätzbarem Wert ist. Neben der persönlichen Beratung engagiert sich die Initiative auch in der Aufklärungsarbeit an Schulen oder auf Ausbildungsmessen. „Wir informieren über Studienmöglichkeiten, Finanzierungswege und räumen mit Vorurteilen auf“, sagt sie. „Es geht nicht darum, Werbung für ein Studium zu machen, sondern Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, die sich aus verschiedenen Gründen nicht trauen, aktiv zu werden.“

Praktische Hilfe im Studienalltag

In der Beratung beobachtet Becker, dass sich junge Menschen oft hin- und hergerissen fühlen zwischen dem Wunsch nach einem Studium und dem fehlenden Verständnis der Eltern. „Menschen aus Nicht-Akademikerfamilien wählen häufig Studien­gänge wie Medizin oder Jura – Berufe, die in der Gesellschaft bekannt und anerkannt sind“, erklärt sie. „Das ist ein Versuch, die Kluft zwischen der akademischen Welt und dem vertrauten Umfeld der Eltern zu überbrücken.“ Diese Dynamik führt oft zu inneren Konflikten, da die Jugend­lichen versuchen, die Erwartungen der Eltern zu erfüllen und gleichzeitig ihre eigenen Träume und ­Ambitionen verfolgen.

Selbstzweifel trotz Erfolg: das Impostor-Syndrom

Viele Arbeiterkinder kämpfen auch nach erfolgreichem Studien­abschluss und Berufseinstieg mit Selbstzweifeln. ­Dieses als „Impostor-Syndrom“ bekannte Phänomen ist unter Arbeiterkindern besonders verbreitet. Diese Ängste sind nicht nur emotional belastend, sondern können auch die berufliche Entwicklung behindern. Die Betroffenen schreiben ihre Erfolge häufig äußeren Umstände wie Glück oder Zufall zurück, anstatt ihre eigenen Fähigkeiten anzuer­kennen. Dies kann zu übertriebenem Perfektionismus und ständigen Selbstzweifeln führen. Gleichzeitig entwickeln viele Arbeiter­kinder im Studium einen besonderen Ehrgeiz. Becker erinnert sich an ihre eigene Studienzeit: „Während andere eher entspannt waren, habe ich an allen Veran­staltungen teilgenommen, nichts war selbstverständlich. Ich hatte das Gefühl, mich beweisen zu müssen.“

„Mir fehlte oft die Unterstützung und das Verständnis von zu Hause.“
Frauke Becker hat als Erste in ihrer Familie studiert

Becker ermutigt die Ratsuchenden, sich aktiv um ihre Zukunft zu kümmern: „Wenn sie etwas haben, wofür sie sich begeistern, sollten sie sich unbedingt informieren, ­welche Studiengänge dazu passen und wo diese angeboten werden.“ Außerdem sei es wichtig, sich frühzeitig um Bewerbungen und Wohnmöglichkeiten zu kümmern und sich über die Angebote der Uni zu informieren, zum Beispielsweise über das Studierendenwerk. Um diese Herausforderungen zu meistern, ist ArbeiterKind.de eine wichtige Anlaufstelle.

Ausblick: Chancengleichheit in der Bildung

ArbeiterKind.de leistet einen wichtigen Beitrag zur Chancen­gleichheit im Bildungssystem. Die Initiative zeigt, dass mit der richtigen Unterstützung und Information viele Hürden überwunden werden können. Das Ziel der Initiative ist es, jedem jungen Menschen, unabhängig von seiner Herkunft, die Möglichkeit zu bieten, seinen Bildungsweg selbst zu bestimmen. „Dieser wertvolle Beitrag zur Chancengleichheit sollte auch politisch gewürdigt werden“, fordert ­Jessica ­Heibült. „Mit finanzieller Unterstützung durch das Land könnte die Bremer Gruppe von ArbeiterKind.de mehr Studie­rende und Studieninteressierte erreichen und fördern.“