Ein-Eltern-Familien brauchen gute Lösungen: existenzsichernde, faire Löhne, flexible Arbeitsmodelle, verlässliche Kinderbetreuung und soziale Unterstützung.
Text: Suse Lübker
Fotos: Jonas Ginter
1. Juli 2024
Vanessa Tischler hat einen Vollzeitjob als Führungskraft bei einer Krankenkasse, sie ist verantwortlich für 20 Mitarbeitende. Die 33-Jährige ist seit einigen Monaten alleinerziehend. Die Kinder leben bei ihr und sind jedes zweite Wochenende und einen Tag pro Woche bei ihrem Vater. Von ihrem Wohnort auf dem Land, wo sie mit ihren zwei Kindern lebt, fährt sie täglich 40 Minuten nach Oldenburg. Während die Kinder in der Schule sind, arbeitet sie im Büro, mittags fährt sie situativ zurück ins Homeoffice.
Der Tag sei nicht planbar, erklärt die 33-Jährige: „Ich muss immer flexibel sein und spontan auf Änderungen reagieren. Mal wird ein Kind krank, oder es verabredet sich, und dann kommen die beruflichen Termine, die oft auch mit Fahrzeiten von meiner Geschäftsstelle zum Hauptsitz nach Bremen verbunden sind.“ Es sei eine echte Herausforderung, alle Termine zu managen, die Schultermine, den Elternsprechtag, den Elternabend oder auch die Verabredungen der Kinder. Der Alltag lässt sich für sie nur meistern, weil sie privat ein gutes soziales Netzwerk hat: Unterstützung von Eltern, Freunden und Verwandten.
„55 Prozent der Alleinerziehenden in Bremen leben unter der Armutsgrenze.“
Thomas Schwarzer, Politikberater bei der Arbeitnehmerkammer
Ohne Back-up gehe da nichts. Das alles klappt auch, weil ihre Vorgesetzten sie unterstützen: „Ich habe einen Abteilungsleiter, mit dem ich offen kommunizieren kann, wenn ich mal länger im Homeoffice arbeiten muss, zum Beispiel, weil die Kinder krank geworden sind. Die Alternative hier wäre natürlich auch die Inanspruchnahme von Kinderkrankengeld –
allerdings geht dies mit Einkommenseinbußen einher und die anfallende Arbeit bleibt liegen und wartet nach der Rückkehr auf mich. Außerdem haben wir einen tollen Personalrat, der dafür sorgt, dass da gute Regelungen entstehen.“ Das Modell funktioniert, dennoch wünscht sich Vanessa Tischler noch flexiblere Regeln in der Arbeitswelt, vor allem für diejenigen, die nicht so gut vernetzt sind: „Ich glaube, Arbeitgebende sind gut damit beraten, starre Regelungen aufzuweichen und den Arbeitsalltag situativ nach den Bedürfnissen der Mitarbeitenden zu gestalten. Da geht es gar nicht nur um Alleinerziehende, sondern generell um verschiedene Lebensmodelle.“
Auf finanzielle Unterstützung angewiesen
In Bremen ist fast jede vierte Familie eine Ein-Eltern-Familie. Die Hansestadt liegt damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt, wie auch andere Großstädte. Der Frauenanteil unter den Alleinerziehenden liegt bei rund 85 Prozent. Ein Teil der Alleinerziehenden, erwerbstätigen Mütter sind häufiger in Vollzeit tätig als Mütter, die in Paarfamilien leben. Der Grund: Befragungen zeigen, dass sie besonders engagiert sind, ihr Leben finanziell unabhängig zu führen und so Vorbilder für ihre Kinder zu sein. Das klingt auf den ersten Blick gut. Allerdings verdienen Ein-Eltern-Familien oft schlechter und viele kommen finanziell kaum über die Runden. Die meisten von ihnen brauchen selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung finanzielle Unterstützung, um den Alltag zu bewältigen. Eine Studie der Arbeitnehmerkammer ergab außerdem, dass Alleinerziehende oft gezwungen sind, Jobs anzunehmen, die unterhalb ihrer Qualifikation liegen. Viele Alleinerziehende haben neben ihrer Haupttätigkeit noch eine Nebentätigkeit oder arbeiten häufiger als andere Beschäftigte im Schichtdienst oder am Wochenende.
Es fehlen aktuell noch immer mehr als 5.000 Krippen- und Kitaplätze.
