Februar 2025
Text: Dr. Alexandra Krause und Moritz Düwell
Foto: iStock
Erwerbslosigkeitsbericht 2024
Arbeitslosigkeit steigt – folgenschwere Kürzungen bei Angeboten für nicht-deutsche und für langzeitarbeitslose Menschen
Zwei Entwicklungen setzen den Arbeitsmarkt im Land Bremen unter Druck: einerseits die aktuelle Konjunkturkrise und andererseits die digitale und ökologische Transformation der Wirtschaft. Während Unternehmen in bestimmten Berufsgruppen händeringend Fachkräfte suchen, hat die Arbeitslosigkeit in Bremen und Bremerhaven im vergangenen Jahr zugenommen. Für einen Arbeitsmarkt, der schon durch eine hohe Arbeitslosigkeit geprägt ist, stellt der weitere Anstieg eine besondere Herausforderung dar. Es gilt unbedingt zu vermeiden, dass damit auch die Langzeitarbeitslosigkeit weiter steigt.
Ausgerechnet in dieser Lage drohen nicht nur weitere Kürzungen im Budget der Jobcenter durch den Bund. Diese Kürzungen haben zuletzt die Fördermaßnahmen für langzeitarbeitslose Menschen besonders hart getroffen. Sie haben aber auch alle Arbeitsuchenden mit ausländischem Pass empfindlich getroffen, denn die Kürzungen im Etat der Jobcenter bremsen den Jobturbo aus. Damit nicht genug: Die Kürzungen bei den Sprachkursen im Rahmen der Integrationskursverordnung des Bundes rücken den dringend erforderten Ausbau berufsbegleitender Sprachförderung in weite Ferne.
Beide Zielgruppen, nicht-deutsche Arbeitsuchende und langzeitarbeitslose Menschen, leiden zusätzlich unter den Kürzungen der Fördermittel aus dem Europäischen Sozialfonds. Über diesen Fonds hat das Land Bremen in den letzten Jahren für beide Zielgruppen Angebotslücken geschlossen. Ausgerechnet in dieser Situation musste die Landespolitik einen Sparhaushalt verabschieden, so dass kaum noch Spielraum dafür besteht, finanzielle Lücken aus Landesmitteln zu schließen.
Die aktuelle Situation ist also dramatisch, droht sich weiter zu verschlechtern und ist Anlass, einen genaueren Blick auf die Arbeitslosigkeit im Land Bremen und die Folgen für diese beiden Zielgruppen zu werfen.
Hohe Arbeitslosigkeit trotz Beschäftigungswachstums
Zwischen 2014 und 2024 haben private und öffentlich geförderte Arbeitgeber in Bremen und Bremerhaven fast 40.000 sozialversicherte Jobs neu geschaffen, sodass die sozialversicherte Beschäftigung um 12,7 Prozent wachsen konnte. Damit lag das Land Bremen knapp unter dem Bundestrend: Bundesweit nahm die sozialversicherte Beschäftigung um 15,5 Prozent zu.
Anders als im Bundestrend konnte das Beschäftigungswachstum im Land Bremen allerdings nicht genutzt werden, um die Arbeitslosigkeit zu verringern.
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Langzeitarbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen und Bremen am häufigsten
Als langzeitarbeitslos gilt in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit, wer seit zwölf Monaten oder länger arbeitslos gemeldet ist.1 Im Jahresdurchschnitt 2024 waren in Bremen gut 13.200 Menschen und in Bremerhaven knapp 3.700 Menschen seit mindestens einem Jahr arbeitslos. Arbeitslose Menschen mit Arbeitsort Bremerhaven und Arbeitsort Bremen hatten ein vergleichbares Risiko, ein Jahr oder länger arbeitslos zu bleiben: Der Anteil langzeitarbeitsloser an allen arbeitslos gemeldeten Personen lag in Bremen bei 41,2 Prozent und in Bremerhaven bei 40,9 Prozent. 2024 war die Langzeitarbeitslosigkeit nur in Nordrhein-Westfalen so hoch wie im Land Bremen. Das Land Bremen erreichte einen Anteil von 41,2 Prozent, Nordrhein-Westfalen 40,8 Prozent und der Bundesdurchschnitt lag bei 34,9 Prozent.
