Logo Mitbestimmung stärkt die Demokratie

Betriebsräte stärken die Demokratie

Interview: Was Unternehmen gegen sinkende Wahlbeteiligung und politische Apathie tun können

Die Arbeitnehmerkammer und die Bremische Bürgerschaft laden am 5. September 2024 zu einer Diskussionsveranstaltung ein, um über die Rolle betrieblicher Mitbestimmung für die Demokratie zu debattieren. Die Keynote hält Martina Zandonella, Senior Researcher am Wiener Foresight-Institut. Ein Gespräch über Wahlbeteiligung, Politik für Besserverdienende und die Frage, ob Betriebsräte überhaupt wissen, wie wichtig ihre Arbeit für die Demokratie ist.

Die Diskussionsveranstaltung steht unter dem Motto „Mitbestimmung stärkt die Demokratie“. Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Wissenschaft dazu?

Martina Zandonella: Wir haben inzwischen sehr viele Forschungsergebnisse, die uns bestätigen: Je mehr die Menschen mitbestimmen können, desto positiver stehen sie der Demokratie gegenüber und desto mehr Vertrauen haben sie auch in politische Institutionen. Der Begriff der „Mitbestimmung“ ist in diesem Zusammenhang sehr weit zu fassen – das reicht von der Schule über die Nachbarschaft und den Betrieb bis hin zu parlamentarischen Gremien. Dabei geht es nicht nur darum, ob ich tatsächlich aktiv mitmachen kann, sondern auch um die Frage: Bin ich mit meinen politischen Anliegen dort vertreten, wo Entscheidungen getroffen werden?

Sie sagen „Mitbestimmung ist eine Klassenfrage“. Wie meinen Sie das?

Einerseits sind Menschen aus den unteren Einkommensgruppen seltener wahlberechtigt, weil sie öfter ausländische Staatsbürgerschaften haben. Andererseits sehen wir, dass Menschen mit geringeren Einkommen in den letzten zehn bis 15 Jahren seltener zur Wahl gegangen sind, auch wenn sie das Stimmrecht hatten. In Wien lässt sich das sehr gut nachweisen: Bis zum Anfang der Achtzigerjahre sind die Bezirke, wo die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter wohnen, praktisch geschlossen zu den Wahlen gegangen. Es waren eher die bürgerlichen Bezirke, in denen die Wahlbeteiligung niedrig war. Heute ist es genau umgekehrt. Ähnliches lässt sich aber auch für die Bundestagswahl in Deutschland zeigen. Dort, wo die Arbeitslosigkeit hoch und das Einkommen sowie das Bildungsniveau niedriger ist, gibt es auch eine niedrigere Wahlbeteiligung.

Diese Menschen gehen seltener wählen, weil sie sich von der Politik nicht vertreten fühlen?

Ja. Diese Menschen haben die Erfahrung gemacht: Für mich zahlt es sich nicht aus, meine Stimme abzugeben. Eine Studie hat gezeigt, dass auch der Deutsche Bundestag in den letzten 30 Jahren überwiegend Entscheidungen getroffen hat, die zugunsten der oberen Einkommensgruppen verzerrt waren. Die unteren Einkommensgruppen konnten sich politisch nicht durchsetzen. Das gilt unabhängig davon, wer Kanzler oder Kanzlerin ist und welche Koalition gerade regiert. Wir wussten schon sehr lange, dass das in den USA so ist – kein Wunder: Wer finanziert denn dort die Präsidentschaftskandidaten und die Wahlkämpfe? Wir haben aber lange gedacht, dass es bei uns in Europa anders ist, weil wir eben viel mehr öffentliche Finanzierung von Wahlkämpfen und Parteien haben. Das stimmt aber so nicht mehr.

"Je mehr die Menschen mitbestimmen können, desto positiver stehen sie der Demokratie gegenüber"


Martina Zandonella ist Senior Researcher am Foresight-Institut 

Hat unsere Demokratie ein Problem, weil Teile der Wählerschaft den Parteien und Parlamenten weniger vertrauen als früher? 

Es sind vor allem die unteren Einkommensgruppen, in denen das Vertrauen jetzt schon sehr lange sehr niedrig ist – und in denen es immer noch weiter sinkt. Vielleicht ist für sie die Entscheidung, nicht mehr mitzumachen, sogar ganz rational: Ihre Stimme zählt weniger als andere, obwohl die Demokratie verspricht, dass alle Menschen gleich viel wert sind. In den mittleren und oberen Einkommensgruppen gibt es zwar Schwankungen im Vertrauen, etwa nach Korruptionsskandalen – da sinkt es sehr schnell, erholt sich dann aber auch wieder. Bei den Geringverdienenden ist das Niveau aber immer ziemlich niedrig, unabhängig von aktuellen Ereignissen. Ein geringeres Vertrauen schadet der Demokratie zwar nicht unbedingt, Misstrauen kann auch ein Zeichen dafür sein, dass die Leute interessiert sind und das politische System kontrollieren. In den unteren Einkommensgruppen geht es aber vor allem um fehlende Repräsentation. Wir sehen ja auch, dass Arbeiter, Putz- oder Pflegekräfte nicht wirklich in den Parlamenten vertreten sind.