„55 Prozent der Alleinerziehenden in Bremen leben unter der Armutsgrenze, das heißt, sie haben weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung. Deshalb waren knapp 10.000 Haushalte von Alleinerziehenden im letzten Jahr (2023) gemeinsam mit ihren Kindern auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen“, erklärt Thomas Schwarzer, Politikberater bei der Arbeitnehmerkammer. Sie haben keinen Partner oder keine Partnerin an ihrer Seite, die zum Haushaltseinkommen beitragen. Sehr häufig fehlen sogar die Unterhaltsleistungen.
Woran liegt es, dass die Zahlen in Bremen deutlich schlechter sind als in anderen Bundesländern? Thomas Schwarzer: „Erst mal sind Vergleiche mit Flächenländern wie Bayern oder Niedersachsen nicht so richtig aussagekräftig. Aber auch bei Vergleichen mit Hamburg, Berlin und anderen Großstädten ist der Anteil an sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen mit und ohne Kinder niedrig. Das betrifft besonders Mütter mit Kindern im Kita-Alter.“ Der Grund liegt auf der Hand: Es fehlen aktuell noch immer mehr als 5.000 Krippen- und Kitaplätze. Gerade mal 36 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren hatten 2023 einen ganztägigen Kitaplatz. So hat sich die Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren durch den Rechtsanspruch zwar verbessert und der Anteil erwerbstätiger Mütter mit Vorschulkindern leicht erhöht. Dennoch liegt Bremen deutlich hinter den Stadtstaaten und vergleichbaren Großstädten zurück.
Kein Job ohne Kitaplatz – kein Kitaplatz ohne Job
Eine zuverlässige Kita-Betreuung ist auch für Jennifer Holzhause entscheidend für eine gesicherte Existenz. Die 38-Jährige zog im Februar 2023 mit ihrem Partner und ihren beiden Kindern von Baden-Württemberg nach Bremerhaven. Schon lange kriselte es in ihrer Beziehung, schon lange dachte sie über eine Trennung nach. In Bremerhaven möchte die ausgebildete Sozialassistentin beruflich neu durchstarten. Allerdings ist ihr nicht bewusst, dass die Kitas im Land Bremen nur im August neue Kinder aufnehmen. Für Jennifer Holzhause beginnt eine Odyssee: An die 60 Kitas schreibt sie an, wendet sich an Tagesmütter, an kirchliche und städtische Gruppen und sucht in Elternvereinen nach einem Platz für ihre beiden Kinder. Ohne Erfolg. Ihr wird klar, dass sie keinen Job finden wird, solange die Kinder keinen Kitaplatz haben. „Für mich war das ganz schlimm, es hat mich extrem belastet, dass ich wieder ins Arbeitslosengeld gerutscht bin.“ In dieser Zeit geht ihre Beziehung endgültig in die Brüche, es geht ihr nicht gut. Dennoch gibt sie nicht auf, telefoniert hartnäckig die Kitas durch und hat schließlich Erfolg: Sie findet zunächst einen Halbtagsplatz für beide Kinder und kurz darauf auch eine Arbeitsstelle als Betreuungskraft an einer weiterführenden Schule.
Für die eigene Gesundheitsfürsorge oder sozialen Austausch bleibt wenig oder gar keine Zeit.
Viel Unterstützung bekommt sie in dieser Zeit im Familienzentrum der Caritas. Der Austausch mit Frauen in ähnlichen Situationen tut ihr gut, die Beraterinnen ermutigen sie, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Jennifer Holzhause hat inzwischen ihren Job gewechselt, sie arbeitet bei der Caritas und berät dort Alleinerziehende im Rahmen des „Modellprojekts für Alleinerziehende“ (MOA). Die Erziehungszeit teilt sie sich mit ihrem Ex-Partner, die Kinder sind abwechselnd eine Woche bei ihr und eine Woche bei ihm. Dieses sogenannte Wechselmodell ist zwar mit sehr viel Absprachen verbunden, bietet ihr aber die Möglichkeit, während der „Papawoche“ auch mal den Tag anders zu strukturieren, die Spätschicht zu arbeiten oder sich einfach nur zu entspannen. Denn auch das ist typisch für Alleinerziehende: Für die eigene Gesundheitsfürsorge oder sozialen Austausch bleibt wenig oder gar keine Zeit. In ihrem Arbeitsalltag erlebt Jennifer Holzhause, wie schnell es auch zu psychischen Belastungen kommt. „Einige haben keinen Schul- oder Berufsabschluss, viele kämpfen mit Ängsten, Depressionen oder Sucht.“ Umso wichtiger sei es, dass sie sich austauschen können und Unterstützung bekommen – im Alltag und bei der Jobsuche.
