Wie bleibt Beschäftigung erhalten, wenn in Zeiten des Umbruchs Jobs wegfallen? Die Arbeitnehmerkammer hat da eine Idee: Eine „Transitionsgesellschaft“ soll Beschäftigten neue berufliche Perspektiven vermitteln, sie beraten und unterstützen. Für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die umsatteln wollen, weil ihre Qualifikation durch den Wandel in der Arbeitswelt nicht mehr gebraucht wird, entstünde damit eine Anlaufstelle, die sie bei dem Umstieg in ein neues Berufsfeld begleitet. Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Thema.
1. Was ist eine „Transitionsgesellschaft“?
Gerade in Krisenzeiten ist aktive Arbeitsmarktpolitik gefragt. Sie muss für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Umstiege in andere Berufe oder Branchen organisieren und Aufstiege ermöglichen. Damit diese Übergänge gelingen, brauchen Menschen Unterstützung. Das Land Bremen könnte mit einer Transitionsgesellschaft ein Pilotprojekt starten. Diese soll zielgerichtet Beratungs- und Weiterbildungsangebote anbieten, damit der Wechsel in einen Beruf mit Zukunft gelingt. Arbeitnehmer/-innen könnten sich von der Transitionsgesellschaft intensiv beraten lassen und werden auf Wunsch auch längerfristig begleitet, wenn sie ihren Arbeitgeber, den Beruf oder die Branche wechseln möchten oder planen, sich weiterzubilden.
2. An wen soll sich das Angebot richten?
Die Transitionsgesellschaft könnte zunächst für all jene Arbeitnehmer/-innen aufgebaut werden, die im Einzelhandel beschäftigt sind und sich um ihre berufliche Zukunft sorgen. Später könnten auch andere Branchen in das Angebot integriert werden.
3. Warum brauchen gerade Beschäftigte im Einzelhandel dieses Angebot?
Der intensive Wettbewerb mit dem Online-Handel setzt gerade den stationären Einzelhandel immer weiter unter Druck. Die Branche bietet zunehmend weniger Vollzeitstellen mit existenzsicherndem Einkommen an. Durch die Digitalisierung – beispielsweise in Form von Selbstscanner-Kassen – fallen außerdem immer mehr Tätigkeiten ganz weg. Viele Beschäftigte im Einzelhandel – oft sind das Frauen – sind deshalb zu Recht verunsichert. Die Transitionsgesellschaft soll gemeinsam mit den Arbeitnehmern/-innen individuelle Zukunftsperspektiven entwickeln und neue Wege gehen. Das Spektrum reicht dabei von der Weiterbildung im Einzelhandel über den Branchenwechsel bis hin zum beruflichen Neuanfang.
4. Welche Leistungen soll die Transitionsgesellschaft konkret anbieten?
Beschäftigte können sich zwar jederzeit bei der Agentur für Arbeit über ihre beruflichen Perspektiven beraten lassen. Es gibt allerdings Situationen, in denen Arbeitnehmer/-innen eine intensivere Unterstützung brauchen. Diese Lücke schließt die Transitionsgesellschaft.
Die Transitionsgesellschaft arbeitet präventiv.
Arbeitnehmer/-innen des Einzelhandels können sich frühzeitig darüber informieren, welche Veränderungen sich gegenwärtig im Einzelhandel vollziehen und wie sie sich auf die Beschäftigungsverhältnisse in der Branche auswirken. Im Mittelpunkt steht der Job und das Berufsfeld der Ratsuchenden: Wie betreffen diese Umbrüche die eigene Jobsicherheit und die eigenen Berufsaussichten? Mit Unterstützung der Berater/-innen können Arbeitnehmer/-innen eine individuelle Zukunftsperspektive entwickeln.
Die Transitionsgesellschaft springt ein, wenn der Jobverlust akut wird.
Auch in diesem Fall unterstützen die Berater/-innen die betroffenen Arbeitnehmer/-innen dabei, vor dem Hintergrund der Umbrüche im Einzelhandel eine nachhaltige individuelle Zukunftsperspektive zu entwickeln.
In jedem Fall stellen die Berater/-innen den Ratsuchenden verschiedene Wege vor, wie sie sich beruflich weiterentwickeln oder verbessern können. Dazu werden alle Vor- und Nachteile der möglichen Entwicklungswege abgewogen. So wird sichergestellt, dass die Ratsuchenden einen Berufsweg wählen, der gut zu ihrer Lebenssituation passt. Auch die finanziellen Risiken und Fördermöglichkeiten eines solchen Spurwechsels werden gemeinsam erörtert. Wenn die Arbeitnehmer/-innen eine Entscheidung über ihre berufliche Zukunft getroffen haben, können sie sich von den Beratern/-innen der Transitionsgesellschaft längerfristig begleiten lassen.
5. Wie werden die Beschäftigten von der Transitionsgesellschaft begleitet?
Die Transitionsgesellschaft kann die Ratsuchenden während des gesamten Prozesses unterstützen – von der Idee einer beruflichen Neuorientierung bis zum Ende der Probezeit im neuen Job:
- während der Phase der (akuten) Jobunsicherheit bei ihrem bisherigen Arbeitgeber,
- während der Beratung durch die Agentur für Arbeit und andere Beratungsstellen,
- während der Beantragung von Fördermitteln zur Finanzierung einer Weiterbildung,
- während der Weiterbildung,
- während der Jobsuche
- und während des Einstiegs in einen neuen Job, um besser in einer anderen Branche oder einem anderen Beruf Fuß zu fassen.
