Endlich dual ausbilden

Fehlendes Personal in Bremer Krippen und Kitas

Im Land Bremen fehlen in den nächsten Jahren mehr als 5.400 Plätze in Krippen und Kitas sowie 1.500 Erzieher und Erzieherinnen. Deshalb soll jetzt Tagespflegeperson der Zugang in die Einrichtungen der frühen Bildung ermöglicht werden. Für ein breites Bündnis von Arbeitnehmerkammer, Verdi, Arbeiterwohlfahrt und Bremischer Evangelischer Kirche muss jetzt jedoch eine ganz andere Grundsatzentscheidung getroffen werden: die Ausweitung der vergüteten Ausbildung nach Tarif. Sonst wird der Mangel an Fachkräften auch in den nächsten Jahren zum Dauerthema.

Text: Ulf Buschmann
Fotos: istock

27. Januar 2023

Der Vater ist noch immer erstaunt. Sein jüngerer Sohn hat eine Ausbildung zum Erzieher begonnen. Was den Vater verwundert und zufrieden macht: Er hat einen der wenigen sogenannten PIA-Plätze bekommen. PIA ist die Abkürzung für praxisintegrierte Ausbildung. Heißt: Wer im Land Bremen Erzieherin oder Erzieher werden möchte, beginnt direkt in einer Kindertageseinrichtung, geht eineinhalb bis zwei Tage pro Woche in die Berufsschule beziehungsweise zum Blockunterricht oder hat übergreifende Ausbildungsanteile.

Die praxisintegrierte Ausbildung ist für die Arbeitnehmerkammer Bremen, für die Gewerkschaft Verdi und freie Träger wie die Bremer Arbeiterwohlfahrt (AWO) und die Bremische Evangelische Kirche (BEK) der Schlüssel, um den Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung eindämmen zu können. Sie haben sich zu einem breiten Bündnis zusammengeschlossen. Im Jahr 2018 an der privaten Fachschule IBS mit jährlich 50 Plätzen gestartet, ist PIA nach Auskunft des verantwortlichen Senatsressorts für Kinder und Bildung in der Stadtgemeinde Bremen „im Rahmen des fünften Durchgangs als Modelprojekt fortgesetzt worden“. Weiterhin würden zwei Klassenverbände á 25 Fachschülerinnen und -schülern angeboten.

Doch für das Bündnis reicht dies nicht aus. Jetzt müsse es weitergehen, lautet die Forderung: Es müsse eine Ausweitung auf mindestens 150 Plätze pro Jahr erfolgen. Das Ziel: PIA möglichst bald zur Regelausbildung zu machen. Diese sei attraktiv – zumal die angehenden Erzieherinnen und Erzieher nach Tarif bezahlt werden. Sonst, so befürchten die Fachleute, werde der schon jetzt bestehende Mangel an Fachkräften auch in der Zukunft zum Dauerthema.

Berechnungen haben ergeben, dass im Land Bremen in den nächsten Jahren rund 1.500 Erzieherinnen und Erzieher benötigt werden. Denn der Senat möchte laut einem Beschluss vom Dezember 2022 eine Versorgungsquote von 98 Prozent bei den Kita- sowie von 60 Prozent bei Krippenplätzen erreichen.

Geld vom Bund

Möglich wurde die Finanzierung dieses, wie Evaluierungen gezeigt haben, zukunftsweisenden Modellprojekts durch Bundesmittel aus dem „KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz“ (KiQuTG), dem sogenannten Gute-Kita-Gesetz. Aus diesen Mitteln konnte alleine die Stadt Bremen von 2020 bis 2022 rund 11,5 Millionen Euro zur Sicherung und Gewinnung von Fachkräften verwenden.

Doch die Millionen steckt Bremen nicht komplett in die praxisintegrierte Ausbildung. Dem Fachkräftemangel hoffen Senat und senatorische Behörde durch die sogenannte integrierte Regelausbildung (InRA) zu begegnen. Dieser derzeit verbreitete Ausbildungsweg beruht auf einer  Finanzierung durch „Aufstiegs-Bafög“ nach dem Bundeausbildungsförderungsgesetz. Es wird ergänzt durch Geld für einen Laptop von je 1.500 Euro. Dadurch sollen die ohnehin strapazierten Kassen des kleinsten Bundeslandes geschont werden. Bafög wird vom Bund gezahlt, muss jedoch jährlich neu beantragt werden.

