Menschliche Arbeit in Zeiten der Digitalisierung

Wie kann sich Bremen für die Anforderungen der nächsten Jahrzehnte rüsten?

Ersetzen Maschinen nach und nach die Arbeit von Menschen? Wie kann faire Beschäftigung in Zeiten der Digitalisierung aussehen? Es werden Arbeitsplätze verloren gehen – aber auch neue enstehen, meint Arbeitnehmerkammer-Geschäftsführerin Elke Heyduck.

Foto: Unsplash

1. Mai 2021

Welche Folgen wird die Digitalisierung in den kommenden ein bis zwei Jahrzehnten für die Bremer Arbeitswelt haben?

Elke Heyduck: „Was man hier sicher zunächst betonen muss: Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Digitalisierung ist nicht der einzige ,Megatrend‘, mit dem wir in den kommenden Jahrzehnten umgehen werden. Wir haben auch eine Alterung der Gesellschaft, weniger Menschen stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, in den nächsten 10 Jahren gehen sehr, sehr viele Fachkräfte in Rente. Dafür müssen mehr Menschen gepflegt werden, der Gesundheitssektor wird weiter wachsen. Wir haben außerdem einen Klimawandel und eine ökologische Wende – auch dieser Megatrend wird Arbeitsplätze kosten, er wird aber auch welche aufbauen, zum Beispiel weil Gebäude energetisch saniert werden oder Ladesäulen für Elektroautos gebaut werden. Und so ist es auch mit der Digitalisierung: Es werden Arbeitsplätze verloren gehen, aber es werden auch sehr viele neue entstehen. Unterm Strich wird es – auch seriösen Prognosen zufolge – eher zu Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt kommen als zu umfangreichen Arbeitsplatzverlusten.“

Gibt es Branchen, die besonders betroffen sind? 

„Wenn man über Digitalisierung spricht, kommt einem sofort die Industrie in den Sinn. Und in der Tat werden die Folgen hier sehr spürbar sein – mit Robotern, mit 3D-Druck, mit digitaler Vernetzung werden viele Fertigungsprozesse effektiver – und das heißt auch, mit weniger Arbeitskräften machbar sein. Und Bremen ist Industriestandort, also müssen wir hier mit Verlusten durch Digitalisierung rechnen. Auch in der Logistik – Bremen hat hier hohe Beschäftigungsanteile – kann die Digitalisierung in den kommenden Jahrzehnten Arbeitsplatzverluste bedeuten, insbesondere durch autonomes Fahren und selbststeuernde Systeme in der Lagerlogistik. Aber: Zugleich wächst diese Branche, weil die Industrie immer arbeitsteiliger wird, weil der Onlinehandel boomt, weil die weltweite Vernetzung voranschreitet – hier wird also andererseits auch Beschäftigung aufgebaut. Und ob und wann das autonome Fahren tatsächlich in freier Wildbahn stattfinden kann, das weiß heute keiner. Nicht alles, was möglich ist, wird auch gemacht. Und dann gibt es bedeutende Dienstleistungsbranchen, die betroffen sein werden, und die wir zu Unrecht viel zu selten im Blick haben.“

Welche sind das? 

„Das sind die klassischen Tätigkeiten im Büro, die Sachbearbeitung, das Personalwesen, auch einfache Finanz- oder Rechtsberatung können durch Chatbots, durch Künstliche Intelligenz zum Teil vollständig ersetzt werden.  Und dann ist da natürlich der Einzelhandel – er bekommt es von zwei Seiten: Der Onlinehandel bedroht den präsenten Handel und RFID Chips und Selbstscankassen machen vielleicht Kassiererinnen überflüssig. Nur auch hier: Es gibt schon Läden, die kommen vollständig ohne Personal aus, aber ein solches Konzept wird sich natürlich nicht flächendeckend durchsetzen – denn zugleich boomt der Erlebniseinkauf, da braucht man Menschen und auch im Onlinehandel entstehen ja Arbeitsplätze. Sehr viele Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung sind von dieser Doppelgesichtigkeit geprägt – hier gehen Arbeitsplätze verloren und dort entstehen neue.“

Worauf müssen sich die Beschäftigten einstellen? 

