Der Anteil von weiblichen und männlichen Studierenden ist im Land Bremen weitgehend ausgeglichen. Wenn es um Doktor-Titel und Professuren geht, zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Je höher die Karriereleiter führt, umso dünner wird die Luft für Frauen.
Text: Anne-Katrin Wehrmann
Fotos: Jonas Ginter
26. April 2022
Katharina Theis-Bröhl kennt zwei Bildungssysteme aus eigener Anschauung: Studiert und promoviert hat die 65-jährige Physikerin noch zu DDR-Zeiten an der Technischen Universität Chemnitz. Kurz vor dem Mauerfall zog sie dann mit ihren beiden Töchtern der Liebe wegen ins Ruhrgebiet und kam an der Ruhr-Universität Bochum unter, wo sie später auch habilitierte.
„Ich hatte damals Glück, dass ich sofort einen Job gefunden habe“, sagt die Professorin, die seit 2008 an der Hochschule Bremerhaven lehrt und dort Dekanin des Fachbereichs 1 „Technologie“ ist. In der DDR sei es normal gewesen, dass Frauen etwas Technisches studierten und dann eine wissenschaftliche Laufbahn starteten, berichtet sie – auch mit Kindern. In der Bundesrepublik habe sich die Situation anders dargestellt: „Man traute Frauen hier nicht so richtig zu, dass sie Physik können“, erinnert sie sich. „Und ich habe oft die Frage gehört, ob das als Frau mit Kindern überhaupt geht.“
„Ich habe oft die Frage gehört, ob das als Frau mit Kindern überhaupt geht.“
Katharina Theis-Bröhl, Professorin an der Hochschule Bremerhaven und Dekanin des Fachbereichs „Technologie“
Es ging, auch wenn es nicht immer leicht war, wie sie sagt. „Anders als in Chemnitz war es in Bochum normal, lange zu arbeiten und erst abends nach Hause zu kommen. Das war nicht sehr familienfreundlich.“ Häufig habe sie in jener Zeit ein schlechtes Gewissen gehabt: der Arbeit, aber auch der Familie gegenüber. „Das ist ein Spagat, den Frauen auch heute noch irgendwie hinbekommen müssen.“
Sie selbst sei die einzige weibliche Wissenschaftlerin aus ihrer damaligen Bochumer Forschungsgruppe, die eine Professur bekommen habe. Denn noch immer steckten Frauen im Rahmen der Familienplanung häufiger zurück und blieben dann irgendwo auf der Strecke: „Wer nicht Vollzeit arbeiten kann oder will, wird häufig übergangen.“ In den vergangenen Jahren sei aber immerhin eine Veränderung zum Positiven zu erkennen, meint Katharina Theis-Bröhl. „An der Hochschule Bremerhaven zum Beispiel haben wir zuletzt fast nur Frauen eingestellt, weil sie einfach überzeugt haben.“
Professuren: Weniger als ein Drittel von Frauen besetzt
Weniger als 30 Prozent der Professuren an öffentlichen Hochschulen im Land Bremen werden derzeit von Frauen besetzt: Das geht aus einer aktuellen Veröffentlichung der Arbeitnehmerkammer mit dem Titel „KammerKompakt: Frauen in der Bremer Wissenschaft“ hervor. Dabei ist das Verhältnis zwischen Studentinnen und Studenten weitestgehend ausgeglichen, auch wenn es hier je nach Fachdisziplin zum Teil deutliche Unterschiede gibt.
"Frauen sollten sich nicht entscheiden müssen, ob sie ihre Karriere verfolgen oder Kinder bekommen.“
Franziska Raab, Referentin für Weiterbildung und Hochschulpolitik bei der Arbeitnehmerkammer
So lag an der Universität Bremen zuletzt der Anteil weiblicher Studierender in den Geistes- und Sozialwissenschaften bei 66 Prozent, bei den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) dagegen nur bei 31 Prozent. Bei den Promotionen sind Frauen laut einer bundesweiten Statistik mit einem Anteil von gut 45 Prozent vertreten. Insgesamt lässt sich feststellen: Je höher die Karrierestufe, umso weniger Frauen gibt es.
