Judentum am Arbeitsplatz

Die jüdische Musiklehrerin Renata Bas trifft auf viel Verständnis und Interesse an ihrer Religion

Für fromme Juden ist es oft eine Herausforderung, Religion und Arbeit in Einklang zu bringen. Eine von christlichen Feiertagen geprägte Arbeitswelt macht es ihnen nicht leicht, sich an ihre religiösen Gebote zu halten

Text: Anne-Katrin Wehrmann
Fotos: Kay Michalak

Der Schabbat ist im Judentum ein Ruhetag, an dem keine Arbeit verrichtet werden darf. Er beginnt am Freitag bei Sonnenuntergang und dauert bis zum Eintritt der Dunkelheit am Sonnabend. Keine Arbeit: Das bedeutet für fromme Juden, dass sie in dieser Zeit ihren Job nicht ausüben dürfen. Ausnahmen sind nur in lebenswichtigen Bereichen wie im Krankenhaus oder bei der Feuerwehr erlaubt. Das heißt darüber hinaus aber laut jüdischen Geboten auch, dass alle Tätigkeiten verboten sind, die eine neue Situation schaffen – darunter fällt zum Beispiel die Bedienung jeglicher elektrischer Geräte ebenso wie das Tragen von Gegenständen. Wer sich in der modernen Welt an all diese Regeln halten will, steht regelmäßig vor großen Herausforderungen. Tzvi Shevchenko (Name von der Redaktion geändert) ist einer von denen, die sich intensiv darum bemühen. „Die Religion spielt die Hauptrolle in meinem Leben“, betont der orthodoxe Jude. „Ich versuche darum, mich so gut es geht nach den Geboten der Tora zu richten.“

Um das mit der Arbeit vereinbaren zu können, ist der gebürtige Ukrainer, der seit acht Jahren in Bremen lebt, Taxifahrer geworden. Ursprünglich hatte er an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Sicherheitsmanagement studiert – fand aber anschließend in seinem Beruf keinen Job, bei dem er am Schabbat nicht hätte arbeiten müssen. Er bewerbe sich grundsätzlich nur um Stellen, bei denen klar sei, dass er freitags und samstags frei habe, sagt Shevchenko. Für seinen jetzigen Chef sei das kein Problem: „Wir haben vereinbart, dass ich sage, an welchen Tagen ich fahren kann. Und viele Kollegen arbeiten gerne am Wochenende, weil dann mehr los ist.“

Für wichtige jüdische Feiertage wie den Versöhnungstag Jom Kippur oder den jüdischen Neujahrstag Rosch Haschana nimmt sich der 33-Jährige rechtzeitig Urlaub, um zum Beten in die Synagoge gehen zu können. Von sich aus erzähle er niemandem, dass er Jude sei. „Man weiß ja nie, an wen man gerät. Aber wenn ich gefragt werde, spreche ich auch darüber.“ Er habe bei der Arbeit erst ein einziges Mal eine unangenehme Situation erlebt, als ein Fahrgast zunächst nicht mit ihm fahren und ihn dann nicht bezahlen wollte. Insgesamt wünsche er sich in der Arbeitswelt ein größeres Verständnis für jüdische Belange: „Ich weiß zum Beispiel von anderen aus der jüdischen Gemeinde, dass ihnen bei der Arbeit vorgeworfen wird, sie würden eine Extrawurst beanspruchen, wenn sie samstags nicht arbeiten wollen. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass das einfach ein wesentlicher Bestandteil unserer Religion ist.“

 „Gerade Beschäftigte in einfachen Berufen haben Angst um ihre Jobs, wenn sie sich für den Besuch der Synagoge freinehmen wollen.“

Elvira Noa, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bremen 

Verbindliche Regelungen fehlen

Rund zehn Prozent der 900 Mitglieder der jüdischen Gemeinde Bremen nehmen ihren Glauben so ernst, dass sie an jüdischen Feiertagen grundsätzlich nicht arbeiten, schätzt deren Vorsitzende Elvira Noa. Kürzlich habe sie mit dem Programmierer einer großen Firma gesprochen, der erreicht habe, dass er am Schabbat nur erlaubte Tätigkeiten erledigen müsse – also zum Beispiel Kollegen anleiten anstatt am Computer zu arbeiten. „Wer wirklich religiös ist, muss irgendwie sehen, wie er das hinbekommt. Alles andere würde zu großen Gewissenskonflikten führen.“ Noa weiß von früheren Gemeindemitgliedern, die deswegen nach Israel ausgewandert sind, weil die dortige Arbeitswelt besser auf die jüdischen Gesetze abgestimmt ist. Einen offenen Umgang mit diesen Themen schon im Bewerbungsgespräch hält sie für nicht unbedingt ratsam: „Selbst wenn der Arbeitgeber sehr tolerant und nicht antisemitisch ist, könnte es für ihn schwer sein zu verstehen, dass manchen Menschen ihre Religion so wichtig ist.“ Die Erfahrung zeige, dass sich einige Bremer Arbeitgeber mit solchen Fragen schwertäten. Das wird nach ihrer Aussage zum Beispiel dann deutlich, wenn ein jüdischer Feiertag auf einen Wochentag fällt. Die jüdischen Gebote schreiben vor, dass zum Durchführen eines Gottesdienstes mindestens zehn Männer anwesend sein müssen. Die seien aber häufig schwer zu finden: „Gerade Beschäftigte in einfachen Berufen haben Angst um ihre Jobs, wenn sie sich für den Besuch der Synagoge freinehmen wollen“, hat die Gemeindevorsitzende festgestellt.