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Zu viele Menschen ohne Berufsabschluss, zu wenige Jobs im Helferbereich
Im Jahr 2023 haben bundesweit durchschnittlich 1,37 Millionen Menschen einen Helferjob gesucht. Die Arbeitsmarktstatistik definiert diese Tätigkeiten so, dass sie keine Ausbildung oder höchstens eine einjährige Ausbildung voraussetzen. Demgegenüber wurden im Durchschnitt nur 157.000 Arbeitsstellen für dieses Anforderungsniveau gemeldet.2 Auch für Bremen und Bremerhaven ist dieses Phänomen charakteristisch.
Von den 41.116 Menschen, die im Land Bremen im Jahr 2024 durchschnittlich arbeitslos waren, hatten 27.595, also 67,1 Prozent, keinen Berufsabschluss. Zum Vergleich: Bundesweit lag dieser Anteil im Juni 2024 bei 55,1 Prozent. Auf keinem der höheren Anforderungsniveaus sind Angebot und Nachfrage im Jahr 2024 so stark auseinandergefallen wie auf dem Helfer*innen-Niveau. Die fehlende Passung der beruflichen Qualifikationen kommt noch dazu.
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Überdurchschnittliche Arbeitslosigkeitsrisiken für nicht-deutsche Beschäftigte
Der Anteil langzeitarbeitsloser an allen arbeitslos gemeldeten Menschen ist während der Corona-Pandemie zunächst stark gestiegen, dann aber auch schnell wieder deutlich gesunken – sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven. Diese Krisenerfahrung veranschaulicht die hohe Dynamik an Zu- und Abgängen in und aus Arbeitslosigkeit, die auch den Arbeitsmarkt im Land Bremen mit seiner hohen Arbeitslosenquote kennzeichnet. Geprägt wurde die Entwicklung in den vergangenen Jahren zunehmend durch Arbeitsuchende mit ausländischem Pass. Zwischen 2014 und 2024 hat sich die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen mit ausländischem Pass im Land Bremen von rund 9.200 auf etwa 18.700 im jahresdurchschnittlichen Bestand fast verdoppelt.3 Im selben Zeitraum ist der Anteil an allen arbeitslosen Menschen hingegen mit etwa einem Viertel relativ konstant geblieben. Zugleich wird das Beschäftigungswachstum aufgrund des demografischen Wandels bundesweit inzwischen ausschließlich von Menschen mit ausländischem Pass geschultert.4
Über die besonderen Arbeitsmarktrisiken nicht-deutscher Beschäftigter haben wir mit Arbeitsmarktforscher Dr. Sekou Keita gesprochen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen internationale Migration und Arbeitsmarktintegration von Migrant*innen und Flüchtlingen. Er interessiert sich auch für die Entwicklungsökonomie mit den Schwerpunkten Bildung und Funktionen der Sprache.
„Ich bin überzeugt, dass sich diese Investition auszahlt“
Schlechte Aussicht auf einen existenzsichernden Job: langzeitarbeitslose Menschen im Land Bremen
Im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre waren 12.900 Bremer*innen und 3.300 Bremerhavener*innen seit mindestens einem Jahr arbeitslos. Darunter waren durchschnittlich 3.600 Bremer*innen und 960 Bremerhavener*innen, bei denen die Arbeitslosigkeit schon vier Jahre und länger andauerte. Auch der Anteil der arbeitslosen Menschen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, ist in den vergangenen zehn Jahren im Land Bremen deutlich gestiegen – von 60,1 Prozent im Jahr 2014 auf 67 Prozent im Jahr 2024. In der Stadt Bremen ist ihr Anteil in diesem Zeitraum von 60 Prozent auf 66 Prozent, in Bremerhaven von 62 Prozent auf 69 Prozent angestiegen. Und dieser Anteil ist unter denen, die seit einem Jahr und länger arbeitslos sind und damit als langzeitarbeitslos gelten, noch einmal deutlich höher: Im Jahresdurchschnitt 2024 waren es in Bremen 73 Prozent und in Bremerhaven 72 Prozent.
