Ein junger Mann sitzt am Rand eines Sandkastens und im Hintergrund spielen Kindergartenkinder.

Fachkräfte dringend gesucht

Die Ausbildung zum Erzieher und zur Erzieherin

Die Arbeitnehmerkammer fordert größere Anstrengungen bei der Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher in Richtung duales System.

Text: Ulf Buschmann
Fotos: Jonas Ginter

1. Mai 2022

Justin Duckhorn muss das Gespräch kurz unterbrechen. Ein Mädchen seiner Gruppe hat Bauchschmerzen und er schaut nach ihr. Derzeit absolviert er in der Kindertageseinrichtung an der Jaburgstraße der Kirchengemeinde Vegesack den letzten Teil seiner Ausbildung zum Erzieher. „Fachkraft im Anerkennungsjahr“, kurz FiA, heißt es im Fachjargon. Das alles wiederum gehört zur „Integrierten Regelausbildung“ (InRA). Eines weiß Duckhorn schon jetzt: Er wird übernommen. Sein Arbeitgeber ist dann der Landesverband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder in Bremen. Es ist der Dachverband aller Kitas und Krippen in kirchlicher Trägerschaft.

Menschen wie Justin Duckhorn brauchen Stadt und Land Bremen eigentlich viel mehr. Der Grund: Allen Trägern fehlen die Fachkräfte. Alleine bei den Kirchen können laut Nadine Tobisch, stellvertretende Leiterin des evangelischen Landesverbandes, gerade einmal die Hälfte der angebotenen FiAPlätze besetzt werden. Ähnlich sieht es beim größten kommunalen Träger in der Stadt Bremen, KiTa Bremen, aus. Das bestätigt Petra Zschüntzsch, stellvertretende Geschäftsführerin und pädagogische Leiterin.

Der Fachkräftemangel wundert Thomas Schwarzer, Referent für kommunale Sozialpolitik der Arbeitnehmerkammer Bremen, überhaupt nicht. Das geht aus seinem Artikel „Erzieherinnen und Erzieher dringend gesucht – der weite Weg zur vergüteten Ausbildung“ hervor. Seit über zehn Jahren werde die Kinderbetreuung stetig ausgeweitet. Jede neue Einrichtung koste richtig Geld. Gleiches gelte für die zusätzliche Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Gleichwohl bestehe dringender Handlungsbedarf, wie ein Vergleich mit dem Nachbarn Hamburg zeigt: Während dort die Anzahl der Absolventinnen seit dem Kindergartenjahr 2008 von 440 auf 1.153 zum Kindergartenjahr 2020 ausgeweitet wurde, wuchs die Anzahl der Absolventen im kleinsten Bundesland lediglich von zunächst 211 auf 302 im Jahr 2020. Hamburg schaffte rechnerisch eine Steigerung von rund 162 Prozent, Bremen lediglich rund 43 Prozent.

„Langfristig führt kein Weg an einer dualen Ausbildung vorbei.“
Thomas Schwarzer, Referent für kommunale Sozialpolitik der Arbeitnehmerkammer Bremen

Der Fachkräftemangel bei nahezu allen personenbezogenen Dienstleistungen, zu denen auch die Erzieherinnen und Erzieher gehören, schlage in Bremen voll durch – und die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung noch verstärkt, bilanziert Thomas Schwarzer. Um dieser Entwicklung zu begegnen, schlägt die Arbeitnehmerkammer gleich ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor. Denn der Fachkräftemangel werde sich in den kommenden drei bis fünf Jahren noch weiter zuspitzen.

Duales System als Ziel

Das Credo der Arbeitnehmerkammer: Wie in anderen Berufen, müssen künftige Erzieherinnen und Erzieher ihre Berufsausbildung wie in einem dualen System erlernen. Das Mittel der Wahl ist für die Arbeitnehmerkammer eine tariflich vergütete, praxisintegrierte Ausbildung, kurz PiA. Diese kommt dem klassischen dualen Ausbildungssystem ziemlich nahe: Drei Tage in der Woche sind die Auszubildenden in ihrer jeweiligen Kita, zwei Tage drücken sie die Schulbank. Hin und wieder wird auf Blockunterricht umgestellt.

