Mercedees Dergetz steht in einem Raum mit Hausskulpturen und schaut nach oben in die Kamera

Neue Perspektiven

Warum politische Bildung unverzichtbar ist

Politische Weiterbildung in Bremen bietet vielfältige Möglichkeiten für Arbeitnehmer*innen – von Abendseminaren über Wochenendkurse bis hin zur gesetzlich verankerten Bildungszeit. Sie alle tragen dazu bei, sich aktiv an gesellschaftlichen Diskussionen zu beteiligen.

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Mercedes Dargatz hat an einer Bildungszeit zum Thema „Arm und Reich“ teilgenommen. Die Heilpädagogin arbeitet in der Kinderförderung bei der Diakonie im Bremerhavener Stadtteil Lehe und erlebt dort hautnah, wie sich soziale Probleme verschärfen. In dem Seminar erweiterte sie ihr Wissen über soziale Ungleichheit und lernte Projekte zur Armutsbekämpfung kennen. „Ich bin sensibler geworden für das Thema und kann mein Wissen jetzt im Team weitergeben“, sagt sie.

Text: Suse Lübker
Fotos: Jonas Ginter
1. Mai 2025

Politische Bildung gewinnt in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche und Herausforderungen immer mehr an Bedeutung. Gerade für Arbeitnehmende bietet sie die Möglichkeit, sich aktiv mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen und den eigenen Horizont zu  erweitern. Sie fördert nicht nur das Verständnis für gesellschaftliche und politische Zusammenhänge, sondern ermöglicht, die eigene Stimme in wichtigen Diskussionen und Entscheidungen zu erheben. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann politische Bildung auch dazu beitragen, die Kompetenzen der Beschäftigten zu erweitern und sie so für neue Aufgaben zu qualifizieren.

„Gerade die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven hilft dabei, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen und im Berufsalltag selbstbewusster zu agieren.“
Asmus Nitschke, Bildungsreferent bei der wisoak

Vielfältige Angebote für jedes Interesse

Die Bremer Bildungslandschaft bietet ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur politischen Weiterbildung. Neben der wisoak (Wirtschafts- und Sozialakademie) sind auch die Volkshochschule Bremen und Bremerhaven, politische Stiftungen sowie kirchliche Bildungsträger aktiv. Die Formate reichen von mehrtägigen Seminaren über Abendkurse und Wochenend-workshops bis hin zu digitalen Angeboten, die flexibel wahrgenommen werden können. Eine besondere Möglichkeit ist die Bildungszeit, die es Beschäftigten ermöglicht, sich bei vollem Gehalt weiterzubilden. Das Themenspektrum rund um politische Bildung reicht von lokalpolitischen Fragen über globale Zusammenhänge bis hin zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten. Denkbar sind beispielsweise Kurse zu Nachhaltigkeit und ökologischem Wandel, europäischer Politik, 
Demokratie und Menschenrechten oder auch Medienkompetenz und dem Umgang mit Desinformation.

Besonders gefragt sind bei der wisoak derzeit Kurse mit lokalem Bezug, etwa zur Geschichte Bremens oder zur Verkehrspolitik, aber auch Seminare zu technologischen Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz.

Orientierung in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche

Aktuell stehen wir als Gesellschaft vor großen Herausforderungen, die den Arbeitsalltag in Bremen direkt beeinflussen. Politische Debatten werden zunehmend polarisierter, demokratiefeindliche Kräfte gewinnen an Bedeutung, und die komplexen Folgen von Digitalisierung und Klimawandel betreffen uns alle – ob im Hafen, in der Produktion, im Büro oder im Dienstleistungssektor. „Viele Beschäftigte spüren eine Verunsicherung angesichts dieser Entwicklungen“, beobachtet Asmus Nitschke. Der Bildungsreferent ist bei der wisoak für den Bereich politisch-kulturelle Bildung zuständig. „In unserer Gesellschaft und in der Arbeitswelt geschehen nahezu täglich so viele Veränderungen, dass die Menschen unbedingt Orte und Zeiten brauchen, um Schritt zu halten und diese Veränderungen zu verarbeiten.“ Gerade die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven hilft dabei, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen und im Berufsalltag selbstbewusster zu agieren. In den mehrtägigen Seminaren rund um politische Bildung findet genau diese Auseinandersetzung statt. Man merke schon nach kurzer Zeit, so Nitschke, dass die Menschen in den Kursen differenzierter auf Problemlagen blicken.