Die Arbeitsförderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Arbeitslosigkeit tritt manchmal schnell und unerwartet ein. Viele Beschäftigte erleben aber auch längere Phasen der Unsicherheit, bis das Unternehmen die betroffenen Arbeitsplätze endgültig abbaut. Die anschließende Jobsuche wird umso entmutigender, je weniger Stellen auf dem regionalen Arbeitsmarkt zur eigenen Ausbildung und Berufserfahrung passen. Dennoch kommt es gerade dann darauf an, nicht lange arbeitslos zu bleiben. Unternehmen bevorzugen bei der Besetzung der wenigen offenen Stellen in der Regel die Bewerber*innen, die direkt aus einem anderen Job wechseln möchten oder ihre Erwerbstätigkeit nur kurz unterbrochen haben. Die Arbeitsagenturen bieten Jobsuchenden in dieser Situation neben der Arbeitsvermittlung eine ganze Bandbreite von Maßnahmen an, mit denen sie ihre Arbeitsmarktchancen verbessern und Lücken in ihrer Erwerbsbiografie vermeiden können.
Teilhabe am Arbeitsmarkt – immer weniger Fördertreppen mit geringem Arbeitsmarkteffekt
Je länger Menschen arbeitslos sind, desto schwierig wird es für sie, auch nach mehrfacher Förderung durch die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik, wieder eine existenzsichernde sozialversicherte Arbeit aufzunehmen. Warum das ohne die Förderung nicht klappt, hat viele Gründe: Gerade bei hoher regionaler Arbeitslosigkeit, wie seit Langem in Bremen und Bremerhaven, haben Unternehmen vor allem für offene Stellen, die keinen formalen Berufsabschluss erfordern, genügend Bewerbungen und wählen andere als langzeitarbeitslose Bewerber*innen aus. Fast zwei Drittel der langzeitarbeitslosen Menschen fehlt auch der Berufsabschluss. Und dann gibt es sehr unterschiedliche persönliche Lebenssituationen und Biografien, die es Menschen sehr schwer machen, ohne Förderung im Arbeitsleben mitzuhalten. Gesundheitliche Einschränkungen, seien sie körperlich oder psychisch, spielen häufig eine wichtige Rolle.
Gerade dann, wenn Menschen länger arbeitslos sind und ihre Chance, über eine Maßnahme des Jobcenters wieder zurück in den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt zu werden, aufgrund der Arbeitsmarktlage objektiv immer kleiner wird, ist es für viele Menschen aber umso wichtiger, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen. Es geht darum, die eigene Lebens- und Arbeitsperspektive zu stabilisieren und die Perspektive auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch Arbeit nicht zu verlieren. Der Instrumentenkasten der Jobcenter wurde deshalb gerade erst grundlegend erweitert. Aus Sicht der Fachwelt haben sich gerade die Förderinstrumente „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ nach § 16i SGB II und das ganzheitliche Coaching nach § 16k SGB II bewährt. Aufgrund der Kürzungen durch den Bund rückt die Förderung langzeitarbeitsloser Menschen bundesweit jedoch wieder in den Hintergrund, bevor diese Instrumente überhaupt ihre Wirkung ganz entfalten konnten. Die für eine bessere langfristige Reintegration in den Arbeitsmarkt erforderlichen mehrjährigen Fördertreppen gelten als zu teuer.
Hinzu kommt, dass auch die Jobcenter in Bremen und Bremerhaven ihre Ausgaben für diese Säule der Arbeitsförderung auf den Bundesdurchschnitt senken sollen, obwohl die Langzeitarbeitslosigkeit in beiden Städten so hoch ist. Infolge der Kürzungen sind bereits viele Arbeitsgelegenheiten für langzeitarbeitslose Menschen weggefallen. Und auch die Förderung nach § 16i SGB II wurde zurückgefahren. Die geringe Vermittlungsquote in sozialversicherte Beschäftigung wird als entscheidender Grund dafür genannt. Die Fachwelt antwortet darauf mit der Forderung nach einem sozialen Arbeitsmarkt, der Menschen unabhängig davon, dass sie am Ende wieder in einem ungeförderten Beschäftigungsverhältnis arbeiten, die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht. Auch dafür braucht es Fördermittel, die zurzeit nicht in Sicht sind.
