Betriebskantinen haben es schwer seit der Corona-Pandemie, viele Angestellte sind ins Homeoffice verschwunden. Dabei hat ein attraktives Essensangebot viele Vorteile für Beschäftigte.
Text: Insa Lohmann
Foto: Kay Michalak
1. November 2024
Noch ist es relativ ruhig an diesem Freitagmorgen in der Küche der Kaffeequartier-Kantine. Küchenchef Benjamin Weiß hat gerade 150 Spiegeleier für das Mittagessen vorgebraten. Heute gibt es Pannfisch mit Senfsauce und Bratkartoffeln. Kollege Petros schnibbelt derweil frisches Gemüse für das Salatbüfett. Für die Vegetarierinnen und Vegetarier gibt es selbstgemachte Pitataschen mit Tomaten-Schafskäsedip, mariniertem Gemüse und Tsatsiki. „Das Brot backen wir selbst“, sagt Weiß. Seit morgens um halb sieben stehen der Küchenchef und sein Team in der Küche. Hier muss jeder Handgriff sitzen, denn um kurz vor zwölf kommen die ersten Gäste, und die bringen vor allem eins mit: Hunger. Bis zu 350 Besucherinnen und Besucher strömen täglich in die öffentliche Kantine in der Überseestadt.
„Als ich 2011 hier anfing, waren Currywurst und Pommes noch Standard. Heute ist das anders: Gefragt sind leichte Gerichte, wenig Schweinefleisch und vegetarische Varianten.“
Benjamin Weiß, Kaffeequartier-Kantine
Und dann hat das Team alle Hände voll zu tun. Doch Benjamin Weiß kennt auch andere Zeiten. Während der Corona-Pandemie kamen nur wenige Gäste, die meisten arbeiteten nun zu Hause. Inzwischen haben sich die Besucherzahlen längst erholt. Was ist das Erfolgsrezept? „Es läuft vor allem das gut, was es woanders so nicht gibt“, sagt Weiß. Manchmal seien das Details der Gerichte wie ein frisches Mango-Chutney oder ein Rote-Beete-Pesto. Die Wünsche der Gäste haben sich in den letzten Jahren stark verändert, berichtet der Koch aus Bremen. „Als ich 2011 hier anfing, waren Currywurst und Pommes noch Standard“, sagt Weiß. Das sei heute anders: Gefragt sind leichte Gerichte, wenig Schweinefleisch und vegetarische Varianten. „Schweinekrustenbraten braucht man heute nicht mehr anzubieten.“
„Gerade in Zeiten mobiler Arbeit und Teilzeit sind Betriebe dazu angehalten, ihren Mitarbeitenden ein attraktives Essensangebot zur Verfügung zu stellen.“
Holger Pfefferle, Deutsche Gesellschaft für Ernährung
Die Kaffeequartier-Kantine wird von Hannovers größtem Kantinenunternehmen Essenszeit betrieben. Chef Dietmar Hagen stand bereits in Sterneküchen am Herd und betreibt mit seiner Firma rund 40 Betriebskantinen. Sein Anspruch: Kantinenessen in Restaurantqualität. Das hat auch im öffentlichen Ableger in der Überseestadt seinen Preis: Zwischen zehn und elf Euro müssen Besucherinnen und Besucher hier für ein Gericht bezahlen, einige der im Kaffeequartier ansässigen Firmen subventionieren ihren Angestellten das Essen in der Kaffeequartier-Kantine. Nicht alle seien bereit, den Preis zu zahlen, sagt Benjamin Weiß. „Viele wollen Mittagsgerichte für fünf bis sechs Euro. Aber das geht nicht mit den Produkten, die wir anbieten.“ Frische Molkerei-, Getreide-, Gemüse- und Fleischlebensmittel in Bioqualität, regional und saisonal – das ist das Credo im Kaffeequartier. „Die Gäste, die zu uns kommen, wissen das wertzuschätzen“, sagt der Küchenchef. Weiß und seine Kolleginnen und Kollegen sind mit viel Herzblut dabei. „Wir machen uns viele Gedanken, zum Beispiel, wie wir die Teller anrichten. Auch das muss nach Restaurantqualität aussehen“, berichtet der Bremer Koch.
In Deutschland gibt es schätzungsweise zwischen 10.000 und 12.000 Betriebsrestaurants, rund sechs Millionen Deutsche essen täglich in einer Kantine. Kaum jemand weiß so viel über Deutschlands Kantinen wie Holger Pfefferle, Fachberater der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Pfefferle arbeitete selbst über 15 Jahre als Koch in Restaurant- und Großküchen. „Es gibt einen großen Umbruch in den Betriebskantinen“, sagt er. Gerade in Zeiten mobiler Arbeit und Teilzeit seien Betriebe dazu angehalten, ihren Mitarbeitenden ein attraktives Essensangebot zur Verfügung zu stellen. „Die größeren Unternehmen haben damit meist geringere Probleme, aber insgesamt stehen wir vor einem Wandel“, so der Experte. „Da sind Konzepte und Kreativität gefragt.“ Der Berufsalltag sei für Angestellte ideal, um sich gesund zu ernähren. „Hier sind die Betreiber der Betriebskantinen gefordert“, findet Pfefferle. Für ihn sind die Faktoren klar, die es heute für ein erfolgreiches Betriebsrestaurant braucht: Gering verarbeitete Lebensmittel, kurze Wartezeiten, hochwertiges Fleisch, viele Vollkorn- und Getreideprodukte. Rund 200 Kantinen hat der Fachberater im Zuge seiner Arbeit von innen gesehen. Nicht allein das Essen entscheide über den Erfolg einer Betriebskantine, sagt er. „Eine gute Kantine zeichnet aus, dass man reinkommt und es ein Ort des Austauschs ist“, ist Pfefferle überzeugt. Ein gutes Mittagsessen sei nicht nur für viele bei der Jobwahl relevant, sondern nehme auch Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden. Für Holger Pfefferle sind Betriebsrestaurants damit ein Dreh- und Angelpunkt für Ernährung, Gesundheit und Kommunikation, als Teil einer guten Unternehmenskultur und als wichtiger Treffpunkt für die Angestellten.
„Es geht darum, möglichst viel zu probieren, was man im Alltag sonst nicht isst.“
Saher Khanaqa-Kükelhahn mit ihrem Team, Kantine im Theater Bremen
Das bestätigt auch Saher Khanaqa-Kükelhahn, die seit letztem Jahr mit ihrem Verein Lichtgrenze Bremen die gleichnamige Kantine im Theater Bremen betreibt. „Unsere Kantine ist ein lebendiger Treffpunkt“, sagt sie. Nicht nur für die rund 450 Angestellten des Theaters, sondern für auch für Mitarbeitenden aus den umliegenden Betrieben. Täglich gibt es zwei wechselnde Gerichte. Dabei setzt das achtköpfige Küchenteam auf Essen aus aller Welt: Afrikanische Bohnensuppe mit Mango, Avocado-Kichererbsen-Bowl oder Hühnerfrikassee mit Kartoffelpuffer. „Es geht darum, möglichst viel zu probieren, was man im Alltag sonst nicht isst“, sagt Khanaqa-Kükelhahn. „Aber es gibt auch klassische Kantinengerichte wie Currywurst mit Pommes.“ Der Beschäftigungsbetrieb setzt auf Partizipation mit den Gästen: Was wünschen sich die Besucherinnen und Besucher? Und die haben einen klaren Favoriten – „unser selbstgebackenes Brot ist das Highlight hier“, verrät Khanaqa-Kükelhahn.