6. Die Transitionsgesellschaft soll „kollektive Übergänge“ ermöglichen. Was heißt das konkret?
Der (drohende) Arbeitsplatzverlust wird von Beschäftigten häufig als hohe psychosoziale Belastung erlebt. Gruppenberatung und Gruppencoaching eröffnen Arbeitnehmern/-innen die wichtige Möglichkeit, die Jobunsicherheit, den Jobverlust und den Perspektivwechsel als gemeinsame Erfahrung zu bewältigen. Die Mitarbeitenden der Transitionsgesellschaft gehen deshalb frühzeitig in die Betriebe und motivieren die Beschäftigten zur Teilnahme. Sie informieren dort zugleich über das individualisierte Beratungs- und Begleitungsangebot. Der Mix aus Gruppenformaten und individueller Unterstützung bietet den Ratsuchenden die erforderliche Unterstützung, um sich in der herausfordernden Situation des unmittelbar drohenden Jobverlusts optimal auf die neue berufliche Situation vorzubereiten und aktiv neue individuelle Wege zu gehen.
7. Welche Beratungs- und Coachingleistungen sollen angeboten werden?
Die Transitionsgesellschaft informiert und berät:
- über die allgemeinen Veränderungen und Jobperspektiven im Einzelhandel.
- zu den individuellen beruflichen Chancen und Risiken der ratsuchenden Arbeitnehmer/-innen.
- darüber, was die Insolvenz eines Unternehmens in der Regel bedeutet und was dadurch auf die Beschäftigten selbst zukommen kann.
- über die Verfahren und Angebote der Agentur für Arbeit.
- über die Verbesserung der individuellen Arbeitsmarktperspektiven durch die unterschiedlichen Optionen der Weiterbildung in der Branche, einen (gegebenenfalls mit einem Aufstieg verbundenen) Branchenwechsel oder einen Berufswechsel.
- über alle Fördermöglichkeiten einschließlich deren Beantragung.
Sie coacht:
- bei der Reflexion eigener Wünsche und Stärken.
- bei der Entscheidungsfindung über die eigene berufliche Zukunftsperspektive.
- für den Kontakt mit weiteren Beratungsstellen und sonstigen Institutionen.
- für Bewerbungsverfahren.
- für Vorstellungsgespräche.
8. Wie arbeitet die Transitionsgesellschaft?
Die Transitionsgesellschaft ist eine verlässliche, niedrigschwellige Anlaufstelle, die Arbeitnehmer/-innen des Einzelhandels kurzfristig aufsuchen können, wenn sie Fragen zur beruflichen Neuorientierung haben. Sie ist die Schnittstelle zwischen den Ratsuchenden, den Betrieben, der Agentur für Arbeit und den Weiterbildungsträgern.
9. Wo liegt der Unterschied zu einer Transfergesellschaft?
Nicht für alle Beschäftigten im Einzelhandel besteht die Möglichkeit, bei Insolvenz des eigenen Arbeitgebers in eine Transfergesellschaft zu wechseln: Dieses Angebot wird insgesamt wenig genutzt und in der Regel nur von großen, mitbestimmten Unternehmen gemacht. Gerade im Einzelhandel gibt es aber eine Vielzahl an kleineren Betrieben, die von der Umstrukturierung der Branche betroffen sind. Hinzu kommt, dass die Laufzeiten von Transfergesellschaften in der Regel nicht ausreichen, um Beschäftigte beim Umstieg in einen neuen Beruf zu begleiten. Wenn der Berufsabschluss nachgeholt werden soll, um das zukünftige Arbeitslosigkeitsrisiko zu senken, kann dies zwei Jahre und länger dauern. Zudem kann die Transitionsgesellschaft auch präventiv arbeiten – bevor der Arbeitsplatz wirklich akut bedroht ist.
10. Wie kann das Modellprojekt finanziert werden?
Die Transitionsgesellschaft kann über einen Förder-Mix aus Landesmitteln, Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) II und III finanziert werden.
Für die Orientierungs- und Zielfindungsberatung, die Begleitung von Teilnehmenden in Workshops, Trainings oder Einzelcoachings während einer Weiterbildung oder zur Unterstützung bei der Arbeitssuche und Betreuung nach dem Wiedereinstieg sollten Landesmittel bereitgestellt werden – wenn die Angebote nicht von der Agentur für Arbeit finanziert werden können. Die Verwaltungskosten des Projekts sollten ebenfalls über Landesmittel beziehungsweise die ESF-Förderung abgedeckt werden.
Für den Lebensunterhalt der Teilnehmenden kann auf Lohnersatzleistungen nach dem SGB III zurückgegriffen werden – gegebenenfalls ergänzend durch Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Die Weiterbildungsmaßnahmen und Praktika können durch Förderleistungen nach dem SGB III finanziert werden.
23. Oktober 2024
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