Nahansicht eines Augenpaares hinter einer Brille

Wenn der Job zur Last wird

Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz

Immer mehr Beschäftigte leiden unter Depressionen oder ­Erschöpfungszuständen. Wie können Unternehmen ­unterstützen und an wen können sich Beschäftigte wenden, wenn sie in eine Krise geraten?

Text: Suse Lübker
Foto: Jonas Ginter
1. Januar 2025

Eine Kollegin wirkt über längere Zeit sehr erschöpft, ein Kollege zieht sich immer mehr zurück, ein anderer reagiert schnell aggressiv – all das sind Verhaltensänderungen, die auf psychische Erkrankungen wie Depressionen, Erschöpfungssyndrome oder Angststörungen hinweisen können. Solche Symptome belasten nicht nur die Betroffenen, sondern auch das gesamte Arbeitsklima.

Der Psychreport 2024 der DAK Gesundheit zeigt, dass in Bremen die Fehltage aufgrund psychischer Leiden in den letzten zehn Jahren um mehr als 45 Prozent gestiegen sind. Besonders betroffen sind Beschäftigte, die viel mit Menschen zusammenarbeiten, wie Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder Fachkräfte in der Altenpflege. Hier liegen die psychisch bedingten Fehlzeiten mit 5,2 Tagen pro Kopf 41 Prozent über dem Durchschnitt aller Branchen.

„Psychische Erkrankungen sind in der Arbeitswelt immer noch stark tabuisiert und stigmatisiert.“ 
Monika Möhlenkamp, Arbeit im Fokus

Offener mit dem Thema umgehen

Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz haben selten nur eine Ursache. Wer privat belastet ist, reagiert oft stärker auf Probleme am Arbeitsplatz. Und wenn sich die Arbeit aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels auf immer weniger Schultern verteilt, kann das Risiko für psychische Erkrankungen steigen. Stress, Zukunftsängste und unklare Aufgaben können den Druck erhöhen. Gerade in emotional fordernden Berufen entsteht so schnell ein Teufelskreis.

Psychische Erkrankungen sind in der Arbeitswelt immer noch stark tabuisiert und stigmatisiert, erklärt Monika Möhlenkamp, Projektleiterin bei „Arbeit im Fokus“, einem Beratungsprojekt für Menschen in psychisch belastenden Lebenssituationen. Viele Betroffene ziehen sich zurück, anstatt über ihre Probleme zu sprechen. „Betroffene haben meist große Angst vor den Reaktionen von Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen, wenn sie offen über ihre Erkrankung sprechen. Angst davor, in eine Schublade gesteckt zu werden oder auch Angst davor, dass die Krankheit Karrieresprünge verhindert“, ergänzt Möhlenkamp. Das ändere sich nur, wenn offener mit dem Thema umgegangen werde.

„Was brauchst du, um gut arbeiten zu können?“

Um dem Problem begegnen zu können, braucht es also eine offene Gesprächskultur im Betrieb. Damit fällt es den Kolleginnen und Kollegen und auch den Führungskräften leichter, mit dem Thema umzugehen. Entscheidend sei, so Möhlenkamp, nicht gleich die Schwierigkeiten anzusprechen, sondern mit einer guten Frage ins Gespräch zu kommen. „Was brauchst du, um gut arbeiten zu können?“ – mit dieser zentralen Frage binde man die Betroffenen mit ein, statt ihnen fertige Lösungen anzubieten.

„Betroffene sollten sich ­frühzeitig Hilfe holen und sich informieren, wer ­Unterstützung leistet – das hat mir sehr geholfen.“
Mathias Zink*

Ähnlich sieht es auch Dennis Wernstedt, Referent für Mitbestimmung und Technologieberatung bei der Arbeitnehmerkammer: „Es braucht im Unternehmen eine Betriebskultur des gesunden Arbeitens“, so Wernstedt. Dazu gehöre ein sicherer Rahmen, in dem Beschäftigte offen über ihre Belastungen oder Einschränkungen sprechen können – ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Regelmäßige Feedbackgespräche und anonyme Befragungen helfen den Beschäftigten, ihre Anliegen zu äußern und geben den Führungskräften wertvolle Einblicke in das Wohlbefinden der Belegschaft. Für solche Themen müsse ein Bewusstsein geschaffen werden.

