Nur knapp 14 Prozent der Führungsstellen im öffentlichen Dienst werden in Teilzeit ausgeübt. Dabei könnten sich mehr Beschäftigte eine Chefposition mit reduzierter Stundenzahl vorstellen. Der Bremer Finanzsenator hat deshalb ein Pilotprojekt angestoßen.
Text: Insa Lohmann
Fotos: Kay Michalak
Es ist Montagmorgen. Hilke Wiezoreck und Astrid Becker haben sich für eine Videokonferenz verabredet. „Was denkst du darüber?“ – das ist eine der häufigsten Fragen, die sich die beiden Mitarbeiterinnen des Landesinstituts für Schule Bremen (LIS) stellen.
Die Frauen teilen sich eine Führungsstelle – in Teilzeit. Ein bislang eher ungewöhnliches Konzept. Initiiert wurde das Modellprojekt vom Bremer Finanzsenator, um mehr Menschen für eine Chefposition in Teilzeit zu begeistern. In Bremens öffentlichem Dienst werden bislang nur knapp 14 Prozent der Führungsstellen in Teilzeit ausgeübt. An dem Pilotprojekt, das im Herbst 2020 gestartet ist, nehmen fünf Paare teil. Ende des Jahres läuft das Projekt aus, dann soll es einen Bericht mit den Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geben.
„Ein gemeinsames Führungsverständnis ist elementar.“
Astrid Becker
Noch sind Hilke Wiezoreck und Astrid Becker die Ausnahme in ihrer Behörde – und auch sonst. „Ich kenne keine Frau, die in Teilzeit führt“, sagt Wiezoreck. Die gelernte Juristin und Berufsschullehrerin kümmert sich am Landesinstitut für Schule um Personalentwicklung und Fortbildungen für Führungskräfte – anfangs alleine. Inzwischen teilt sie sich den Bereich mit der Grundschullehrerin Astrid Becker.
Als sich durch das Projekt des Finanzsenators die Möglichkeit ergab, sich die Leitungsstelle mit reduzierter Arbeitszeit zu teilen, mussten die beiden Frauen nicht lange überlegen. „Ich habe einen Sohn, da ist es einfach schön, wenn ich da bin“, sagt Becker. Bei Hilke Wiezoreck spielte neben privaten Gründen auch der konkrete Wunsch nach einer geteilten Leitung eine Rolle: „Mir macht es Spaß, gemeinsam zu arbeiten. Ich arbeite gerne im Team“, sagt Wiezoreck. „Leitung macht oft einsam.“
Hilke Wiezoreck und Astrid Becker arbeiten jeweils 32 Stunden in der Woche – Becker kümmert sich verstärkt um Vormittagstermine, Wiezoreck um Verpflichtungen am Nachmittag. Doch welche Faktoren sind entscheidend, damit solch ein Modell funktioniert? „Ein gemeinsames Führungsverständnis ist elementar“, sagt Astrid Becker. „Es ist wichtig, eigene Stärken und Schwächen zu reflektieren und Dinge sofort anzusprechen“, ergänzt Hilke Wiezoreck. Die beiden Frauen haben feste Zeiten für Absprachen. „Diese Zeit ist uns heilig“, sagt die Berufsschullehrerin. Auch ein gemeinsames Auftreten nach innen und außen sei wichtig – es gibt gemeinsame Visitenkarten und eine einheitliche E-Mail-Signatur.
„Es ist wichtig, eigene Stärken und Schwächen zu reflektieren und Dinge sofort anzusprechen.“
Hilke Wiezoreck
Zudem sei klar geregelt, wer welche Verantwortlichkeiten trage und wann ansprechbar sei. Für Hilke Wiezoreck und Astrid Becker ist die geteilte Führung bisher ein Erfolgsmodell: „Es vereint Work-Life-Balance, die Förderung von Frauen und den Wunsch von Menschen, die gerne in Teilzeit arbeiten möchten, sehr gut“, sagt Hilke Wiezoreck. „Allerdings ist eine geteilte Führung kein Garant dafür, dass es klappt – es braucht klare Rahmenbedingungen.“
Das bestätigt auch Arbeitnehmerkammer-Geschäftsführerin Elke Heyduck: „Geteilte Führung umzusetzen, ist sicherlich kein Kinderspiel. Es bedarf klarer Absprachen und vor allem müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, woran sie sind.“ In der Hansestadt liegt der Anteil der Teilzeitbeschäftigten bei 30 Prozent – 74,3 Prozent sind weiblich, 25,7 männlich.
Die Gründe, warum Beschäftigte sich bewusst für eine Teilzeitstelle entscheiden, sind vielfältig: Kinder, pflegebedürftige Eltern oder der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance. „Geteilte Führung ist eine Chance für Männer und Frauen, die neben dem Job noch andere Pflichten zu erledigen haben – und die deswegen nicht auf den nächsten Karriereschritt verzichten wollen“, sagt Heyduck.
Bislang sei das Modell der geteilten Führung hierzulande wenig vertreten, wie der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Marco Zimmer weiß: „Job-Sharing macht in Deutschland rund 15 Prozent aus.“ Länder wie Großbritannien oder der skandinavische Raum seien deutlich weiter. „Damit dieses Konzept funktionieren kann, muss man sich vom 24/7-Chef verabschieden“, so der Experte.
„Damit dieses Konzept funktionieren kann, muss man sich vom 24/7-Chef verabschieden.“
Marco Zimmer
In vielen Branchen gebe es die Erwartungshaltung, dass eine Führungskraft ständig erreichbar sein müsse, sagt Marco Zimmer, der als wissenschaftlicher Direktor am ipo Institut für Personal & Organisationsforschung der Hochschule für Oekonomie & Management arbeitet. Grundsätzlich sei das Modell für jede Behörde und jedes Unternehmen geeignet, „aber es ist ein gewisser Grad an Bürokratie wichtig“, ist Zimmer überzeugt. Klare Rollenzuweisungen, feste interne Strukturen, Unterstützung der Chefetage, Akzeptanz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie eine organisatorische Trennung seien wichtige Voraussetzungen.
Noch immer ist es vor allem für Frauen schwierig, eine Führungsposition in Teilzeit zu finden. „Diese Hürde darf es nicht geben“, findet die Bremer Psychologin Bärbel Reimann. Reimann und ihre Kollegin Anni Nottebaum teilen sich eine Führungsstelle bei der Landesbeauftragten für Frauen – ebenfalls im Rahmen des Bremer Modellprojekts.
Es gibt klare Verantwortlichkeiten: Während die Juristin Nottebaum sich um Rechts- und Grundsatzfragen kümmert, ist Reimann für Fachthemen wie Arbeitsmarktpolitik zuständig. Sie sind überzeugt: Das Modell verbessert die Qualität der Arbeit. „Zu zweit sind wir ganz anders unterwegs“, berichtet Reimann, die die Stelle zuvor vier Jahre alleine geleitet hat. Für die beiden Frauen ist das Projekt eine Chance: „Auf eine volle Leitungsstelle hätte ich mich nicht beworben“, sagt Anni Nottebaum. Sie fordert: „Der Arbeitsmarkt muss umdenken. Frauen haben immer noch nicht die gleichen Aufstiegschancen.“