Laut einer Studie hat jeder und jede dritte Angestellte schon einmal rassistische oder antisemitische Äußerungen am Arbeitsplatz mitbekommen. Zehn Prozent sind sogar schon selbst betroffen gewesen. Doch was tun, wenn der Kollege oder die Kollegin rassistisch wird?
Text: Insa Lohmann
Fotos: Kay Michalak
1. September 2024
Jeder Dritte hat laut einer Studie schon einmal rassistische, antisemitische oder demokratiefeindliche Äußerungen am Arbeitsplatz mitbekommen. So war es auch bei Ronny F., ein Fall, der 2019 durch die Medien ging: Der Leiharbeiter war beim Automobilhersteller BMW im Forschungs- und Innovationszentrum in München eingesetzt. Ronny F. bemerkte schnell, dass in seiner Arbeitsgruppe nicht nur ein rauer Ton herrschte, sondern auch rassistische Beschimpfungen an der Tagesordnung waren. Weil er das nicht hinnehmen wollte, wandte er sich an seinen Arbeitgeber und den Betriebsrat – statt Hilfe bekam er plötzlich die Kündigung. Das Arbeitsgericht München gab ihm Recht und erklärte die Kündigung für unwirksam. Gleichzeitig tat BMW die Vorfälle ab und betonte lediglich, dass dort Menschen aus mehr als zehn Nationen „kooperativ, friedlich und erfolgreich“ zusammenarbeiteten.
„Man sollte es nicht zur Aufgabe der Betroffenen machen, sich zu wehren, sondern selbst Stellung beziehen. Auf keinen Fall sollte man rassistische Äußerungen von Kolleginnen oder Kollegen durchgehen oder unkommentiert lassen.“
Sophia Oppermann
Ronny F. bekam seinen Job wieder – doch was sagt eigentlich das Arbeitsrecht zu den Äußerungen der Kolleginnen und Kollegen? „Im Grundsatz ist festzuhalten: Auch im Arbeitsleben gilt das Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Schwierig wird es für Beschäftigte dann, wenn Arbeitgeber oder Kolleginnen und Kollegen beleidigt, gedemütigt oder diffamiert werden“, sagt Kaarina Hauer, Rechtsberaterin bei der Arbeitnehmerkammer Bremen und erläutert, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen dann drohen können: „Die Klaviatur der arbeitsrechtlichen Konsequenzen ist groß: Je nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt reicht sie vom Personalgespräch über eine Ermahnung über die Kündigung bis hin zur fristlosen Kündigung.“
Das Beispiel von Ronny F. ist nur eines von vielen – und steht gleichzeitig für eine steigende Anzahl von rassistischen Vorfällen, die auch die Arbeitswelt betreffen. So gingen für das Jahr 2023 insgesamt 3.400 Anfragen aufgrund von rassistischer Diskriminierung bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein – rund 41 Prozent aller Anfragen. „Es gibt einen Rechtsruck von außen, der auch vor den Werkstoren nicht Halt macht“, sagt Sophia Oppermann. Sie ist Geschäftsführerin des 2000 gegründeten Vereins „Gesicht zeigen!“, der sich gegen Rechtsextremismus einsetzt. Der Verein hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der 2.500 abhängig Beschäftigte und 2.000 Menschen mit Führungsverantwortung gefragt wurden, ob sie schon einmal rassistische, antisemitische oder demokratiefeindliche Äußerungen am Arbeitsplatz beobachtet haben. Das erschreckende Ergebnis der Befragung: Jede dritte Person gibt an, im Arbeitsumfeld bereits solche Einstellungen oder Äußerungen wahrgenommen zu haben. Etwa zehn Prozent der teilnehmenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren sogar schon persönlich betroffen.
Dennoch ist davon auszugehen, dass sich nur ein Bruchteil der Betroffenen Hilfe sucht und die Dunkelziffer noch sehr viel höher liegt. „In vielen Betrieben ist Rassismus ein Problem“, ist Vanessa Hutchinson überzeugt. Die Traumapädagogin arbeitet bei „ADA – Antidiskriminierung in der Arbeitswelt“ und berät Menschen im Bundesland Bremen, die am Arbeitsplatz Rassismus oder eine andere Form von Diskriminierung erfahren. „Menschen, die von Rassismus betroffen sind, stellen am häufigsten Beratungsanfragen an uns“, berichtet ihre Kollegin Franziska Köhler. Die Vorfälle, die sie in ihrer Beratung erleben, ziehen sich durch alle Branchen und Unternehmensgrößen. Nur ein kleiner Teil der Betroffenen melde sich überhaupt bei ADA, sagen die Beraterinnen. „Der Leidensdruck ist sehr hoch, bis die Menschen zu uns kommen“, sagt Vanessa Hutchinson. Viele der Betroffenen erfahren schon seit einem langen Zeitraum und oft über mehrere Arbeitsstellen hinweg Rassismus durch Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte. Die Diskriminierung reiche dabei von offenen rassistischen Kommentaren bis hin zu verstecktem Rassismus.