Dazu gehöre auch, so Wernstedt, dass auf Betriebsversammlungen interne Hilfsangebote vorgestellt werden und der Betriebsrat sich als Ansprechpartner ins Spiel bringt. Vor allem aber sei es wichtig, dass die Führungskräfte diese Kultur vorleben. Eine offene Unternehmenskultur, die das Thema psychische Gesundheit enttabuisiert, kann diese Hürden abbauen und ein unterstützendes Umfeld schaffen, in dem Beschäftigte Hilfe finden.

Unterstützung im Betrieb

An wen können sich Betroffene wenden, wenn die psychischen Belastungen zunehmen? Dennis Wernstedt rät, sich möglichst frühzeitig Freunden oder Verwandten anzuvertrauen, bevor die Beschwerden schlimmer werden. Das können auch Kolleginnen und Kollegen im Betrieb sein. In den meisten Betrieben gibt es auch Anlaufstellen für Betroffene. Das können der Betriebsrat, die Personalabteilung oder die Gleichstellungsbeauftragte sein – sie alle unterliegen der Schweigepflicht. Manche Unternehmen arbeiten mit externen Sozialberaterinnen und -beratern zusammen, an die sich Beschäftigte ebenfalls wenden können. Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen am Stück oder auch mit Unterbrechungen krankgeschrieben, muss der Arbeitgeber ihnen ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten. Die Teilnahme an dem Verfahren ist freiwillig für die Beschäftigten. In diesem Findungsprozess geht es darum, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen, erklärt Wernstedt. So können Aufgaben umverteilt oder Arbeitsplätze so umgestaltet werden, dass sich die Mitarbeitenden besser konzentrieren können.

„Es braucht im ­Unternehmen eine Betriebskultur des gesunden Arbeitens.“
Dennis Wernstedt, Arbeitnehmerkammer

Betriebliche Verantwortung: Erkrankungen frühzeitig erkennen

Arbeitgeber tragen auch per Gesetz eine entscheidende Verantwortung für die Gesundheit ihrer Beschäftigten. Ein wirksames Instrument, um das psychische Wohlbefinden zu fördern, ist die Gefährdungsbeurteilung, die im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verankert ist. Mit ihrer Hilfe lassen sich Gefährdungen frühzeitig erkennen und Arbeitsbedingungen gezielt verbessern. Seit 2013 sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, dabei auch psychische Belastungen zu berücksichtigen. „Ein guter Arbeitsschutz kann psychischen Erkrankungen durchaus vorbeugen“, sagt Dennis Wernstedt. Vor allem dann, wenn jemand im Job stark belastet ist, hilft es, wenn der Betrieb präventive Maßnahmen anbietet, die für Entlastung sorgen – zum Beispiel flexible Arbeitszeiten oder Schulungen zur Stressbewältigung. In der Praxis setzen viele Betriebe diese Forderung jedoch nur zögerlich um. Nur etwa 20 Prozent der Unternehmen erfassen bisher systematisch die psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz. Krankmachende Einflüsse können aber nur dann reduziert werden, wenn sie frühzeitig erkannt werden.

Externe Unterstützungsangebote

Neben den Angeboten in den Betrieben gibt es verschiedene Beratungsstellen für Beschäftigte mit psychischen Erkrankungen. Dazu zählt auch das oben genannte Angebot „Arbeit im Fokus“ der Initiative zur sozialen Rehabilitation e. V. Die Beratungsstelle hilft Betroffenen, individuelle Lösungen für den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erarbeiten. Besonders wertvoll ist dabei, dass neben Coaches auch Peerberaterinnen und -berater die Klientinnen und Klienten unterstützen. Diese haben selbst Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen. Zusätzlich sensibilisiert die Initiative Arbeitsvermittlerinnen und -vermittler, Kooperationspartnerinnen und -partner und Arbeitgeber für das Thema psychische Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz. In Seminaren werden Unsicherheiten und Stigmatisierungen thematisiert, um einen offenen Austausch zu fördern und Verständnis für die Bedürfnisse psychisch erkrankter Beschäftigter zu schaffen. arbeitimfokus.de

