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08.07.2024

Arbeitsausbeutung: Hohe Dunkelziffer und wenig Kontrolle

Bremer Institut Arbeit und Wirtschaft befragt Beschäftigte aus dem Reinigungsgewerbe

Arbeitsausbeutung gibt es mitten in Deutschland, auch in Bremen – nur offiziell erfasst wird sie bislang kaum. Denn obwohl die Ausbeutung der Arbeitskraft seit 2016 strafbar ist, kommt es nur selten zur Strafverfolgung. Das zeigt eine bundesweite Studie des Instituts Arbeit und Wirtschaft (iaw) im Auftrag der Arbeitnehmerkammer Bremen und der Hans-Böckler-Stiftung. Demnach liegt die Dunkelziffer bundesweit bei 100.000 bis 200.000 Fällen pro Jahr. In die Kriminalstatistik schaffen es jährlich aber nur zehn bis 30 Fälle. Gastronomie, Hotelgewerbe, Logistik, Gebäudereinigung, Lagerei und Bauwirtschaft sind dabei besonders auffällig. „Die Arbeitsausbeutung ist hierzulande flächendeckend verbreitet und eine alltägliche Praxis. Sie wird noch immer billigend in Kauf genommen“, sagt Autor René Böhme vom iaw, der für seine Studie auch Betroffene aus der Region Bremen befragt hat. Seine Bilanz: „Es gibt ein klares Kontrollversagen.“

Zugewanderte, Geflüchtete und Frauen sind besonders häufig Opfer

Von Arbeitsausbeutung spricht man, wenn Menschen „aus rücksichtlosem Gewinnstreben“ zu auffällig schlechteren Bedingungen beschäftigt werden als es für einen vergleichbaren Job üblich ist. Eine praxistaugliche Definition fehlt aber bisher. Betroffen sind insbesondere Zugewanderte mit geringen oder gar keinen Deutschkenntnissen. Viele Opfer kommen aus Südost- und Osteuropa oder sind aus Syrien, der Ukraine oder Westafrika geflüchtet. Oft sind es Frauen, viele von ihnen haben Kinder.  

Häufig befinden sich die Betroffenen in schwierigen sozialen Lagen: Sie bringen oft keinen Berufsabschluss und keine Berufserfahrung mit, sie haben kaum Kenntnisse des deutschen Arbeitsrechts und des hiesigen Arbeitsmarktes. Sie wissen nicht, was Arbeitgeber dürfen oder wie sie sich wehren können und finden selten den Weg in Beratungsstellen. Immer wieder fallen gesundheitliche Einschränkungen auf.

In zahlreichen Fällen ist der Arbeitgeber auch der Vermieter, ohne dass es dafür eine vertragliche Grundlage gibt. Die Betroffenen leben dann in kleinen Zimmern oder Mehrbettzimmern und müssen hierfür teilweise hohe Lohnabzüge in Kauf nehmen. Ein Bremer Beschäftigter schildert es so: „Es ist ein großes Problem, wenn der Arbeitsvertrag mit der Wohnung verknüpft ist, dann bist du von deinem Arbeitgeber wirklich abhängig, deine Existenz ist von ihm abhängig. Wenn er dich entlässt, verlierst du auch die Wohnung. Da bist du eher dazu bereit, unter schlimmen Umständen weiterzuarbeiten.“

Fallstudie zum Reinigungsgewerbe

In der Studie wird das Reinigungsgewerbe noch einmal genauer untersucht. Bundesweit arbeiteten 2021 rund 660.000 Menschen in dieser Branche, rund 1,5 Prozent aller Beschäftigten. Im Land Bremen arbeiteten im Juni 2023 laut der Bundesagentur für Arbeit 15.600 Menschen in Reinigungsberufen, die meisten davon auf Helferniveau – rund 6.000 Beschäftigte waren nur geringfügig beschäftigt. Der mittlere Verdienst (Median) liegt im Land Bremen bei 2.426 Euro brutto monatlich – nur in der Gastronomie bekommen Beschäftigte noch weniger Lohn. Zwar ist das Reinigungsgewerbe eine migrationserfahrene Branche mit starkem Tarifgefüge, die einen niedrigschwelligen Zugang zum Arbeitsmarkt bietet. Dennoch gibt es hier auch ein enormes Potenzial für Arbeitsausbeutung. Die Ursache: Der hohe Wettbewerbsdruck und die wachsende Marktmacht von Plattformökonomien ohne staatliche Kontrollen, auch der geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad spielen eine Rolle. Hinzu kommt: Dienstleistungen wie die Gebäudereinigung sind vielfach seit langem outgesourct. Das fördert nicht nur den Preisdruck, sondern auch den Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Die Rekommunalisierung von Reinigungsdiensten bei öffentlichen Gebäuden – also etwa bei Schulen oder Krankenhäusern – ist ein geeignetes Mittel, um transparente und gute tarifliche Arbeitsbedingungen zu sichern.