Verlässliche Kinderbetreuung notwendig
Betreuungsplätze sind besonders für Alleinerziehende immens wichtig, damit sie überhaupt eine Ausbildung oder eine Erwerbsarbeit beginnen können. Allerdings erhalten Kinder oft nur dann einen Kitaplatz, wenn die Mütter berufstätig sind – ein Teufelskreis, der insbesondere für Alleinerziehende eine enorme Herausforderung darstellt. Hinzu kommt, dass ein Platz aktuell oft keine zuverlässige Betreuung garantiert. Ausfälle und Änderungen in den Betreuungszeiten verlangen zusätzliche Flexibilität und strapazieren Kinder, Eltern, Erzieherinnen und auch Arbeitgeber.
Es braucht mehr Maßnahmen, die gezielter auf die Bedürfnisse von Alleinerziehenden zugeschnitten sind –
hier sind auch die Betriebe gefordert. Kaarina Hauer, Leiterin Rechtspolitik und -beratung in der Arbeitnehmerkammer, berichtet, dass es in der Beratung oft um Konflikte aufgrund der Lage der Arbeitszeit sowie rund um Teilzeit- und Urlaubswünsche gehe: „Diese Reibungspunkte sind wiederum eng verzahnt mit der ausgesprochen schlechten und unflexiblen Bremer Betreuungssituation“, so Hauer.
Wichtig ist auch, dass es mehr Maßnahmen gibt, die gezielter auf die Bedürfnisse von Alleinerziehenden zugeschnitten sind. Und das fängt bereits in der Ausbildung an. Dazu gehören zum Beispiel Teilzeitberufsausbildungen und Teilzeitstudiengänge, die es jungen Müttern und Vätern ermöglichen, sich trotz der Familiensituation beruflich weiterzuentwickeln. Es gibt inzwischen einige Ausbildungsbetriebe, die eine Ausbildung in Teilzeit anbieten, manche zahlen in dieser Zeit sogar das gleiche Gehalt wie in Vollzeit. Viele Betriebe haben inzwischen erkannt, dass sie auf diese Art motivierte und qualifizierte (angehende) Fachkräfte werben und halten können. Und auch die Uni und die Hochschule Bremen bieten die Möglichkeit, einige Studiengänge in Teilzeit zu studieren. An der Hochschule Bremerhaven lassen sich sämtliche Bachelor- und Masterstudiengänge im Rahmen eines Teilzeitstudiums absolvieren.
Gutes Beratungsangebot in Bremen
Verschiedene Institutionen und Initiativen versuchen, Alleinerziehende in ihrer individuellen Situation abzuholen. Mit ihren Angeboten unterstützen sie den Austausch der Frauen und Männer untereinander und bieten ihnen Beratung in vielen Lebensbereichen: bei der Wohnungssuche, der Organisation einer Ferienbetreuung, bei der Wahl eines Kitaplatzes oder bei der Arbeitssuche. Da Alleinerziehende im Arbeits- und Familienalltag körperlich und psychisch besonders belastet sind, sind für sie niedrigschwellige Präventionsangebote wichtig.