Wir haben mit Janne, deren Arbeitsgelegenheit Ende letzten Jahres ausgelaufen ist, darüber gesprochen, was die aktuellen Kürzungen für sie bedeuten:
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Unsere Informationen zum DatenschutzZum VideoWider den Vorwurf der Totalverweigerung: Aufklärung der Armutsforschung über die Lebenslage langzeitarbeitsloser Menschen
Im letzten Jahr wurde die politische Diskussion darüber, unter welchen Bedingungen langzeitarbeitslose Menschen, die Bürgergeld beziehen, diese Unterstützung durch die Gesellschaft überhaupt verdienen, extrem zugespitzt. Häufig stand letztlich der Vorwurf im Raum, ein erheblicher Teil der langzeitarbeitslosen Menschen würde es bewusst verweigern, wieder eine Arbeit aufzunehmen. Einerseits wird damit unterstellt, dass sich viele der langzeitarbeitslosen Menschen selbst helfen könnten. Fehlende Arbeitsplätze, der fehlende Berufsabschluss und eben auch individuelle Belastungen, vor allem gesundheitliche Einschränkungen, sind der Grund, weshalb es langzeitarbeitslosen Menschen in vielen Fällen ohne Förderung schlicht nicht möglich ist, eine Arbeit aufzunehmen. Andererseits spricht der Vorwurf der „Totalverweigerung“ Menschen, die langzeitarbeitslos sind, aber auch ab, dass sie sich überhaupt noch um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bemühen würden. Die soziologische und sozialpsychologische Forschung zeigt, dass in der Regel genau das Gegenteil der Fall ist.
Wir haben mit Prof. Dr. Kai Marquardsen über die Lebenslage langzeitarbeitsloser Menschen gesprochen. Er ist Professor für Armut und soziale Ungleichheit an der Fachhochschule Kiel und hat dazu geforscht, wie Menschen mit Langzeitarbeitslosigkeit leben. Im Nomos-Verlag hat er 2022 das Handbuch Armutsforschung für Wissenschaft und Praxis herausgegeben.
Sinkende Ausgaben, steigende Bedarfe: Die Lage der Zielgruppe spitzt sich dramatisch zu
Das Angebot der Arbeitsförderung hat sich für Menschen, die schon länger arbeitslos sind, deutlich verschlechtert. 2024 waren im Land Bremen fast 17.000 Menschen langzeitarbeitslos, davon fast 10.000 Menschen zwei Jahre oder länger.5 Hinzu kommen Kund*innen des Jobcenters, die nicht in die Arbeitslosigkeitsstatistik eingegangen sind, weil sie, zum Beispiel wegen Krankheit, zeitweise nicht arbeiten konnten. Auch unter ihnen sind viele auf spezifische Angebote der Arbeitsförderung angewiesen, um wieder eine Beschäftigung aufnehmen zu können.6
Erst seit sechs Jahren stellt die Arbeitsförderung zwei Instrumente zur Verfügung, die langzeitarbeitslose Menschen gezielter fördern: das Instrument zur „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ (§ 16e SGB II) wurde angepasst und das Instrument zur „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) neu eingeführt. Beide Instrumente sind mit eindeutigem Ergebnis wissenschaftlich evaluiert worden: Als Angebot der Arbeitsförderung für langzeitarbeitslose Menschen bzw. Menschen im Langzeitleistungsbezug sind sie „unverzichtbar“. Mit ihrem Blick auf das große Ganze der Arbeitsmarktzusammenhänge nennen die Wissenschaftler*innen die „Verfestigung von Arbeitslosigkeit“ als Grund.7
Dass die Rückkehr in ungeförderte Beschäftigung für arbeitslose Menschen mit der Zeit immer schwieriger wird, erklärt die Forschung aus dem Zusammenwirken vieler Faktoren, zu denen insbesondere die Belastungen und Folgen dauerhafter Armut gehören. Aber auch fehlende oder am Arbeitsmarkt nicht (mehr) verwertbare Qualifikationen sowie die fehlende Bereitschaft von Unternehmen, langzeitarbeitslosen Menschen Chancen zu geben, gehören dazu.8
Trotzdem wurde die Beschäftigungsförderung durch die Jobcenter in den letzten Jahren zum Teil erheblich zurückgefahren.9 Allein für die Teilhabe am Arbeitsmarkt (§ 16i SGB II) waren bundesweit 150.000 Plätze angepeilt. Dafür wurde der Bundeshaushalt bis 2022 gezielt um 4 Milliarden Euro aufgestockt. Bereits seit 2022 geht die Nutzung des Instruments kontinuierlich zurück, bevor die veranschlagte Anzahl an Plätzen überhaupt erreicht werden konnte. Zeitgleich wurden auch Arbeitsgelegenheiten zurückgefahren, die häufig als Baustein individueller Förderketten zurück in Beschäftigung genutzt werden.
