Pendeln mit dem Auto verursacht Stress und Rückenschmerzen und belastet die Umwelt. Trotzdem ziehen die meisten in und um Bremen dieses Verkehrsmittel für den Arbeitsweg vor. Warum eigentlich?
Text: Anna Zacharias
Fotos: Jonas Ginter
1. Juli 2023
Uwe Fellermann kann nicht ohne. Obwohl er gern würde. Der Busfahrer ist einer von rund 123.000 Beschäftigten, die zur Arbeit aus dem Umland nach Bremen einpendeln. Er sagt: „Ich würde mein Auto ja abschaffen, aber es geht einfach nicht.“ Damit ist er nicht allein. Daten der Arbeitnehmerkammer zeigen, dass von einer ökologisch sinnvollen Verkehrswende noch nicht viel zu spüren ist: Der Großteil der Bremer Beschäftigten fährt mit dem Auto zur Arbeit. Einige jedoch haben umgedacht.
„Wer sich kein Auto leisten kann und zu Zeiten arbeiten muss, in denen noch kein Bus fährt, hat das Nachsehen.“
Dominik Santner
Der Bassumer Uwe Fellermann lenkt seit einem Dreivierteljahr Busse bei der BSAG in Bremen, vorher war er 32 Jahre lang bei Weser-Ems-Bus beschäftigt. Ein Busfahrer, der mit dem Auto zu Arbeit fährt – irgendwie paradox. „Ich nutze den ÖPNV mit dem Jobticket so oft es geht. Aber bei meinen extremen Arbeitszeiten ist das selten möglich“, sagt er über seinen rund 30 Kilometer langen Arbeitsweg und erklärt: „Wenn ich um drei Uhr morgens Arbeitsbeginn am Flughafen habe, fahren leider noch keine Busse oder Züge."
Auto auf Platz eins
Aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass immer mehr Menschen einen langen Arbeitsweg haben: 2022 pendelten demnach 123.200 Menschen in die Stadt Bremen ein – 2002 waren es nur rund 100.000. In Bremerhaven stieg die Zahl der Einpendelnden auf über 24.700, rund 5.700 mehr als 2002. Fast die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wohnt außerhalb der Bremer Landesgrenzen.
Die Zahlen der Pendlerinnen und Pendler steigen dabei analog zur Gesamtbeschäftigung, die Einpendlerquote ist seit Jahren mit 42 Prozent in Bremen und 46 Prozent in Bremerhaven konstant. Dabei fahren rund 70 Prozent der Einpendelnden in Bremen vorrangig mit dem Auto, in Bremerhaven sind es sogar rund 85 Prozent. Aber auch für Beschäftigte mit rein innerstädtischem Arbeitsweg ist das Auto wichtig: In Bremen nutzen 45 Prozent, in Bremerhaven 60 Prozent der Nicht-Pendler den Pkw.
Der Busfahrer aus Bassum hat bei seinem Versuch umzusteigen eher schlechte Erfahrungen gemacht: „In meinem ersten halben Jahr bei der BSAG ist allein dreimal der Zug ausgefallen, sodass ich dankbar war, doch das Auto zu haben.“ Aber er sagt auch: „In der Rushhour brauche ich mit dem Auto genauso lange für meinen Arbeitsweg wie mit dem ÖPNV.“ Und wenn es sich auf der Straße staut, kann der Zug auch mal die Nase vorn haben.
Wie es Menschen ergeht, die durch Ausfälle oder Verspätungen nicht pünktlich zur Arbeit kommen, erlebt Fellermann oft auf der anderen Seite, in seinem Job als Busfahrer: „Viele Leute sind im Stress und werden wütend, das bekommt man als Busfahrer dann auch ab. Aber ich kann gut verstehen, dass der Unmut groß ist“, sagt er.
Recht auf Arbeitgeberseite
Wer sein Auto verkauft und sich komplett auf Bus und Bahn verlässt, sollte wissen, dass das Recht bei Verspätungen aufseiten der Arbeitgeber steht, wie Ingo Kleinhenz, Rechtsberater bei der Arbeitnehmerkammer, erklärt. „Grundsätzlich sind die Beschäftigten verpflichtet dafür zu sorgen, dass sie pünktlich auf der Arbeit erscheinen. Diese Verpflichtung besteht auch trotz eines Streiks oder Verspätungen des ÖPNV aus anderen Gründen.“ Wenn ein Streik angekündigt ist, rät er deshalb dazu, rechtzeitig mit dem Arbeitgeber über mögliche Alternativen wie Homeoffice oder den Abbau von Überstunden am entsprechenden Tag zu reden.
Bremen beim Fahrrad vorn
Neben Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es noch ein weiteres gängiges Transportmittel: Innerhalb der Stadt Bremen hat das Fahrrad einen hohen Stellenwert.