Und es gibt bereits vielfältige Erfahrungen durch ein PiA-Modellprojekt, das in der Stadt Bremen schon länger läuft und gerade sehr positiv evaluiert wurde. Welche positive Wirkung die PiA-Ausbildung hat, zeigt das Beispiel von Yildiz Nergiz. Der 42-jährigen studierten Betriebswirtin hat erst diese Möglichkeit geholfen, ihre späte Berufung zu finden: Sie sattelte auf Erzieherin um und hofft, nach ihren Abschlussprüfungen im Mai in ihrer jetzigen Einrichtung, dem Kinder- und Familienzentrum von KiTa Bremen am Warturmer Platz in Woltmershausen, bleiben zu können. Möglich wurde die Finanzierung dieses zukunftsweisenden Modellprojekts durch Bundesmittel aus dem „KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz“ (KiQuTG). Aus diesen Mitteln kann die Stadt Bremen von 2020 bis 2022 rund 11,5 Millionen Euro zur Sicherung und Gewinnung von Fachkräften verwenden. Ob das 

 kostenintensive PiA-Projekt fortgesetzt wird, war lange Zeit nicht sicher. In­­zwischen ist klar, dass es in begrenztem Umfang weitergeht, jedoch nicht ausgeweitet werden soll. Eigentlich gab es im kleinsten Bundesland andere Pläne: Vorgesehen war ursprünglich die flächen­deckende, monatliche Vergütung aller Fachschülerinnen und Fach­schüler der integrierten Regelausbildung (InRA). Doch im Jahr 2020 hat der Bremer Senat umgesteuert: Die integrierte Regelausbildung kann nun über das sogenannte Aufstiegs-BAföG gefördert werden (Bundesmittel). Der Vorteil: Dadurch werden rund sechs Millionen Euro der „KiQuTG“-Mittel frei und können für zusätzliche Maßnahmen zur Gewinnung weiterer Fachkräfte genutzt werden.

„Der Fachkräftemangel wird sich in den kommenden drei bis fünf Jahren noch weiter zuspitzen.“
Thomas Schwarzer, Referent für ­kommunale Sozialpolitik der ­Arbeitnehmerkammer Bremen

Durch eine dieser Maßnahmen kann das erfolgreiche Modell „Qualifizierung on the Job“ von KiTa Bremen auch bei anderen Trägern finanziert werden. Bei diesem Ansatz handelt sich um eine berufsbegleitende Weiter­qualifizierung für sozialpädagogische Assisten­tinnen und Assistenten zur Erzieherin oder zum Erzieher. Diese erfolgt durch eine Freistellung für die Weiterbildung bei vollem Lohnausgleich im bestehenden Beschäftigungsverhältnis.

Zudem gibt es aktuell Programme für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger in Bremen. Diese ­sollen sich innerhalb von neun Monaten so qualifizieren, dass sie die Prüfung zur Erzieherin / zum Erzieher ­absolvieren können. Und dann sind da noch die Fachkräfte aus Spanien, die innerhalb von 14 Monaten das ­Gleiche er­­reichen sollen – Sprachniveau B2 inklusive. Kurzfristig betrachtet ­helfen diese Maßnahmen ohne Frage.

Doch ­Thomas Schwarzer schaut bereits auf das Jahr 2026. Ab dann wird der Rechts­anspruch auf eine Ganztags­betreuung in der Grundschule umgesetzt. Auch dafür werden viele zusätzliche Er­­zieherinnen und Erzieher benötigt. Diese müssen jetzt ihre Ausbildung beginnen, sollen sie dann – bei vier bis fünf Jahren Aus­bildungsdauer – auch zur Verfügung stehen. Doch ohne die Anreize der vergüteten, praxis­integrierten Ausbildung PiA, wird das wohl kaum zu erreichen sein. Die aktuellen Fördermöglichkeiten durch ­Schüler- oder Aufstiegs-BAföG sind für viele Lebenssituationen unpassend oder schlicht nicht existenzsichernd.