Das Berufsförderungswerk Friedehorst unterstützt Menschen, die nach einer psychischen Erkrankung beruflich wieder durchstarten wollen, mit verschiedenen Maßnahmen. Dazu gehören zum Beispiel berufliche Trainings oder auch die Vermittlung geeigneter Arbeitsplätze.

Weitere Infos:

Die folgenden Stellen sind zwar nicht ausschließlich auf Beschäftigte mit psychischen Erkrankungen spezialisiert, können aber dennoch wertvolle Unterstützung und Beratung in psychischen Krisensituationen bieten:

  • Der Klinikverbund Gesundheit Nord sowie die freien Kliniken in Bremen bieten verschiedene offene Angebote in den Tageskliniken für diejenigen, die noch keinen Psychotherapieplatz gefunden haben. 
  • Das Jobcenter Bremen unterstützt Menschen in schwierigen Lebenslagen und hilft bei Sucht oder psychischen Erkrankungen.
  • Das psychNAVI der Stadt Bremen ist ein Onlineangebot, das Unterstützungsangebote für Menschen mit psychischen Problemen übersichtlich auflistet und eine gezielte Suche nach Bedürfnissen, Zielgruppen und Stadtteilen bietet.
  • Sozialpsychiatrischer Dienst/Gesundheitsamt Bremen: Fünf regionale Beratungsstellen (Süd, Mitte, West, Ost, Nord) für erwachsene psychisch kranke und suchtkranke Menschen.

    Mathias Zink* hat einen steinigen Weg hinter sich, bis er nach ­langer Arbeitslosigkeit wieder einen Job findet. Der gelernte Hotelfachmann wird während der Corona-­Zeit entlassen: Das Hotel, in dem er 20 Jahre gearbeitet hatte, geht in Konkurs. Zink schreibt an die 50 Bewerbungen, bevor er endlich eine Stelle ­findet. „Genau dann ­gingen die Angstzustände los“, erzählt Zink, „ich war nicht in der Lage, den Job anzutreten.“ Er sucht Hilfe, wird für mehrere Wochen in eine psychiatrische Tagesklinik eingewiesen. Die Diagnose: Depression und Angst­störungen. Im Nach­hinein ist ihm klar, dass einfach zu viel zusammenkam: die plötz­liche Kündigung, die Arbeitslosigkeit und die lange Jobsuche. Nach einer länge­ren Reha-Phase, verschiedenen Fördermaßnahmen von der Stiftung Friede­horst und zwei Praktika geht es ihm deutlich besser.

    Schließlich gelingt ihm der Wieder­­einstieg: Seit 15 Monaten ar­­beitet er in seinem alten Beruf als Rezeptionist, zunächst als Prakti­kant, dann festangestellt. Weder sein Arbeitgeber noch seine Kolleg­innen und Kollegen wissen von ­seiner psychischen Erkrankung. „Wenn mich jemand fragt, sage ich, dass ich aus einer Rehamaßnahme komme“, erklärt Zink. Er vermutet, dass nicht jeder Verständnis hätte und gut damit umgehen würde. Offen über das Thema sprechen zu ­können wäre wünschenswert und hätte seinen Einstieg erleichtert. „In der Anfangszeit war es sehr schwer und anstrengend für mich. Ich habe mich da irgendwie durchgekämpft, ohne die Unterstützung meiner Kollegen hätte ich es nicht so gut geschafft“, ergänzt Zink.

    Betroffenen empfiehlt er, sich frühzeitig Hilfe zu holen und sich zu informieren, wer Unter­stützung ­leistet – das habe ihm sehr ge­­holfen.

    * Name von der Redaktion geändert