„Bremen schneidet im Bundesvergleich eher schlecht ab, was den ÖPNV angeht, ist aber dafür gut bei der Fahrradnutzung“, sagt Dominik Santner, Infrastruktur-Experte bei der
Arbeitnehmerkammer. Autofahrerinnen und Autofahrer abzuholen sei nicht leicht. „Wenn sich der ÖPNV verbessert, holt man die Leute eher vom Rad – Autofahrer wechseln eher nicht“, sagt Santner.
Für Uwe Fellermann ist das Rad keine Lösung: „Ein Lastenfahrrad ist keine wirkliche Alternative, wenn man 30 Kilometer im Winter bei Eis und Schnee zurücklegen muss“, findet der Bassumer. Mit dieser Meinung ist er in der absoluten Mehrheit: Nur rund fünf Prozent der Pendlerinnen und Pendler aus dem Umland geben an, vorrangig das Fahrrad für den Weg nach Bremen zu nutzen.
Mit dem E-Bike aus Bremen-Nord
Ganz anders sieht es bei denen aus, die nicht pendeln: Fast 30 Prozent der in der Stadt Bremen Wohnenden fahren mit dem Rad zur Arbeit, wenn ihr Arbeitsort sich ebenfalls in der Stadt befindet. Eine von ihnen ist Alke Rockmann. Sie nimmt regelmäßig ihr E-Bike, um von Bremen-Nord zur Arbeit nach Bremen zu kommen. Der Verbrenner hat bei ihr für den Arbeitsweg komplett ausgedient: „Aktuell kann ich beruflich völlig auf mein Auto verzichten und fahre meist mit dem E-Bike die 17 Kilometer. Nur wenn das Wetter nicht so recht taugt oder ich mich nicht fit fühle, fahre ich mit der Bahn. Ansonsten kann ich zum Beispiel den Sonnenaufgang über den Lesumwiesen bewundern und mich wachstrampeln“, schwärmt sie.
Da sie bei einer Klimaschutzagentur arbeitet, spielt für sie das Thema berufliche Mobilität eine besondere Rolle. Es gilt die Emissionen so gering wie möglich zu halten. „Deshalb müssen bei uns vor Antritt eines Weges mehrere Aspekte geklärt werden: Ist die Fahrt zwingend notwendig, kann das Ziel innerhalb von 15 Minuten auch zu Fuß oder mit dem Rad erreicht werden oder bei längeren Wegen mit dem ÖPNV? Wenn Letzteres nicht möglich ist, kann über die Nutzung von Carsharing oder einem privaten Pkw nachgedacht werden“, erzählt sie.
„In Deutschland braucht man kein Auto“
Mahmoud Monemian kommt aus dem Iran und lebt seit elf Jahren in Deutschland. Der Erzieher gehört zu den 52.000 Auspendlerinnen und -pendlern der Stadt Bremen: Er wohnt in der Vahr und arbeitet im SOS-Kinderdorf in Osterholz-Scharmbeck und nebenbei noch in einer Bäckerei in Bremen. „Je nach Wetter und Lust fahre ich in Bremen mit dem Fahrrad zur Arbeit, öfter nehme ich aber die Straßenbahn. Mir reichen auch sonst der ÖPNV oder mein Fahrrad“, sagt er. Aus seiner Sicht muss das zuverlässigste Transportmittel umweltfreundlich und billig sein – „also das Rad oder der ÖPNV“. Als Erzieher sei es ihm wichtig, ein Vorbild zu sein. „Ich möchte den Kindern zeigen, dass man auch ohne Auto auskommen kann.“ Als er nach Deutschland kam, habe es ihn überrascht, welchen Stellenwert der Führerschein für viele hier hat: „Es kam mir so vor, als sei das wichtiger als ein Studium oder eine Ausbildung“, sagt er und lacht. „Dabei gibt es in Deutschland eine ganz tolle Verkehrsanbindung, man braucht hier eigentlich gar kein Auto“, findet er.
Mit viel Gepäck wird es kompliziert
Der Bremer Cornelius Klüting arbeitet ebenfalls in Osterholz-Scharmbeck und bedauert, dass er für den Arbeitsweg nicht auf sein Auto verzichten kann: „Das geht nicht, weil ich häufig Sachen transportieren muss und der Bahnhof zu weit entfernt von meiner Arbeitsstelle ist“, sagt der Sportlehrer. Er wohnt mit seiner Familie im Peterswerder, sein Arbeitsweg beträgt also rund 30 Kilometer.
Was spricht für ihn außerdem noch gegen den Zug? „Die Taktungen sind nicht optimal, es ist sehr teuer, und außerdem können Züge auch mal ausfallen“, sagt der Berufspendler, der öfter seinen Kollegen mitnimmt, wenn dessen Zugverbindung wegbricht.
