Dachdecker bei der Arbeit aus der Vogelperspektive

Viel Einsatz, wenig Wertschätzung

Zur Situation der Leiharbeit

Leiharbeitskräfte sind häufig schlechten Bedingungen ausgesetzt und haben es schwer, ihre Rechte durchzusetzen. Besonders häufig betroffen sind Beschäftigte ohne Berufsausbildung und mit geringen Deutschkenntnissen.

Text: Anne-Katrin Wehrmann
Foto: Jonas Ginter

Abrechnungen, die für niemanden nachvollziehbar sind. Fehlende Zuschläge und unrechtmäßig abgebuchte Abschläge. Keine Vergütung für Arbeitszeiten, die nicht schriftlich quittiert worden sind. Erzwungener Verbrauch von Urlaubstagen und Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto, wenn gerade keine Arbeit zu erledigen ist. Immer wieder sind Leiharbeitskräfte mit Praktiken konfrontiert, die geltendem Recht widersprechen. Dabei ist die juristische Ausgangslage eindeutig: „Wenn ein Leiharbeitsunternehmen keinen Einsatzbetrieb für seine Beschäftigen findet, muss es trotzdem die vereinbarte Vergütung zahlen“, betont Josephine Klose, Rechtsberaterin bei der Arbeitnehmerkammer. Vielen Betroffenen seien ihre Rechte gar nicht bewusst – andere hätten schlicht Angst, sie tatsächlich einzufordern. „Gerade in der Probezeit und bei befristeten Verträgen würde das häufig bedeuten, die Chance auf eine Festanstellung aufzugeben“, berichtet die Rechtsberaterin.

„Da werden gezielt Leute ausgenutzt, denen die geltenden Regeln nicht bekannt sind und die viel zu verlieren haben.“

Josephine Klose, Rechtsberaterin

Aus ihrer täglichen Beratungspraxis weiß sie, dass zwei Gruppen besonders häufig schlechten Bedingungen ausgesetzt sind: Menschen ohne fachliche Ausbildung sowie Arbeitskräfte mit geringen bis gar keinen Deutschkenntnissen. „Das hat System“, ist Klose überzeugt. „Da werden gezielt Leute ausgenutzt, denen die geltenden Regeln nicht bekannt sind und die viel zu verlieren haben.“ Betroffene stehen vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Situation vor der schwierigen Entscheidung, ob sie sich zur Wehr setzen oder gegebenenfalls die Probezeit abwarten wollen. Da die Fristen für die Nachforderung von Lohnzahlungen kurz seien, gelte ein Rat allerdings immer: „Wer solche Dinge erlebt, sollte auf jeden Fall die bestehenden Beratungsangebote nutzen und sich informieren, welche Handlungsoptionen es gibt.“

Faktisch werden ­Leiharbeitskräfte zumeist deutlich schlechter entlohnt als Stammarbeitskräfte, im Land Bremen liegt die Differenz bei gleicher Tätigkeit im Schnitt bei 14,7 Prozent.

Kontrollen erforderlich

Neben der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer ist eine weitere Anlaufstelle die Beratungsstelle für mobile Beschäftigte und Opfer von Arbeitsausbeutung im Land Bremen (MoBa), die seit 2017 Menschen aus dem europäischen Ausland in verschiedenen ­Sprachen bei allen Fragen rund um die Arbeit berät und sie dabei unterstützt, ihre Rechte geltend zu machen. Dabei kommen die meisten Ratsuchenden aus Bulgarien, Rumänien und Polen. „Ganz überwiegend werden sie hier von Leiharbeitsfirmen als billige Arbeitskräfte in der Reinigung, der Gastronomie, der Logistik, im Lager oder auf dem Bau eingesetzt“, berichtet MoBa-­Beraterin Eliza Vladimirova. Viele hätten Angst vor ihren Arbeitgebern, weil der Job häufig mit der Unterkunft ver­bunden sei: „Wenn sie ihre Rechte einfordern, verlieren sie nicht nur ihre Arbeit, ­sondern stehen von einem Tag auf den anderen auch auf der Straße.“

Viele Leiharbeitnehmende werden in der Reinigung, der Gastronomie, der Logistik, im Lager oder auf dem Bau eingesetzt.