Die bestehenden Angebote perspektivlos zu streichen, wird für viele der bisher an beschäftigungsfördernden Maßnahmen teilnehmenden Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit zur Folge haben, dass sich ihre Lebenssituation wieder deutlich verschlechtert.10
Gebot der Stunde: Angebote weiterentwickeln – gerade jetzt!
Wir haben in den letzten Monaten mit Trägern, Betroffenen und weiteren Expert*innen über auslaufende oder gekürzte Förderungen gesprochen. Dabei ging es immer wieder um zwei Fragen:
- Wie viele Kürzungen verträgt die bestehende Infrastruktur für langzeitarbeitslose Menschen noch, ohne dass die etablierte Verzahnung der Quartiersförderung mit der individuellen Arbeitsförderung faktisch aufgegeben wird?
- Welche strategische Entwicklung braucht die Förderung langzeitarbeitsloser Menschen, um die verfügbaren Mittel bestmöglich einsetzen zu können?
Wertvolle Hinweise darauf, wo die dafür erforderlichen Bedarfsermittlungen und Priorisierungen ansetzen sollten, haben wir von den Teilnehmenden selbst bekommen. Sie bekräftigen unser Plädoyer, sich gerade jetzt in einem Dialogprozess zwischen Fördermittelgebern und Förderpraxis um die fachliche Weiterentwicklung der Förderung langzeitarbeitsloser Menschen zu bemühen. Aktuell dominieren – unserer Wahrnehmung nach viel zu einseitig – Hinweise auf beschränkte Zuständigkeiten und Budgets die Entscheidungsfindung über die Zukunft der Förderung. Ein breiter Dialogprozess könnte sicherstellen, dass die Bedarfslagen der Zielgruppe in diesem Prozess wieder mehr Gewicht bekommen – ganz im Sinne der vom Deutschen Verein in seinen Empfehlungen von 2019 geforderten örtlichen Umsetzungskonzepte für die Gestaltung der Teilhabe am Arbeitsmarkt. 11
„Die Arbeitsgelegenheit hat mir gezeigt, dass ich leisten kann, wenn das Umfeld stimmt“
Die Teilnehmenden an den Angeboten der öffentlich geförderten Beschäftigung setzen sich, dem Ziel der Arbeitsförderung entsprechend, selbst intensiv mit ihrer individuellen Lebenssituation und ihren individuellen Wettbewerbsnachteilen auf dem Arbeitsmarkt auseinander. Über die Beschäftigungsförderung konnten sie oft klare Einschätzungen entwickeln, in welchen Tätigkeitsbereichen, unter welchen Rahmenbedingungen und in welchem Arbeitsumfeld sie auch mit einer dauerhaft eingeschränkten Belastbarkeit ihrer Arbeitskraft sehr wohl arbeiten können.
Zwei Fragen wurden in den Kürzungsdebatten von verschiedenen Entscheidungsträger*innen immer wieder aufgebracht:
- Kann es überhaupt Aufgabe der Arbeitsförderung sein, Menschen Tagesstrukturen zu vermitteln? Mehr oder weniger ausdrücklich schwang dabei unserer Wahrnehmung nach oft der grundsätzliche Zweifel mit, ob es Menschen nach langer Arbeitslosigkeit überhaupt noch gelingen könne, die Anforderungen der Arbeitswelt zuverlässig zu erfüllen.
- Ergibt die arbeitsmarktferne Ausgestaltung von Arbeitsgelegenheiten durch die Träger überhaupt Sinn, weil damit doch auch ihr Beitrag zur Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmenden selbst gering sein muss – so der Rückschluss?