Bildungszeit: Wertvolles Recht für Beschäftigte

Eine besondere Form der Weiterbildung ist die Bildungszeit. Seit 1975 haben alle Beschäftigten im Land Bremen einen Rechtsanspruch auf zehn Tage Weiterbildung innerhalb von zwei Jahren bei vollem Gehalt. Diese Regelung ermöglicht auch denjenigen die Teilnahme an Weiterbildungsangeboten, die sich längere Seminare sonst nicht leisten könnten.

„Man lernt Menschen kennen, die ein gemeinsames Interesse haben. Oft entstehen daraus Netzwerke – das allein lohnt sich schon.“
Andrea Immoor, Teilnehmerin

Allerdings macht in Bremen, wie auch in anderen Bundesländern, nur eine Minderheit Gebrauch von dieser Möglichkeit, berichtet Asmus Nitschke. Für Jessica Heibült, Referentin für Bildungs- und Hochschulpolitik bei der Arbeitnehmerkammer, gibt es viele Gründe, warum so wenige Beschäftigte das Angebot nutzen: „Aus unserer eigenen Beschäftigtenbefragung wissen wir, dass vor allem Unwissenheit eine große Rolle spielt.“ So hat rund ein Viertel der Beschäftigten noch nie etwas von einem Anspruch auf Bildungszeit gehört. Zudem fehle es an Offenheit und einer entsprechenden Weiterbildungskultur in den Betrieben: „Gut 40 Prozent der Beschäftigten gehen davon aus, dass die Teilnahme in ihrem Betrieb nicht akzeptiert wird, und knapp 15 Prozent sagen sogar, dass sich ihr Arbeitgeber aktiv gegen die an einer Bildungszeit ausspricht“, ergänzt Heibült.
Ein Problem sei auch, dass Mitarbeiter*innen in kleinen Betrieben mit Fachkräftemangel oft nicht entbehrlich sind. „Gerade bei gut gefüllten Auftragsbüchern fällt es den Menschen schwer, von ihrem Recht Gebrauch zu machen. Denn das ist weder im Team noch bei den Vorgesetzten gut angesehen“, ergänzt Asmus Nitschke. Einerseits verständlich, andererseits bereichert die Bildungszeit nicht nur den Einzelnen, sondern stärkt soziale Kompetenzen ebenso wie die seelische und körperliche Gesundheit – ein Gewinn auch für Unternehmen. Gerade in der heutigen Zeit, in der viele Menschen Informationen nur sehr oberflächlich konsumieren, sei es für die Demokratie überlebenswichtig, dass sich Menschen mit aktuellen Themen intensiv auseinandersetzen, sagt Nitschke. „Wenn ich das vor meinem Arbeitgeber rechtfertigen muss, dann ist das kein gutes Zeichen!“

Mehrwert für Beruf und Gesellschaft

Mercedes Dargatz hat diese Möglichkeit genutzt und im Herbst 2023 an einer fünftägigen Bildungszeit zum Thema „Arm und Reich“ teilgenommen. Die Heilpädagogin arbeitet in der Kinderförderung bei der Diakonie im Bremerhavener Stadtteil Lehe und erlebt dort hautnah, wie sich soziale Probleme verschärfen. „Für mich ist Armut ein ganz brisantes Thema. Eigentlich darf es das in Deutschland nicht geben, dass bei 
vielen Menschen und vor allem auch Kindern nicht einmal die existenziellen Bedürfnisse erfüllt sind“, sagt sie. In dem Seminar erweiterte sie ihr Wissen über soziale Ungleichheit und lernte Projekte zur Armutsbekämpfung kennen. „Ich bin sensibler geworden für das Thema und kann mein Wissen jetzt im Team weitergeben.“

„Politische Bildung vermittelt Wissen, fördert kritisches Denken und ermutigt zur aktiven Teilhabe. Umso wichtiger ist es, dass mehr Menschen Zugang zu politischer Bildung erhalten.“
Jessica Heibült, Referentin für Bildungs- und Hochschulpolitik bei der Arbeitnehmerkammer