„Fangen wir mal so an: In sehr vielen Berufen werden digitale Kompetenzen künftig viel wichtiger werden – auch in Jobs, an die wir noch gar nicht denken. Der Heizungsmechaniker muss ein elektronisches Gerät aus der Ferne reparieren, der Dachdecker muss eine Drohne steuern können, die das Loch im Dach findet, die Pflegekraft muss mit digitalen Geräten Daten übermitteln, der Schuster und der Bäcker werden irgendwann mit dem 3D-Drucker arbeiten und müssen ihn programmieren können: Wir brauchen also eine bereite digitale Kompetenz bei sehr, sehr vielen Beschäftigten. Und das heißt etwas für unsere Bildungseinrichtungen – für die Schulen, die Berufsschulen, die Weiterbildung Berufstätiger und Arbeitsloser. Von der Qualität dieser Institutionen wird es abhängen, ob Betriebe und Beschäftigte in einer Region Schritt halten können.“

„Durch Digitalisierung wird sich die Produktivität, wird sich der Gewinn in vielen Betrieben steigern lassen – diese sogenannte Digitalisierungsdividende muss auch bei den Beschäftigten ankommen.“
Elke Heyduck

Welche Weichenstellungen müssen jetzt vollzogen werden, damit eine digitalisierte Arbeitswelt auch eine halbwegs attraktive Arbeitswelt bleibt aus Sicht der Beschäftigten?

„Ein wichtiges Stichwort ist hier ganz sicher die Qualifizierung. Unserer Befragung zufolge sagt die Mehrheit der Beschäftigten, dass die Anforderungen durch Digitalisierung gestiegen sind, dass aber die Weiterbildungsangebote im Betrieb damit nicht Schritt halten. Und wir brauchen auch für die Beschäftigten, deren Tätigkeiten tatsächlich wegfallen, umfangreiche Angebote, um einen neuen Beruf in einer anderen Branche ergreifen zu können. In der Industrie wird es häufiger Möglichkeiten geben, sich zum Beispiel von der Montagearbeit auf den Anlagenwart weiterzubilden. Bei einer Sachbearbeiterin könnten solche Aufstiege schwerer zu realisieren sein. Deswegen brauchen wir auch ein Recht auf Weiterbildung – weil eine solche Maßnahme nicht allein vom Arbeitgeber abhängen darf. Natürlich ist es wichtig, dass wir auch über Einkommen sprechen: Durch Digitalisierung wird sich die Produktivität, wird sich der Gewinn in vielen Betrieben steigern lassen – diese sogenannte Digitalisierungsdividende muss auch bei den Beschäftigten ankommen. Und wenn Menschen mit Maschinen konkurrieren, darf das nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden – nach dem Motto, Du kannst hier so lange arbeiten, bis die Maschine das billiger macht oder Du bist dann eben mit weniger Lohn zufrieden. Also müssen wir die Tarifbindung stärken, den Mindestlohn angemessen ausgestalten, die Mitbestimmung in Betrieben ausweiten und erleichtern, damit menschliche Arbeit weiter unter guten Bedingungen stattfinden kann.“

Auch im Bereich Datenschutz birgt die Digitalisierung einige Fallstricke...

„Durch digitale Techniken werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leichter kontrollierbar. Wann loggt sich jemand ein und aus? Wo ist das GPS-Signal vom Mitarbeiter-Handy gerade? Darf der Arbeitgeber beim Homeoffice mit der Kamera in mein Wohnzimmer? Wie viele digital gesteuerte Bestellvorgänge hat der Mitarbeiter in einer Stunde erledigt? Weil das wichtige Fragen sind, müssen Betriebsräte auf die Einführung neuer Techniken gucken und sich auch neue Kompetenzen aneignen.“

Wie sehen die Perspektiven für Geringqualifizierte aus?

„Die allermeisten Prognosen gehen davon aus, dass durch Digitalisierung einfache Tätigkeiten eher abnehmen werden – nicht alle übrigens! Also wird es künftig noch viel wichtiger, dass  junge Leute nicht ohne Berufsabschluss ins Erwerbsleben starten – und das darf ebenfalls nicht allein in der Hand der Betriebe liegen, hier gibt es eine hohe staatliche Verantwortung. Und bei den jetzt Ungelernten auf dem Arbeitsmarkt müssen ebenfalls Schritte unternommen werden, sie zu einem Berufsabschluss zu führen. Arbeitsmarktpolitik –nicht nur für Arbeitslose sondern auch für schon Beschäftigte – wird einen ungleich höheren Stellenwert bekommen.“