Falsche Abrechnungen, zu wenig Lohn und Urlaub

Was bedeutet Arbeitsausbeutung ganz konkret für die Beschäftigten? Die Studie zeigt: Lohnabrechnungen sind häufig nicht korrekt, Akkordarbeit und Arbeitszeitmanipulationen dagegen die Regel. Schwarzarbeit und Lohnauszahlungen in bar seien durchaus üblich in der Branche. Vereinbarte Zulagen würden oft nicht bezahlt, Urlaube nicht in vollem Umfang gewährt. Zudem werde gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz verstoßen – vor allem beim Umgang mit Reinigungschemikalien. Hier fehle es häufig an Schutzkleidung, viele Beschäftigte verstünden wegen mangelnder Deutschkenntnisse die Sicherheitseinweisungen nicht. Auch sachgrundlose Befristungen oder Kündigungsfristen von zwei Wochen und weniger seien an der Tagesordnung. Eine Betroffene sagt im Interview: „Die ordnen an: ‚Sieh zu, dass du das saubermachst!‘ Und die Mädels machen es immer. Die hängen eine halbe Stunde freiwillig dran, manchmal eine Stunde, manchmal länger, und diese viele unbezahlte Arbeit in der Gebäudereinigung, die hat noch nie jemand mal erfasst.“

Forderungen der Arbeitnehmerkammer

Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer mahnt: „Jeden Tag wird gegen geltendes Arbeitsrecht verstoßen, werden Menschen ausgebeutet – aber nur wenige Fälle sind sichtbar. Das muss sich ändern.“ Das Land Bremen hat bereits mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz gegengesteuert, so dass bei öffentlichen Aufträgen des Landes und der Kommunen nach Tarif entlohnt werden muss. Bei Verstoß können Unternehmen auch von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. „Von den gesetzlichen Möglichkeiten muss Bremen umfassend Gebrauch machen, um schlechten Arbeitsbedingungen und Arbeitsausbeutung entgegenzuwirken. Von der Ampelkoalition im Bund erwarten wir, dass das lang angekündigte Bundestariftreuegesetz noch in dieser Legislatur auf den Weg gebracht wird, um auch bei Aufträgen des Bundes die Kriterien guter Arbeit durchzusetzen“, so Heyduck.

Die iaw-Studie kommt zu dem Schluss, dass vor allem die Kontrolle arbeitsrechtlicher Standards verbessert werden muss. Doch der Aufsicht fehlt auch in Bremen das Personal. Hinzu kommen die zersplitterten Zuständigkeiten in Bund und Land: Für die Einhaltung des Mindestlohns ist neben der Bekämpfung von Schwarzarbeit der Zoll zuständig, für den Arbeitsschutz aber die Gewerbeaufsicht. Für die Einhaltung anderer arbeitsrechtlicher Regelungen gibt es wiederum gar keine Kontrollinstanz.  Hier müssen Beschäftigte selbst aktiv werden, es bleibt nur der individuelle Klageweg.

„Die Kontrollbehörden müssen so aufgestellt sein, dass die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen auch zuverlässig überprüft werden kann“, so Heyduck. Doch die geplante schrittweise Erhöhung der Kontrollen der Gewerbeaufsicht lässt noch immer auf sich warten. Die gesetzliche Vorgabe ist: Ab 2026 müssen im Laufe eines Jahres mindestens fünf Prozent aller Betriebe geprüft werden. Diese Mindestquote wird mutmaßlich nicht einzuhalten sein, weil das zusätzliche Aufsichtspersonal bisher kaum ausgebildet wurde. Auch bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist derzeit jede vierte Stelle unbesetzt. „Wir fordern seit Langem intensivere betriebliche Kontrollen ein: Mindestlohn-, Arbeitszeit- und Arbeitsschutzgesetze sind kein ‚Nice-to-have’, sondern Voraussetzung für menschenwürdige Arbeit“, so Heyduck.

Bremen verfügt zwar über ein gut ausgebautes Netz an Beratungsstellen für Betroffene. Diese Infrastruktur muss aber auch dauerhaft finanziell abgesichert werden. Das gilt insbesondere für die Beratungsstelle für mobile Beschäftigte und Opfer von Arbeitsausbeutung im Land Bremen (MoBA).

Die Kurzfassung der Studie können Sie hier nachlesen.

Die Langfassung der Studie gibt es hier zum Download.

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