Tagesstruktur: wichtige Leistung der Arbeitsförderung für langzeitarbeitslose Teilnehmende
Die in § 16d SGB II geregelten Arbeitsgelegenheiten sind anderen Angeboten zur Eingliederung in Arbeit gegenüber nachrangig. Sie kommen also genau dann zum Einsatz, wenn die unmittelbare Arbeitsaufnahme ansonsten unwahrscheinlich ist. Dann bieten sie Unterstützung zum Erhalt oder zur Wiedererlangung der Beschäftigungsfähigkeit. Die fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit schreiben dem Einsatz von Arbeitsgelegenheiten folgende, als Vier-Phasen-Modell gedachte Funktionen zu:
- Heranführen an das Arbeitsleben (Tagesstruktur),
- Arbeits- und Sozialverhalten stärken,
- Perspektiven verändern,
- Individuelle Wettbewerbsnachteile ausgleichen.12
Für die Teilnehmenden, mit denen wir gesprochen haben, spielen sowohl ihre psychische Stabilisierung als auch die Stabilisierung ihrer Lebenssituation durch die Fördermaßnahme eine zentrale Rolle. Ihre Erzählungen legen sehr genau dar, in welcher Phase sie auf welche Weise von ihrer Förderung profitieren konnten:
- Die Teilnehmenden wünschen sich eine tägliche Aufgabe, die ihren Tag strukturiert und ihnen ermöglicht, an einem sinnvollen Projekt zu arbeiten. Sie brauchen diese Möglichkeit, um nicht an ihrer Situation zu verzweifeln, positiv formuliert: für ihre eigene psychische Stabilität. Einige Gesprächspartner*innen schätzen es so ein, dass sie ohne diese Option abgestürzt wären – was auch immer das im Einzelfall bedeutet hätte. Andere sehen darin rückblickend den ersten wichtigen Schritt zurück in die Arbeitswelt.
- Die Teilnehmenden haben den vertrauensvollen Austauschmit einer sozialpädagogischen Fachkraft gebraucht, um eine Perspektive für den Arbeitsmarkt zu entwickeln. Alle Gesprächspartner*innen leben mit extrem belastenden privaten Lebensumständen, wie zum Beispiel Burnout-Erfahrungen, Sucht, dauerhaften psychischen oder physischen Beeinträchtigungen. Sie versuchen, eine damit vereinbare Erwerbsperspektive zu entwickeln. Dafür ist der regelmäßige Austausch sowohl mit Anleiter*innen als auch sozialpädagogischen Fachkräften aus ihrer Sicht zentral.
- Die Teilnehmenden profitieren im nächsten Schritt stark von den Beziehungen zu ihren Kolleg*innen. Den Austausch mit Menschen in ähnlicher Lebenssituation oder mit ähnlicher Biografie betrachten viele unserer Gesprächspartner*innen als Schlüsselerfahrung. Hierbei erlangen sie das Selbstwertgefühl zurück, das sie brauchen, um sich Schritt für Schritt um ihre Jobperspektiven zu kümmern.
- Die Teilnehmenden brauchen Zeit, um zu lernen, wo ihre individuellen Grenzen liegen, was sie stärkt und unter welchen Rahmenbedingungen sie gut arbeiten können. Im Austausch mit den Projektteams und den Kolleg*innen gewinnen sie Sicherheit.
Die Erzählungen unserer Gesprächspartner*innen machen deutlich, wie verkürzt eine Sichtweise ist, die Stabilisierung mit Tagesstruktur gleichsetzt. Ihre Ausführungen haben vielfältige Verbindungen zu den übrigen von der Bundesagentur für Arbeit vorgegebenen Funktionen einer Arbeitsgelegenheit und zeigen auf, was die Arbeitsgelegenheit insgesamt fördert: Wertschätzung, die Teilhabe an einem sinnvollen Arbeitszusammenhang und die Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden, die sie oft durch entwürdigende Grenzerfahrungen in der Arbeitswelt selbst verloren haben.
Arbeitsmarktferne Angebote: sinnvoller Teil der Förderkette
Gerade für Arbeitsgelegenheiten setzt der Gesetzgeber den Maßnahmenträgern durch die Vorgaben der Zusätzlichkeit, des öffentlichen Interesses und der Wettbewerbsneutralität bei der inhaltlichen Ausgestaltung enge Grenzen. In den jüngsten Kürzungsdebatten wurde aus der Arbeitsmarktferne der Tätigkeit immer wieder auf die Unwirksamkeit einer Arbeitsgelegenheit für die Arbeitsmarktintegration der geförderten langzeitarbeitslosen Person zurückgeschlossen.