Vladimirova rät allen Leiharbeitskräften genau zu notieren, wann, wo und wie lange sie im Einsatz sind. Das sei auch dann hilfreich, wenn es tatsächlich einmal zu einer Gerichtsverhandlung kommen sollte. „Die Abrechnungen sind darauf angelegt, dass man den Überblick verliert“, hat auch sie festgestellt. Die Menschen würden oftmals in ihren Heimatländern angeworben, weil es ihnen dort wirtschaftlich nicht gut gehe: „In Deutschland ­werden sie dann oft monatelang ausgebeutet, bevor ihnen bewusst wird, dass etwas nicht stimmt – oder dass nicht eingehalten wird, was man ihnen im Vorfeld versprochen hat.“ Aus Sicht der MoBa-Beraterin bräuchte es mehr gezielte Kontrollen, um diesem Vorgehen ein Ende zu bereiten. So gebe es zum Beispiel in Rumänien, Bulgarien und Polen eine Behörde, bei der Be­­troffene auch anonym Beschwerden einreichen könnten. „Die Arbeitsinspektion stattet den entsprechenden Unternehmen dann unangemeldete Besuche ab“, sagt sie. „So etwas bräuchten wir hier auch.“

Schlechtere Bezahlung, höheres Risiko

Im Land Bremen waren im ersten Halbjahr 2022 knapp 15.000 Leiharbeitskräfte registriert. Ihr Anteil an allen Beschäftigten liegt mit 4,6 ­Prozent doppelt so hoch wie im bundes­weiten Durchschnitt. Dabei muss Leih­arbeit nicht automatisch mit schlechten Arbeitsbedingungen einhergehen. Verleihbetriebe für Ingenieure oder Personal aus der Gesundheitsbranche zeigen: Gesuchte Fachkräfte können ihren ­Rahmen dort gestalten und eine überdurchschnittlich gute Bezahlung erzielen. „So soll es sein“, betont Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer. „Schließlich sind auch die Anforderungen an Leih­arbeitsbeschäftigte überdurchschnittlich. Sie müssen zu­sätzlich Anpassungsleistungen er­­brin­­gen, sich schnell einarbeiten und sich immer wieder in neue Betriebe und Teams einfügen. Da sind Gehaltsaufschläge angemessen.“ Doch die ­Realität sieht anders aus. Faktisch ­werden Leiharbeitskräfte zumeist deutlich ­schlechter entlohnt als Stammarbeitskräfte, im Land Bremen liegt die ­Differenz bei gleicher Tätigkeit im Schnitt bei 14,7 Prozent.

„Die Arbeitnehmer­überlassung ist eine Hire-and-Fire-Branche.“
Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik

Gesetzlich gilt, dass Leiharbeitskräfte grundsätzlich erst nach neun Monaten Anspruch auf ­gleichen Lohn haben. Doch viele er­­reichen diese Frist gar nicht erst: 43 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse enden nach ­weniger als drei Monaten, 60 Prozent überdauern kein halbes Jahr. „Die ­kurzen Vertragsdauern zeigen: Die Arbeitnehmerüberlassung ist eine Hire-and-Fire-Branche“, sagt Geraedts. Das Arbeits­­losenrisiko sei für Leiharbeitsbeschäftigte enorm: „Die niedrigen Verdienste und die kurzen Vertragslauf­zeiten schwächen die soziale Absicherung zusätzlich.“ Aus Sicht der Arbeitsmarktexpertin besteht Reformbedarf beim Arbeitnehmer­überlassungsgesetz. Ansatzpunkte sieht sie nicht nur bei der gleichen Bezahlung vom ersten Tag an, sondern auch bei der bisher geltenden Höchsteinsatzdauer von 18 Monaten. Das sei zu lang und ermögliche durch die Bindung an die Beschäftigten ein permanentes Rotieren von Leiharbeitskräften auf einem Arbeitsplatz – und dadurch das dauerhafte Ersetzen von Stammbeschäftigten. „Für die Verleihbetriebe und ihre Kunden ist die Arbeitnehmer­überlassung ein einträgliches Geschäft“, so Geraedts. „Für die meisten Beschäftigen ist sie alles andere als das. Das muss sich ändern.“


Weitere Infos AKB003_IconInfo

Neben der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer ist eine ­weitere Anlaufstelle die Beratungsstelle für Mobile Beschäftigte und Opfer von Arbeitsausbeutung im Land Bremen (www.moba-beratung.de).