Fragen: Jan Zier
Foto: Canva/Getty Images, Denkfabrik Zukunft
24. August 2023
Frau Sigl-Glöckner, auf der Tagung der Arbeitnehmerkammer in Bremen sprechen Sie über die Finanzierung von Transformation, Investitionen und Wachstum. Gerade in Deutschland kommt dann ja sofort die Frage nach der Verschuldung. Zu Recht?
Philippa Sigl-Glöckner: Nein! Die erste Frage sollte sein: Wie gestalten wir die Gesellschaft, die wir lebenswert finden? Die Angst vor der Verschuldung, also die Angst vor der Ausgabe von zu vielen Staatsanleihen, hat sich hierzulande ziemlich verselbstständigt. Das hat schon etwas Religiöses!
Nun steht die Schuldenbremse aber auch im Grundgesetz. Was ist möglich, ohne gleich mit der Verfassung in Konflikt zu geraten?
Wenn man sich den Text anschaut, enthält er ein sinnvolles Prinzip: Der Staat darf sich verschulden, wenn die Wirtschaft unterausgelastet ist. Und wenn sie überausgelastet ist und Inflationsgefahr besteht, dann soll der Staat sparen. Das ist klassische keynesianische Finanzpolitik. Was im Grundgesetz nicht steht: eine quantitative Begrenzung der Neuverschuldung. Dass man den Grundgesetztext zur Schuldenbremse in okkulte mathematische Formeln übersetzt, ist keine Notwendigkeit, und wenn man genauer hinsieht, demokratietheoretisch sogar ziemlich problematisch. Diese okkulten Formeln implizieren normative Entscheidungen, die eigentlich im Parlament gefällt werden sollten. Daher sehe ich weniger das Grundgesetz als Hürde und mehr unser Unverständnis, was eigentlich unter der Schuldenbremse verborgen ist.
Was müsste konkret geändert werden?
Die unter der Schuldenbremse zulässige Neuverschuldung hängt davon ab, wie weit die Wirtschaft von ihrem Potenzial entfernt ist – dabei spielt vor allem eine Rolle, wie viel Potenzial noch im Arbeitsmarkt steckt. Das wird aktuell mit den angesprochenen Formeln geschätzt. Und das, obwohl das Potenzial des Arbeitsmarkts stark von normativen Fragen abhängt, zum Beispiel, ob Frauen eine gleichberechtigte Chance auf Arbeit haben sollen oder an den Herd gehören! Nicht Formeln, sondern der Bundestag sollte solche Fragen beantworten.
Sie fordern eine sozial gestaltete Finanz- und Wirtschaftspolitik. Jetzt sind sie in Bremen zu Besuch, einem Haushaltsnotlageland mit einer sehr scharfen Schuldenbremse. Wie kann man die Transformation unter diesen Bedingungen umsetzen?
Auf der Länderebene ist das sehr viel schwieriger und etwas grundsätzlich anderes als im Bund. Der Bund kann sich jederzeit und zu sehr niedrigen Kosten verschulden, ohne dass er diese Schulden gleich zurückzahlen muss. In Bremen ist das anders. Deswegen sollten die großen Aufgaben im Zweifel vom Bund getragen werden. Was man auf Länderebene tun kann, ist keine triviale Frage. Ich würde versuchen, hier einen Investitionshaushalt aufzustellen und sehr bewusst auszuwählen: Welche öffentliche Infrastruktur brauche ich unbedingt, um zukünftiges Wachstum zu sichern? Wie ziehe ich die Unternehmen an, die hier langfristig gute Arbeitsplätze in einer dekarbonisierten Wirtschaft schaffen?
Nun investiert Bremen mehrere Milliarden für den Klimaschutz, trotz Schuldenbremse. Ist das gut so?
Man sollte jetzt investieren! Ich applaudiere allen Ländern, die sich trotz strikter Regeln auf dem Weg machen und die nötigen Investitionen nun einfach tätigen. Wenn man noch fünf Jahre wartet, schadet das nur der Wirtschaft, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und dem Klima.
Die Dekarbonisierung ist eine der großen gesellschaftlichen Aufgaben. Wie ist das aus Ihrer Sicht zu finanzieren?
Da vermischen sich zwei Fragen miteinander. Die eine Frage ist: Wie sorgen wir jetzt dafür, dass die notwendigen Investitionen in unsere Wirtschaft passieren? Das ist finanziell keine Herausforderung, weil das Geld ja in der Zukunft wieder zurückkommt. Wenn wir unseren Job gut machen, bringt das künftig Steuereinnahmen. Dann gibt es da noch die Frage: Wie bezahlen wir jetzt für all das, was teuer ist, etwa die Gebäudesanierung? Das ist eine größere Herausforderung. Und das geht nicht ohne gute Steuereinnahmen.
Welche Rolle können die Erbschaftssteuer oder Vermögensabgaben dabei spielen?
Ich würde mich vor allem auf eine Reform der Erbschafts- und der Schenkungssteuer konzentrieren. Da gibt es einen ganz klaren Missstand, der auch volkswirtschaftlich bedenklich ist. Wir haben eine starke Vermögenskonzentration in Deutschland, vor allem bei Betriebsvermögen. Diese Konzentration nimmt immer weiter zu. Das ist für eine Marktwirtschaft, in der es Wettbewerb geben soll, nicht sinnvoll. Wenn Vermögen vor allem ererbt und nicht erarbeitet ist, gibt es keine Chancengleichheit mehr, und dann stirbt auch irgendwann die Innovation. Die sehr großzügige Ausgestaltung der Regeln für große Betriebsvermögen führt dazu, dass effektiv kaum Steuern bezahlt werden, wenn Vermögen im Wert von über 20 Millionen Euro übertragen werden. Im Durchschnitt werden die bei Schenkungen mit unter einem Prozent versteuert. Das sollten wir zuerst ändern.