Im Gegensatz dazu stehen die Erfahrungen der Teilnehmenden. Sie verdeutlichen, welchen Beitrag die Arbeitsgelegenheit unabhängig davon, wie arbeitsmarktnah sie ausgestaltet wurde, für ihre Arbeitsmarktintegration hatte:
- Alle Teilnehmenden konnten durch die geförderte Beschäftigung ihre eigene Belastbarkeit erfahren und schrittweise steigern. Sich im geschützten Raum neue Kompetenzen anzueignen, haben viele als wichtige positive Erfahrung erlebt. Wichtig ist ihnen aber auch das komplementäre Erfahrungsspektrum: zu lernen, was ihnen nicht liegt, und die Möglichkeit zu haben, andere Tätigkeiten auszuprobieren, die ihnen eher liegen können.
- Gerade jüngere Gesprächspartner*innen konnten über die Arbeitsgelegenheit eine Vorstellung ihrer Wunschtätigkeit entwickeln.
- Berufserfahrene Gesprächspartner*innen hatten zum Teil bereits klare Vorstellungen, in welchem Tätigkeitsbereich jenseits ihrer geförderten Beschäftigung sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder eine Beschäftigung aufnehmen möchten. Sie haben die Arbeitsgelegenheit oder 16i-Maßnahme gebraucht, um „sich wiederzufinden“. Die Zeit der geförderten Beschäftigung ermöglicht ihnen, Strategien zu entwickeln, wie sie in Zukunft besser mit dem Druck der Arbeitswelt oder anderer Lebensbereiche umgehen können.
- Die Teilnehmenden nutzen die Gestaltungsflexibilität und Mitbestimmungsmöglichkeiten der geförderten Beschäftigung, um schrittweise herauszufinden, wie ein Job gestaltet sein müsste, damit er passt: Aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen wissen manche, dass sie ausreichend Pause zwischen den Arbeitseinsätzen brauchen; andere konnten sich Klarheit darüber verschaffen, in welchem Arbeitsumfeld sie mit ihrer psychischen Erkrankung besser zurechtkommen; wieder andere wissen, dass sie sich den Träger ihrer Maßnahmen für einen gleitenden Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt als Anlaufstelle wünschen würden, um sich im neuen Arbeitsumfeld behaupten und zum Beispiel über Konfliktsituationen im neuen Job beraten zu können – mit Ansprechpersonen, denen sie vertrauen, die ihre individuelle Situation kennen, sie aber auch als Mitarbeitende schon länger erlebt haben.
Gesellschaftlicher Ausschluss hat ebenso viele Facetten wie gesellschaftliche Teilhabe. Dazu gehören Armut, grenzüberschreitendes, diskriminierendes Verhalten in der Arbeitswelt und anderen Lebensbereichen, Einsamkeit und viele Erfahrungen mehr. Sie hinterlassen Spuren, die Menschen häufig ein Leben lang begleiten. Viele Teilnehmende, mit denen wir uns unterhalten haben, sagen deshalb auch, dass für sie persönlich die Beschäftigungsförderung unentbehrlich war, um die Teilhabe an der Arbeitswelt nach und nach überhaupt wieder als realistisches Ziel ins Auge zu fassen.
Auf arbeitsmarktpolitische Kernfragen konzentrieren, bitte!
Unsere Gesprächspartner*innen wissen den geschützten Rahmen der geförderten Beschäftigung sehr zu schätzen. Sie nutzen ihn, um schrittweise wieder auf mehr Arbeitsstunden aufzustocken und eine Erwerbsperspektive für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu entwickeln. Weil die Phase des Übergangs und Einstiegs in ein ungefördertes Beschäftigungsverhältnis wieder neue Herausforderungen beinhaltet, haben sie uns konkret gesagt, wie diese Übergänge noch besser unterstützt werden können:
- mehr Möglichkeiten, Praktika bei potenziellen Arbeitgebern zu absolvieren.
- mehr Möglichkeiten, sich weiterzubilden, damit sie ihre erworbenen Kompetenzen auch formal nachweisen können.
- eine bessere Vermittlung geeigneter Arbeitgeber durch das Jobcenter, zum Beispiel von Arbeitgebern, die Erfahrung mit psychischen Erkrankungen haben und dafür offen sind.
- grundsätzlich mehr Verständnis in der Wirtschaft für langzeitarbeitslose Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensschicksalen – die Erfahrung, auf keine Bewerbung eine Antwort zu erhalten, ist letztlich für jede*n auf Dauer nur sehr schwer zu ertragen.