„Wenn Betroffene zu uns kommen, ist der innerbetriebliche Prozess meistens schon gescheitert. Oft haben Betroffene das Vertrauen, dass ihre Beschwerde im Betrieb ernst genommen wird. Bleibt eine Unterstützung aus, bedeutet dies eine weitere Verletzung für sie.“
Franziska Köhler, Beraterin bei „ADA“
Rassismus sei nicht nur eine bewusste und beleidigende Abwehr von Personen aufgrund ihrer Herkunft, betont Sophia Oppermann: „Rassistische Diskriminierungen sind sehr oft subtiler sprachlicher Art und werden häufig vom Absender oder der Absenderin in ihrer rassistischen Tragweite nicht erkannt.“ Doch das mache sie nicht weniger problematisch: „Zentral ist nicht die Intention, sondern die faktische Verletzung, die eine unsensible Sprache oder Handlung beim Gegenüber auslösen können“, so die Geschäftsführerin von „Gesicht zeigen!“.
Doch was können Betroffene, Kolleginnen und Kollegen tun, wenn es zu rassistischen Vorfällen am Arbeitsplatz kommt? „Der allerwichtigste Punkt ist, die von Rassismus betroffene Person damit nicht allein zu lassen“, sagt Sophia Oppermann. „Als Kollege oder Kollegin sollte ich meine Hilfe anbieten und fragen: Was hättest du gern?“, so die Expertin. Anschließend könne man mit Einwilligung der betroffenen Person einen gemeinsamen Lösungsweg beschreiten. Große und mittelgroße Unternehmen sind nach Paragraph 13 des AGG dazu verpflichtet, eine Beschwerdestelle bereitzustellen, die sich solcher Vorfälle annimmt. In kleineren Firmen muss es zumindest eine Ansprechperson dafür geben. Auch der Betriebsrat ist Ansprechpartner. „Es ist hilfreich, die Vorfälle in Form eines Gedächtnisprotokolls zu dokumentieren“, sagt Oppermann. Zudem sei es ratsam, sich Verbündete im Betrieb zu suchen und andere Kolleginnen und Kollegen als Unterstützung einzubeziehen. „Man sollte es nicht zur Aufgabe der Betroffenen machen, sich zu wehren, sondern selbst Stellung beziehen“, so Oppermann. „Auf keinen Fall sollte man rassistische Äußerungen von Kolleginnen oder Kollegen durchgehen oder unkommentiert lassen.“
Ob aus rechtlicher oder sozialer Perspektive – für Angestellte, die Rassismus am Arbeitsplatz erfahren, ist es eine große Hürde, etwas zu unternehmen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind von Rassismus gleich auf mehreren Ebenen betroffen. Zum einen sind sie ohnehin schon im Nachteil, denn jeder Job bedeutet, dass es ein Abhängigkeitsverhältnis gibt –
und schließlich möchten die Menschen ihre Arbeit behalten. Zum anderen betreffe es dann noch besonders oft Menschen, bei denen ein Machtgefälle im Arbeitsumfeld bestehe, berichtet Franziska Köhler aus ihrer Beratung. Da sind zum Beispiel die Auszubildenden oder Personen, die nur einen Zeitvertrag haben. „Angst vor dem Jobverlust und den daraus resultierenden sozialen und finanziellen Konsequenzen spielt häufig eine zentrale Rolle bei der Entscheidung, sich gegen Diskriminierung im Betrieb zu wehren“, sagt die Politologin. Daher sei es wichtig, nur in Absprache mit den Betroffenen zu handeln. Viele hätten die klassischen Anlaufstellen wie Betriebsrat & Co. bereits durchlaufen, wenn sie bei ADA von ihren Erfahrungen zu berichten: „Wenn Betroffene zu uns kommen, ist der innerbetriebliche Prozess meistens schon gescheitert“, sagt Köhler. „Oft haben Betroffene das Vertrauen, dass ihre Beschwerde im Betrieb ernst genommen wird. Bleibt eine Unterstützung aus, bedeutet dies eine weitere Verletzung für sie.“
Nur rund ein Fünftel der Arbeitgeber hat nach rassistischen Vorfällen im Unternehmen reagiert.