Insgesamt bemühen sich Arbeitgeber, eine neutrale Position gegenüber religiösen Bedürfnissen ihrer Beschäftigten einzunehmen: Das ist eines der Zwischenergebnisse des Projekts „Spiritualität und Religiosität am Arbeitsplatz“, in dem Forschende der Fakultät für Betriebswirtschaft der Universität Hamburg aktuell den Umgang von Unternehmen mit unterschiedlichen Fragen aus diesem Themenfeld untersuchen. Nur eine kleine Gruppe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern charakterisiert sich selbst demnach als sehr spirituell oder religiös und formuliert entsprechende Bedürfnisse. „Das kann sich als innere Haltung ausdrücken“, erläutert Projektleiterin Professorin Dorothea Alewell. „Aber auch als konkretes Bedürfnis, Gebetspausen machen zu können oder eine religionsgerechte Ernährung in der Betriebskantine zu bekommen.“ Auch der Wunsch, an religiösen Feiertagen freinehmen zu können, werde hin und wieder geäußert. Für Christen sei das seltener ein Problem als zum Beispiel für Juden, weil es in Deutschland eine hohe Übereinstimmung zwischen den christlichen und den gesetzlichen Feiertagen gebe. Häufig würden solche religiösen Anfragen im Rahmen allgemeiner Urlaubs-, Pausen- und Feiertagsregeln behandelt, manchmal auch über Einzelabsprachen mit den jeweiligen Vorgesetzten. „Allgemeingültige, verbindliche und konkrete Regeln oder Anweisungen zum Umgang mit Religionsfragen auf Organisationsebene gibt es unserer Kenntnis nach eher selten“, berichtet Alewell.

Zwischen zwei Welten

So erlebt es auch Renata Bas. Die in Moldawien geborene Musikwissenschaftlerin lebt seit 1994 in Bremen und ist als Musiklehrerin an der Kreismusikschule Verden angestellt, wo sie nach eigener Aussage auf viel Verständnis und Interesse an ihrer Religion trifft. „Für die Leiterin war es von Anfang an in Ordnung, dass ich nur montags bis donnerstags arbeite“, berichtet sie, „darum habe ich mit dem Einhalten des Schabbat keine Probleme.“ Schwieriger ist es da schon an den jüdischen Feiertagen, weil sie nicht so ohne Weiteres den Unterricht absagen kann. „Wenn es geht, versuche ich Gruppen zu verschieben. Aber immer ist das nicht möglich, darum ist da ein ständiger Konflikt in mir.“ An solchen Tagen müsse sie „zwischen zwei Welten schwimmen“, was sie als sehr belastend empfinde.

Um koscher essen zu können, hat sich die 54-Jährige eine zweistündige Mittagspause organisiert, in der sie nach Hause fährt. Wenn sie doch einmal außerhalb essen will, hat sie ein Brötchen, einen Salat oder Ähnliches dabei. Bei der Arbeit sei sie ein glücklicher Mensch, sagt sie über sich selbst: „Ich habe mich noch nie wegen meiner Religion unwohl gefühlt und trage auch immer eine Kette mit Davidstern um den Hals.“ Besonders gut gefällt es ihr, dass ihr Jüdisch-Sein im Kollegium als selbstverständlich und nicht als exotisch aufgenommen wird. „Mich hat zum Beispiel sehr berührt, als wir vor ein paar Jahren über einen Termin für die Weihnachtsfeier diskutiert haben und die Leiterin gleich sagte: Freitag geht nicht, da hat Renata Schabbat.“ Und auch mit den Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern aus unterschiedlichen Kulturen habe sie schon viele tolle Erlebnisse gehabt. „Wenn dich die Kinder lieben, sind die Eltern so dankbar, da gibt es keine Vorurteile. Da geht es um Musik und Emotionen, nicht um Religion oder religiöse Differenzen.“