Unter anderem die Empfehlungen des Deutschen Vereins bieten eine gute Grundlage, um die relevanten Akteure vor Ort ganz im Sinne dieser Vorschläge der Teilnehmenden selbst noch besser zu vernetzen. Was bleibt, ist die schwierige Arbeitsmarktlage in Bremen. Arbeitgeber haben bisher kaum Anreize, Menschen eine Jobchance zu geben, die sie auf den ersten Blick nicht zu ihren idealen Kandidat*innen zählen. Umso mehr sollten alle Brücken zwischen öffentlich geförderter Beschäftigung und dem allgemeinen Arbeitsmarkt gestärkt werden, die langfristige Übergänge in ungeförderte Beschäftigung stärken können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Angebote der geförderten Beschäftigung nicht noch weiter gekürzt werden.
Die Sorge um die Kürzung des Bürgergeldes und stärkere Sanktionierungen durchzog viele unserer Gespräche. Vom Jobcenter unabhängig zu sein, ist für viele unserer Gesprächspartner*innen eines der stärksten Motive, wieder eine ungeförderte Beschäftigung aufnehmen zu können. Ihnen ist bewusst, dass sie zum Teil noch eine Weile brauchen, bis sie selbst so weit sind. Sie wissen auch, dass sie dann noch einen Arbeitgeber finden müssen, der ihnen eine Chance gibt. Deshalb schürt die öffentliche Diskussion ihre Existenzängste, ohne dass sie etwas dagegen tun könnten. Sie haben Angst, dass das, was ihre tägliche Realität ist, im politischen Diskurs gar nicht mehr durchdringt: wie schwierig es völlig unabhängig von der eigenen Motivation ist, nach langer Arbeitslosigkeit wieder eine ungeförderte Beschäftigung zu finden. Und dass es ein objektives Problem ist, eine Beschäftigung zu finden, die vor allem auch zur eigenen gesundheitlichen Verfassung passt. Sie wünschen sich zu Recht mehr Stimmen, die sich gegen die Umdeutung dieser Situation in individuelle Motivationsprobleme wenden.
Herzlichen Dank an alle, die uns für ein Gespräch zur Verfügung standen.
Fußnoten
[1] Wir beziehen uns auf die Definition von Arbeitslosigkeit im SGB III (Siehe auch: Arbeitslosigkeit - Statistik der Bundesagentur für Arbeit) und die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Sie bietet eine konservative Schätzung regionaler Arbeitslosigkeitsrisiken. Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Personen, die aus anerkannten Gründen, z. B. fehlende Kinderbetreuung, zeitweise nicht arbeiten können, werden nicht erfasst. Auch sie benötigen letztlich aber einen Arbeitsplatz.
[2] Bundesagentur für Arbeit 2024: Arbeits- und Fachkräftemangel trotz Arbeitslosigkeit, Reihe Arbeitsmarkt kompakt, März 2024.
[3] Bundesagentur für Arbeit: Arbeitslose – Zeitreihe (Monats- und Jahreszahlen), Jahresdurchschnitte für 2014 und 2024.
[4] Bundesagentur für Arbeit: Ausländische Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt, Reihe Arbeitsmarkt kompakt, Februar 2024.
[5] Für mehr Informationen vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Sonderauswertung.
[6] Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Langzeitleistungsbeziehende, Monatszahlen.
[7] Vgl. die Evaluation durch das IAB, S. 7: Evaluation des Teilhabechancengesetzes – Abschlussbericht.
[8] Einen sehr guten Überblick über den Stand der Armutsforschung gibt Marquardsen, Kai (Hrsg.) (2022): Armutsforschung, Handbuch für Wissenschaft und Praxis, Baden-Baden: Nomos-Verlag.
[9] Diese Entwicklung wird sich zumindest in der Stadt Bremen auch noch 2025 fortsetzen. Der VaDiB hat diese Entwicklung für die Stadt Bremen in einem neuen Positionspapier aufgeschlüsselt: Aktuelles – Verbund arbeitsmarktpolitischer Dienstleister in Bremen.
[10] Vgl. unter anderem Hollederer/Voigtländer (2016): Die Gesundheit von Arbeitslosen und die Effekte auf die Arbeitsmarktintegration. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, Band 59, S. 652–661.
[11]Deutscher Verein (2019): Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Umsetzung der Förderung nach § 16i SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt“.
[12] Vgl. Bundesagentur für Arbeit: Fachliche Weisungen zu Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II, Stand: 24.10.2024.
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Dr. Alexandra Krause
Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