(Studie des Vereins „Gesicht zeigen!“)
Im Jahr 2006 trat in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Es verbietet Diskriminierung im Zusammenhang mit sechs verschiedenen Merkmalen, darunter ethnische Herkunft und rassistische Zuschreibungen. Das heißt: Niemand darf wegen der Hautfarbe, der Sprache oder wegen der Herkunft diskriminiert werden. Für Betroffene soll das AGG eine Hilfestellung sein, um sich gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz wehren zu können. Denn das Gesetz schreibt auch fest, dass Menschen das Recht haben, sich über Diskriminierung am Arbeitsplatz zu beschweren. Und dass der Arbeitgeber sie dafür nicht bestrafen oder benachteiligen darf. Doch in der Realität sieht das häufig anders aus, wie Vanessa Hutchinson und Franziska Köhler berichten. „Da ist ganz viel Abwehr bei den betroffenen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern“, sagt Hutchinson. Häufig komme es nach einer Beschwerde sogar zu einer Täter-Opfer-Umkehr, berichten die Beraterinnen aus Bremen. Oft werden dann keine Maßnahmen gegenüber der Person unternommen, die sich rassistisch geäußert hat, sondern gegen den betroffenen Arbeitnehmenden.
So war es auch bei einem muslimischen Angestellten des TÜV Nord, der seinen Glauben aktiv ausübte. Er war seit Januar 2023 dort angestellt, im Mai erhielt er die Kündigung. Laut Klageschrift soll ein Vorgesetzter ihm zuvor unter anderem gesagt haben, dass es ihm nicht gefalle, wenn der Mann im Außendienst bete. Auch die Worte „Beim TÜV gibt es so was nicht und wird es auch nicht geben“ in Bezug auf muslimisches Gebet und Fasten sollen gefallen sein. Mahmoud Zarif zog vor Gericht, da er als Grund für seinen Rausschmiss Diskriminierung vermutete. Zwar sieht das AGG in solchen Fällen eine Beweislastumkehr vor, bei der der Arbeitgeber nachweisen muss, dass eine Diskriminierung nicht stattgefunden hat. Entscheidend ist allerdings zunächst, ob die Arbeitsgerichte die Indizien als ausreichend bewerten oder nicht. Dafür muss der Betroffene hinreichende Indizien vorbringen und beweisen, dass eine Diskriminierung vorliegt.
ADA hat den Fall begleitet. Es ist nicht das erste Mal, dass die Beraterinnen erleben, dass Arbeitgeber so abwehrend reagieren und betonen, es sei unmöglich, dass in ihrem Betrieb Rassismus existiere.
Auch die Studie, die der Verein „Gesicht zeigen!“ veröffentlicht hat, zeichnet ein sehr verhaltenes Bild der Arbeitgeber: Nur rund ein Fünftel habe nach rassistischen Vorfällen im Unternehmen reagiert. Dabei zeigt die Untersuchung, dass Beschäftigte sich bei Rassismus am Arbeitsplatz eine klare Positionierung der Unternehmen und ein entschiedenes Handeln wünschen. „Viele wollen, dass im Betrieb etwas passiert“, sagt Geschäftsführerin Sophia Oppermann. „Und die Zahlen zeigen, dass Unternehmen handeln müssen.“ Nicht immer muss am Ende der Gang vors Gericht stehen. Vanessa Hutchinson und Franziska Köhler von ADA führen auf Wunsch der Betroffenen auch Vermittlungsgespräche zwischen den Betrieben und dem oder der betroffenen Angestellten durch. „Eine Entschuldigung würde vielen Betroffenen bereits viel bedeuten“, sagt Köhler.
Kommentar von Peter Kruse, Präsident der Arbeitnehmerkammer Bremen
Zusammen!
Ein Viertel unserer Kammer-Mitglieder hat einen Migrationshintergrund. Und selbstverständlich gilt: Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten und verdienen den gleichen Respekt wie alle anderen auch. Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung stellen diese gleichen Rechte infrage – nicht nur, aber auch in der Arbeitswelt.
Es gibt aber keine Beschäftigten erster und zweiter Klasse. In der Arbeitswelt sind nach dem Recht alle gleich. Das Arbeitsrecht und die Sozialversicherungen fragen nicht nach der Herkunft oder der Staatsbürgerschaft. Und das ist gut so.
In der Praxis aber stellen Rechtsradikalismus, Rassismus und Diskriminierung diese Gleichheit infrage – sie müssen daher entschieden zurückgedrängt werden. Dies gilt auch für die Arbeitswelt. Hier tragen der Staat, die Arbeitgeber sowie Beschäftigte eine gemeinsame Verantwortung.
Die Durchsetzung der Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gelingt immer dann am besten, wenn sich die Beschäftigten nicht spalten lassen – im Betrieb und darüber hinaus. Nur gemeinsam sind wir stark. Das Motto muss daher lauten: Wir stehen zusammen!