Was kann man ihrer Ansicht nach dagegen tun?

Es geht vor allem darum, die Menschen, die derzeit ausgeschlossen sind, wieder am politischen Prozess mitwirken zu lassen. Demokratie bedeutet ja auch, dass wir die Regeln unseres Zusammenlebens gemeinsam bestimmen. Das heißt, es bleibt auch den Parteien nicht erspart, wieder mehr auf die Menschen zuzugehen. Es gibt den Vorschlag, dass die Listen der Parteien für Arbeiterinnen und Arbeiter eigene Quoten haben sollten – so wie es ja auch Frauenquoten gibt. Darüber kann man nachdenken. Es geht darum, die Distanz der unteren Einkommensgruppen zur repräsentativen Demokratie zu überwinden. Dabei reicht es nicht aus, immer wieder neue direkte Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen. Denn hier zeigt sich: Da gehen wieder vor allem diejenigen hin, die auch die anderen Chancen zur Teilhabe schon nutzen.  

Wie kann Mitbestimmung die Demokratie stärken?

Am einfachsten ist es ja, die Demokratie dort zu stärken, wo die Menschen ohnehin sind. Und die meiste Zeit des Tages sind sie in der Regel bei der Arbeit. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war die Demokratisierung der Wirtschaft noch ein großes Thema, heute ist das etwas in Vergessenheit geraten. Letzten Endes ist die Frage: Wer kann bei der Arbeit mitbestimmen? Da sehen wir wieder: Die unteren Einkommensgruppen sind weniger gewerkschaftlich vertreten und haben weniger Möglichkeiten, zumindest ihre Meinung zu sagen, wenn Entscheidungen im Unternehmen getroffen werden. Das Erleben von Demokratie und Mitbestimmung im Alltag fehlt in den unteren Statusgruppen sehr viel stärker als in anderen. Da muss man ansetzen: Wie können wir Demokratie stärker in den Alltag bringen? Gerade für Leute, die eben nicht die Zeit und Energie haben, sich nach Feierabend noch zu engagieren. Auch für Deutschland zeigen Studien: Die Demokratie im Betrieb kann gerade bei unteren Einkommensgruppen einen deutlichen Effekt erzielen. Wenn diese Menschen positive Erfahrungen im Betrieb machen, wenn sie das Gefühl haben, da etwas bewirken zu können mit ihrer Stimme, dann sind sie auch eher bereit, sich an anderen Wahlen zu beteiligen.

Wissen die Betriebsräte um ihre Bedeutung für Wahlen und die Demokratie?

Meine Erfahrung ist: Sie haben oftmals eine Vermutung. Wenn man ihnen dann sagt, dass Betriebsratsarbeit sehr wertvolle Demokratiearbeit ist, sitzen sie auch gleich aufrechter da und freuen sich über die Anerkennung. Sie sind ja häufig eher Prügelknaben und haben eine oft undankbare und schwierige Aufgabe. Aber wenn man die Belegschaft mitnimmt und ihr das Gefühl gibt, dass ihre Meinung, ihre Stimme zählt, dann hat das sehr starke Auswirkungen auch auf die Demokratie außerhalb des Betriebs.

Datum: 5. August 2024

Grafik: Bremische Bürgerschaft
Foto: Foresight-Institut, Wien 

Fragen: Jan Zier

 

Politik meets Betrieb: Mitbestimmung stärkt die Demokratie

 

Donnerstag, 5. September 2024 um 17 Uhr
Einlass ab 16:30 Uhr

 

Haus der Bürgerschaft, Festsaal
Am Markt 20, 28195 Bremen

 

Keynote: Martina Zandonella (Foresight-Institut, Wien): 

"Soziale Ungleichheit, Demokratie & die Rolle von betrieblicher Mitbestimmung"


Paneldiskussion: 
Antje Grotheer (Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft),
Dr. Johannes Kieß (Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung, Universität Leipzig),
Ralf Wilke (Betriebsrat bei der Mercedes Benz AG),
Cornelius Neumann-Redlin (Die Unternehmensverbände im Lande Bremen e. V.)

 

Moderation: Elke Heyduck (Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer)
Die Veranstaltung ist kostenfrei, die Teilnehmerzahl ist begrenzt.

 

Anmeldung unter wolff@arbeitnehmerkammer.de bis spätestens 30. August bzw. solange die Plätze reichen.