Aber auch das Auto hat – neben dem ökologischen Aspekt – weitere negative Seiten für Klüting, schließlich könne man während der Fahrt nicht nebenbei lesen oder arbeiten. Und dazu kommt noch etwas Persönliches, das der Lehrer an sich beobachtet hat: „Autofahren macht mir schlechte Laune.“
Taktverdichtung im ÖPNV nötig
Nicht nur der Klimawandel, auch finanzielle Faktoren spielen für viele Beschäftigte eine Rolle bei der Wahl des Transportmittels: „Wer sich kein Auto leisten kann und zu Zeiten arbeiten muss, in denen noch kein Bus fährt, hat das Nachsehen“, sagt Dominik Santner. Auch in der Beratung der Arbeitnehmerkammer gibt es immer wieder Ratsuchende, deren Schicht beispielsweise auf eine Zeit vorverlegt wurde, zu der noch kein Bus fährt und die keine andere Transportmöglichkeit haben. „In diesem Fall hilft nur, mit dem Arbeitgeber darüber zu sprechen, ob die Arbeitszeit aus den Randzeiten verlegt werden kann“, sagt Rechtsberater Ingo Kleinhenz. Doch auch hier sitzt der Arbeitgeber rechtlich gesehen in der Regel am längeren Hebel: Verspätung kann grundsätzlich ein Abmahnungsgrund sein.
Auch deswegen müssen die Alternativen zum privaten Pkw so ausgebaut werden, dass alle Beschäftigten gut zur Arbeit kommen, meint Dominik Santner: „Die im Bremer Verkehrsentwicklungsplan vorgesehenen Verbesserungen des ÖPNV wie unter anderem die Taktverdichtung müssen konsequent umgesetzt werden.“ Ein Hindernis ist dabei der Personalmangel, der schon jetzt ein Problem darstellt – und in den nächsten Jahren gehen viele Beschäftigte im ÖPNV in Rente.
„Ich fahre Auto, weil es am bequemsten ist“ – das würde öffentlich wohl kaum jemand zugeben. Doch von ökologischen Faktoren abgesehen könnte es sich auch für die Gesundheit lohnen, zumindest öfter mal aufs Rad zu steigen. „Untersuchungen zeigen, dass das Pendeln mit dem Auto häufig mit Stress, Rückenschmerzen und anderen Leiden einhergeht“, so Dominik Santner. „Die Bewegung an der frischen Luft und eine bessere Ausdauer durch das Radfahren sind dagegen gesundheitsfördernd.“ Motivierende Worte dazu findet auch Alke Rockmann: „Ich denke, jede und jeder sollte einfach mal ausprobieren, wie der Alltag ohne Auto funktioniert, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Also: traut euch!“, sagt sie.
Gewerbegebiete schlecht angebunden
In zwei der größten Bremer Gewerbegebiete – dem Güterverkehrszentrum (GVZ) und dem Gewerbepark Hansalinie (GPH) – dominiert für den Arbeitsweg der Pkw mit knapp 52 Prozent. Es folgen der ÖPNV mit etwa 30 Prozent und das Fahrrad mit circa zehn Prozent. 56 Prozent aller Pkw-Nutzerinnen und -Nutzer könnten sich einen Umstieg vorstellen, wenn Busanbindung, Fahrtzeit und Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes verbessert würden. Das ergab eine Studie der Arbeitnehmerkammer in Zusammenarbeit mit dem Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw), der Handelskammer, der Wirtschaftssenatorin sowie der Umweltsenatorin.
Bessere Alternativen zum Auto!
Kommentar von Dominik Santner, Referent für Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik
Die meisten in Bremen fahren mit dem Auto zur Arbeit. Aber nicht alle können sich das leisten. Menschen mit geringem Einkommen sind oft auf Bus und Bahn angewiesen. Doch gerade nachts oder am Wochenende – insbesondere am Stadtrand – fährt selten ein Bus. Die Alternative ist das Rad. Aber nur, wenn man nicht gesundheitlich beeinträchtigt, das Wetter akzeptabel und der Weg nicht zu weit ist. Gefährlich kann es werden, wenn keine Radwege vorhanden sind und man sich die Straße mit dem motorisierten Verkehr teilen muss. Ein großes Problem vor allem in Gewerbegebieten mit viel Schwerlastverkehr.
Eins ist klar: Die Alternativen zum Auto müssen verbessert werden. Dabei ist schon einiges vorgesehen. Neue Buslinien, eine engere Taktung im ÖPNV und ein Netz von Radschnellwegen wurden vom Senat angekündigt. Nun ist es an der Zeit, diese Maßnahmen auch schnell umzusetzen. Und auch wer trotz allem nicht auf das Auto verzichten kann, muss in Zukunft ebenfalls gut zur Arbeit kommen können.