„Bei der integrierten Regelausbildung handelt es sich um ein dreijähriges Aus-/Weiterbildungsformat an den öffentlichen Fachschulen, das aus zwei Jahren fachschulischer Ausbildung plus einem Jahr Berufspraktikum besteht. Da InRa sowohl in regulärer Teilzeit, gestreckter Vollzeit als auch berufsbegleitend absolviert werden kann, wird ein breites Spektrum an Interessierten – wie beispielsweise Alleinerziehende oder Pflegende – durch das Weiterbildungsformat adressiert“, schreibt Aygün Kilincsoy, Büroleiter von Senatorin Sascha Aulepp, zur Begründung auf Nachfrage in einer E-Mail. Laut Kilincsoy werden aktuell „256 Schulplätze an den öffentlichen Fachschulen (…) zur Verfügung gestellt“. Und: „Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Schulplätze gemäß der Nachfrage bereitgestellt werden.“

Doch Fachkräftemangel spitz sich bei vielen Trägern schon jetzt zu – mit ganz praktischen Auswirkungen: So sollte in diesem Jahr die „Kita Alte Hafenstraße“ der Arbeiterwohlfahrt im Stadtteil Vegesack mit acht Gruppen starten; doch bislang gibt es wegen fehlender Mitarbeitender nur vier. Dies bestätigt eine Sprecherin des Verbandes. Die Leiterin einer anderen Einrichtung bestätigt die aktuelle Lage: „Es brennt an allen Ecken!“

Tagespflegepersonen „ins System holen“

Keine Erzieherinnen und Erzieher auf der einen, über 1.100 wartende Eltern ohne Krippen- oder Kitaplatz auf der anderen Seite – aus dieser Klemme versucht die Kinder- und Bildungsbehörde über Quereinsteiger herauszukommen: Wer Tagespflegeperson werden möchte, kann mit einer 160 Stunden umfassenden Ausbildung ins System einsteigen. „Die Idee dahinter ist, sie erst einmal hinein zu holen, um ihnen dann den Weg für weitere Qualifikationen zu eröffnen“, sagt Thomas Schwarzer, Referent für kommunale Sozialpolitik der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Zwar gilt auch mit Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern das Fachkraftgebot, nach dem ohne staatlich geprüfte Erzieherin oder Erzieher keine Gruppen eröffnet werden dürfen. Der Landesverband evangelischer Kindertageseinrichtungen in Bremen, nach der Stadtgemeinde der zweitgrößte Anbieter von Kitaplätzen, betrachtet den Einsatz von Tagespflegepersonen deshalb auch als „inhaltlich und strukturell zu kompliziert“, sagt ihr Leiter, Dr. Carsten Schlepper. Arbeitnehmerkammer-Referent Schwarzer kommt zu dem Schluss: „Tagespflegepersonen in die Krippen und Kitas zu holen, ist eine aus der Not geborene politische Entscheidung.“ Dadurch werde weder der besondere Schlüsselberuf der Erzieherinnen aufgewertet, noch verbessert sich ihre Bezahlung.

Laut Behörde habe es im Dezember eine Abfrage zur Anzahl der Kindertagespflegepersonen (KTTP) in Kitas“ gegeben. Ergebnis: Weniger als zehn Personen arbeitete in einer Kita oder habe sich in einem konkreten Bewerbungsverfahren“ befunden. „Seitdem hat das Landesjugendamt keine weiteren Personalmeldungen erhalten, aus denen hervorgeht, dass KTTP in Kita eingestellt worden sind“, sagt Aulepp-Büroleiter Kilincsoy.

Kita-Assistenz

Einen eigenen Weg gehen die kirchlichen Einrichtungen. Laut Landesverbands-Leiter Carsten Schlepper werden dort sogenannten Kita-Assistenten erprobt. „Sie gehören zusätzlich ins System“, sagt er. Die Idee dahinter: Eine pädagogische Fachkraft koordiniert jeweils ein multiprofessionelles Team. Wichtig: Die jeweiligen Erzieherinnen und Erzieher seien immer bei den Kindern.

In diesem Rahmen könne beispielsweise auch ein gelernter Tischler unter fachpädagogischer Aufsicht mit den Kindern arbeiten. „Die Kita-Assistenten kommen ganz gut ins Laufen“, freut sich Carsten Schlepper, und vielleicht führe dies „zu einer berufsbegleitenden Ausbildung.“ Er befürchtet indes, dass sich das Angebot in Krippen und Kita allein mit staatlich geprüften Fachkräften derzeit nicht aufrecht erhalten lasse.