Beenhard Oldigs bietet als Dozent regelmäßig Kurse zur politischen Bildung an. Sein Seminar zum Thema Kommerzialisierung und Fußball“ hat „Wartelisten ohne Ende“, berichtet er. Der Erfolg liegt auch daran, dass er bekannte Referent*innen einlädt, die aus ihrem Alltag berichten. Erfreulich findet Oldigs, dass zunehmend auch jüngere Menschen teilnehmen und sich das Publikum diversifiziert: „Während früher hauptsächlich Beschäftigte aus dem Hafen oder den Bremer Großbetrieben teilnahmen, ist jetzt auch mal eine Bankangestellte dabei.“
Der persönliche Nutzen politischer Bildung geht weit über das reine Fachwissen hinaus. Andrea Immoor, Sachgebietsleiterin beim Magistrat der Stadt Bremerhaven, schätzt besonders die sozialen Aspekte: „Man lernt Menschen kennen, die ein gemeinsames Interesse haben. Oft entstehen daraus Netzwerke – das allein lohnt sich schon.“ Immoor nimmt regelmäßig an Seminaren teil, die Themen behandeln, mit denen sie sonst wenig Berührung hat, etwa globaler Welthandel oder Wassergewinnung. Besonders die Exkursionen begeistern sie: „Wir kommen an Orte, die wir privat nie besuchen würden, etwa zu den Seenotrettern oder in die ehemalige Kaffee-HAG-Fabrik.“

Demokratie braucht Beteiligung – politische Bildung als Wegbereiter

In einer Zeit, in der demokratische Grundwerte zunehmend infrage gestellt werden, ist jede einzelne Stimme wichtig. Doch nur wer informiert ist, kann sich wirkungsvoll einbringen. Politische Bildung schafft dafür die notwendigen Voraussetzungen – sie vermittelt Wissen, fördert kritisches Denken und ermutigt zur aktiven Teilhabe. Jessica Heibült betont: „Umso wichtiger ist es, dass mehr Menschen Zugang zu politischer Bildung erhalten. Dafür müssten wir – gemeinsam mit den Arbeitgebern – mehr für diese Angebote werben, aufklären und das Bewusstsein für die Bedeutung politischer Weiterbildung stärken. Auch Betriebsräte 
können dazu beitragen, dass sich die Weiterbildungskultur in Betrieben insgesamt positiv entwickelt.“

Die hier vorgestellten Angebote in Bremen sind mehr als nur Wissensvermittlung – sie sind ein wichtiger Baustein für eine lebendige Demokratie. Die Erfahrungsberichte der Teilnehmenden zeigen, dass der 
Gewinn sowohl persönlich als auch beruflich spürbar ist.

„Politische Bildung ist ein Schlüssel zur aktiven Teilhabe an unserer Demokratie“, fasst Nitschke zusammen. „Jede*r sollte die Chance nutzen, sich Zeit dafür zu nehmen – denn schon wenige Stunden können den Blick auf die Welt und den eigenen Berufsalltag nachhaltig verändern.“

 

 

 

 

Kommentar von Jessica Heibült, Referentin für Bildungs- und Hochschulpolitik der Arbeitnehmerkammer Bremen AKB_Icon_Comment2

Weiterbildungsförderung erhöhen – politische Bildung stärken!

Politische Bildung stärkt demokratische Werte und spielt eine zentrale Rolle beim Umgang mit komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen. In ihren Programmen setzt sie auf Reflexion, Aufklärung und 
Emanzipation. Diese Prozesse sind für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft ein wertvolles Gut. Sie brauchen Zeit und eine angemessene finanzielle Ausstattung. 


Die politische (Erwachsenen-)Bildung profitiert verhältnismäßig stark von der Weiterbildungsförderung nach dem Bremischen Weiterbildungsgesetz, da sie – aufgrund ihrer hohen gesellschaftlichen Bedeutung – anteilig höher bezuschusst wird. Doch die öffentlichen Ausgaben für die Weiterbildung sind in den letzten 20 Jahren um 32 Prozent gesunken. Diese chronische Unterfinanzierung beeinflusst schon jetzt die Angebotsbreite sowie die heterogene und plurale Anbieterlandschaft negativ. Das muss sich dringend ändern!