„Dafür gibt es viele Gründe“, berichtet Franziska Raab, Referentin für Weiterbildung und Hochschulpolitik bei der Arbeitnehmerkammer. Zum einen fänden wesentliche Karriereschritte wie Promotion und Habilitation üblicherweise zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr statt und fielen damit mit der Familienphase zusammen, in der noch immer häufig die Frauen die Hauptverantwortung für Kinder und Haushalt übernehmen.
Zum anderen seien die geforderte örtliche und zeitliche Flexibilität, die große Zahl befristeter Stellen, der Mangel an Vorbildern sowie fehlende Netzwerke weitere Gründe dafür, dass sich viele Frauen nach Studium oder Promotion außerhalb des Wissenschaftssektors orientierten. „Frauen sollten sich nicht entscheiden müssen, ob sie ihre Karriere verfolgen oder Kinder bekommen“, betont Franziska Raab. „Wir brauchen Lösungen, damit beides möglich ist.“
Positive Veränderungen brauchen Zeit
Für sie war schon während des Informatik-Studiums klar, dass sie Professorin werden will – und das in einem Fachgebiet, in dem Frauen bis heute in der Minderheit sind: Tanja Schultz promovierte 2000 an der Universität Karlsruhe zum Doktor der Ingenieurwissenschaften, forschte danach mehrere Jahre in den USA zum Thema multilinguale Sprachverarbeitung und leitet heute als Professorin für „Kognitive Systeme“ das Cognitive Systems Lab an der Uni Bremen.
„In meinem Forschungsbereich waren Frauen deutlich unterrepräsentiert, vielleicht eine von 50. Erst in den vergangenen Jahren hat sich das ein wenig gewandelt“, erzählt die 58-Jährige. Als problematisch habe sie das nie erlebt, im Gegenteil: „Ich fand es eher positiv, dass wir mehr aufgefallen sind. Aus meiner Sicht hatten wir eine integrierende Wirkung.“ Auf dem Weg nach oben werde die Luft ohnehin dünner: Das gelte für Männer ebenso wie für Frauen. „Man muss sich eben behaupten und das geht über wissenschaftliche Leistung.“ In den USA sei das insofern leichter, als es dort mehrere Karrierestufen zwischen Promotion und Professur gebe: Die Professur lasse sich so Schritt für Schritt erarbeiten.
„In meinem Team erlebe ich, dass sich auch die Männer sehr intensiv um Familie und Kinder kümmern – da hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge getan.“
Tanja Schultz leitet als Professorin für „Kognitive Systeme“ das Cognitive Systems Lab an der Uni Bremen
Dass sie selbst keine Kinder hat, habe mit ihrer Karriere nichts zu tun, erläutert Tanja Schultz. „Da müssen dann ohnehin beide Elternteile sehen, dass sie gut zusammenarbeiten, wenn sie Kinder und Karriere wollen. In meinem Team erlebe ich, dass sich auch die Männer sehr intensiv um Familie und Kinder kümmern – da hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge getan.“ Überhaupt habe sich aus ihrer Sicht schon viel zum Positiven verändert, was die Stellung von Frauen in der Wissenschaft angehe. „Aber es dauert fast 20 Jahre vom Studium bis zur Professur und darum wird es vermutlich noch ein paar Jahre dauern, bis sich diese Veränderungen auswirken.“
Auch wenn einiges in Bewegung geraten ist: Das grundsätzliche Problem sei längst noch nicht behoben, betont Kammer-Referentin Franziska Raab. „Um den Frauenanteil auf allen Qualifikationsstufen zu erhöhen, sind zum Beispiel Rückkehrer-Programme für Mütter und Väter denkbar, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Promotions- oder Postdocphase erleichtern.“