Um die vorhandenen Angebote noch bekannter zu machen und die Akteurinnen und Akteure besser zu vernetzen, entstand in Bremen Anfang 2019 das Netzwerk Alleinerziehende. Mehr als 50 Akteurinnen und Akteure treffen sich seitdem regelmäßig, diskutieren Anliegen und Bedarfe von allein- und getrennt erziehenden Eltern in Bremen und stellen konkrete Forderungen an die politischen und betrieblichen Entscheidungsträgerinnen und -träger. Das Projekt wird von FAW (Frauen Arbeits Welten) umgesetzt. Für Lisa Fuchs, Netzwerkkoordinatorin bei FAW, ist es besonders wichtig, dass die Bedürfnisse und Ressourcen von Allein- und Getrennterziehenden und ihren Kindern gleichermaßen im Blick behalten werden. „Die Belastungen der Familien dürfen dabei nicht als individuelles Problem verstanden werden“, erklärt Fuchs. Vielmehr brauche es politische und Lösungen auf struktureller Ebene. „Arbeitgebende, Kolleginnen und Kollegen und Bekannte können im Alltag viel für Ein-Eltern-Familien tun.“
Wichtig ist zunächst die Anerkennung als kompetente, engagierte und motivierte Personen, die viel für ihre Kinder tun und oft persönlich zurückstecken.“ Daneben verdienen die Familien Möglichkeiten der Entlastung und Flexibilisierung von Arbeit, um für sich und ihre Kinder finanziell sowie emotional sorgen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können: Arbeitszeiten, die zu den Betreuungszeiten passen, und fair entlohnte Arbeitsverhältnisse, die zu den Kompetenzen passen, ergänzt die Koordinatorin. „Zum Glück gibt es in Bremen viele engagierte Projekte. Wenn sich jetzt angesichts des Fachkräftemangels noch mehr Unternehmen öffnen und die Politik die Projekte finanziell und dauerhaft gut absichert, wäre für alle viel gewonnen!“
Beratungsstellen und Projekte für Alleinerziehende
- JOBKICKplus: ein Projekt der WaBeQ, das alleinerziehenden Müttern und Vätern Unterstützung bei ihrer (Re-)Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bietet.
- Modellprojekt für Alleinerziehende in Bremerhaven (MOA): MOA bietet Hilfestellung, Beratung und Begleitung bei allen Themen, die Alleinerziehende beschäftigen und vermittelt passende Unterstützungsangebote und Ansprechpersonen in Bremerhaven.
- Netzwerk Alleinerziehende Bremen: Bremer Akteurinnen und Akteure, Einrichtungen und Projekte, die mit ihren Angeboten Ein-Eltern-Familien unterstützen, tauschen sich regelmäßig aus und machen Bedarfe sichtbar.
- VAMF – Verband Alleinerziehende Väter und Mütter e. V.: Der Verein veranstaltet regelmäßig Treffen für alleinerziehende Mütter und Väter mit ihren Kindern und informiert über wichtige Themen, zum Beispiel über den Unterhaltsvorschuss.
- VIA-Nord – Vermittlung und Integration von Alleinerziehenden in Bremen-Nord: Kostenfreies Beratungsangebot für alleinerziehende Mütter und Väter auf dem Weg ins Arbeitsleben.
- Die Lebenshilfe Bremen bietet eine kostenlose Einzel- und Paarberatung für alleinerziehende Eltern von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Beeinträchtigung.
- Weitere Beratungsangebote finden sich zum Beispiel auf der Website vom Familiennetz Bremen (Stichwort Alleinerziehende).
- Außerdem bieten die Häuser der Familie, die Mütterzentren in Bremen und Bremerhaven sowie die Bremische Evangelische Kirche verschiedene Stammtische/Offene Treffen für Alleinerziehende.
Kommentar von Thomas Schwarzer, Referent für kommunale Sozialpolitik
Vorrang für Alleinerziehende!
Ein-Eltern-Familien sind auf Krippen- beziehungsweise Kitaplätze angewiesen. Erst dadurch öffnen sich Zeitfenster für eine Ausbildung oder eine Erwerbsarbeit. Deshalb müssen Ein-Eltern-Familien bei der Platzvergabe hier in Bremen bevorzugt werden. Sonst bleiben viele von ihnen immer am Ende der Warteschlange und ohne Job.
Gleichzeitig sind Alleinerziehende häufiger erwerbstätig als Mütter, die in Paarfamilien leben, und sogar häufiger in Vollzeit. Das gelingt einem Teil von ihnen, weil sie besonders flexibel sind: durch Nebenjobs, im Schichtdienst oder am Wochenende. Sie sind deshalb angewiesen auf flexible Arbeitszeitmodelle bei fairer Entlohnung. Hier sind die privaten und öffentlichen Unternehmen mehr als bisher gefordert.
Der größere Teil der Ein-Eltern-Familien lebt mit wenig Geld und ist auf Bürgergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld und Unterhaltsvorschuss angewiesen. Die damit verbundene Bürokratie frisst viel Zeit und kostet Nerven. Letztere fehlen häufig im Alltag für Kinder, Erwerbsarbeit, Erholung und Gesundheit. Hier ist die Bundesregierung gefordert, den Ein-Eltern-Familien das „Bürokratiemonster“ von den Schultern zu nehmen und endlich die angekündigte Kindergrundsicherung umzusetzen.