Warum die Aussicht auf mehr Geld gerade auf dem Spiel steht

Interview mit Elke Heyduck über die Zukunft der EU-Mindestlohnrichtlinie

Die Arbeitnehmerkammer lädt am 4. April 2025 zur Diskussionsveranstaltung ein: „Wie geht es mit der EU-Mindestlohnrichtline weiter?“ Auf dem Podium im Haus der Wissenschaft sitzen namhafte Wissenschaftler. Ein Gespräch über die Frage, warum uns das Thema alle angeht.

 

24 der 27 EU-Staaten haben 2022 die europäische Mindestlohnrichtlinie verabschiedet – auch Deutschland. Nun haben Dänemark und Schweden dagegen geklagt. Ihr Argument: Sie sei nicht mit EU-Recht vereinbar. Warum ist das so wichtig und was hat das überhaupt mit uns zu tun?

Elke Heyduck: Das ist sogar sehr wichtig – für Beschäftigte, aber auch für Gewerkschaften ist das die seit Jahrzehnten wichtigste arbeits- und sozialpolitische Regelung in der EU. Sollte sie vor dem Europäischen Gerichtshof gekippt werden, wird das auch das Vertrauen in das soziale Europa verspielen.

Worum geht es konkret?

Die Richtlinie besagt, dass die EU-Mitgliedstaaten „angemessene“ Mindestlöhne vereinbaren müssen. Und sie gibt ihnen auch einen Wert an die Hand: Konkret benannt werden „die auf internationaler Ebene üblichen Referenzwerte wie 60 Prozent des Bruttomedianlohns und 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns“. Da die EU aber keinen verbindlichen Mindestlohn bestimmen darf, sind die Staaten frei, den konkreten Referenzwert festzulegen.

Ist das alles?

Nein! Was für Beschäftigte und Gewerkschaften vielleicht sogar noch wichtiger ist: Die Richtlinie besagt auch, dass überall da, wo weniger als 80 Prozent der Beschäftigten ohne Tarifvertrag arbeiten, ein nationaler Aktionsplan die Tarifbindung stärken muss. In Deutschland liegen wir zurzeit bei gerade mal 50 Prozent – also weit darunter! In den vergangenen Jahrzehnten ist die Tarifbindung immer weiter zurückgegangen. Die Politik hat viel zu wenig unternommen, um diesen Trend zu stoppen. Durch die Richtlinie müsste sie endlich handeln! Den Gewerkschaften hat diese Richtlinie den Rücken gestärkt, für viele Beschäftigte bringt sie die Aussicht auf mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Und nicht zu vergessen: Mit der Richtlinie hat sich die EU zuständig gemacht für soziale und arbeitspolitische Fragen. Das ist unglaublich wichtig, um die Akzeptanz von Europa bei Beschäftigten zu stärken und zu fördern.

„Die Politik hat viel zu wenig unternommen, um den Trend hin zu immer weniger Tarifbindung zu stoppen“


Elke Heyduck ist Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen

Und nun wird gegen die EU-Mindestlohnrichtlinie geklagt?

Ja. Schweden und Dänemark haben starke Gewerkschaften und eine hohe Tarifbindung – kennen aber keinen Mindestlohn. Sie fürchten, dass weniger Menschen in die Gewerkschaften eintreten und die Tarifbindung mittelfristig sinkt, wenn sie jetzt einen Mindestlohn einführen müssen. Die Klage behauptet, dass die EU sich mit der Richtlinie für Arbeitsentgelte zuständig macht – was sie nicht darf. Andere argumentieren: Die EU schreibt ja in ihrer Richtlinie keinen konkreten Lohn vor, sondern stiftet nur einen Rahmen. Der Ausgang ist offen.

Wann und wie wird entschieden?

Die Klage liegt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der Termin für die Urteilsverkündung ist noch offen.

Wie geht es dann weiter?

Wenn der EuGH die Richtlinie kassiert, wäre das wirklich ein herber Rückschlag. Dann müssen wir an anderer Stelle dafür kämpfen, dass ein nationaler Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung kommt. Dafür gibt es schon sehr gute und zielführende Vorschläge: Wir brauchen auf Bundesebene ein Gesetz, das dafür sorgt, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen gehen, die auch Tariflöhne bezahlen. Arbeitgeber sollen auch nicht mehr in einen Arbeitgeberverband kommen, wenn sie nicht tarifgebunden sind. Die Vorschläge warten nur darauf, von der Bundesregierung umgesetzt zu werden.

Text: Jan Zier

Foto: iStock

28. März 2025