Die Energiewende verändert die Arbeitswelt: Dachdecker bauen jetzt Solaranlagen ein und Installateure auch Wärmepumpen. Aber geht das so einfach?
Text: Jan Zier
Fotos: Jonas Ginter
1. Januar 2024
Fragt man Dachdeckermeister Lutz Detring nach nachhaltigem Bauen, zieht er eine Broschüre von 2006 aus dem Schrank. Damals wurde die Friedrich Schmidt Bedachungs GmbH in Bremen 100 Jahre alt. „Wir tun was“ ist die Überschrift. Seit 20 Jahren betreibt die Firma auf ihrem Gelände eine Solaranlage, sie hat ein Gründach, sie heizt mit Holz und fährt Elektroautos. „Wir wollen Vorbild sein“, sagt Detring.
Klimaneutrales Bremen
2038 will Bremen klimaneutral sein, so hat es der Senat im vergangenen Jahr beschlossen. Dafür kommt es gerade auf die Baubranche an – in Gebäuden werden viele Treibhausgase emittiert, hier wird viel Energie verbraucht, aber auch produziert. Also geht es um energetische Sanierung, um klimaneutrale Neubauten, um erneuerbare Energien. Das alles funktioniert nur, wenn es genug Fachkräfte gibt. Doch die fehlen schon heute. „In den nächsten zehn Jahren müssen in den Bauberufen im Land Bremen 2.000 zusätzliche Arbeitskräfte ausgebildet oder aus anderen Berufen rekrutiert werden“, sagt Marie-Luise Assmann, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik der Arbeitnehmerkammer. Das geht aus einer Studie des Instituts für Innovation und Technik (iit) hervor, das die Weiterbildungsbedarfe des bremischen Baugewerbes untersucht hat. Ein Ergebnis: Der Fachkräftemangel wird sich trotz überdurchschnittlicher Ausbildungsquoten verschärfen, weil Beschäftigte altersbedingt ausscheiden oder den Beruf wechseln. „Um die Attraktivität der Bauberufe zu steigern, gilt es den Lohnabstand zu den anderen Branchen zu verringern“, heißt es in der Studie. Zudem leide das Image durch die teilweise noch herrschende tradierte und wenig technologieaffine Arbeitsweise auf dem Bau.
„Gerade die energetische Sanierung wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten viele Aufträge bringen.“
Andreas Meyer, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Bremen
Herausforderung bei Aus-, Fort- und Weiterbildung
„Die Bekämpfung des Klimawandels und die damit verbundenen ‚grünen Technologien‘ bedeuten für das Handwerk eine große Herausforderung bei der Aus-, Fort- und Weiterbildung, aber auch eine enorme Chance“, sagt Andreas Meyer, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Bremen. „Um sie nutzen zu können, müssen Handwerkerinnen und Handwerker sich laufend weiterqualifizieren. Gerade die energetische Sanierung wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten viele Aufträge bringen.“ Das gelte in erster Linie für die Gewerke Sanitär-Heizung-Klima und Elektro, in eingeschränktem Maße auch für jene, die momentan von den geringeren Neubauaktivitäten betroffen sind, Maler oder Dachdecker etwa.
Anforderungen an die Qualifizierung steigen
„Wir sind gut ausgelastet und bilden auch wie verrückt aus“, sagt Detring –
von den rund 100 Beschäftigten seines Betriebs sind 25 Lehrlinge. „Unsere Hoffnung ist, dass am Ende ein Drittel der Auszubildenden bei uns in der Firma bleibt“, so Detring. Die Nachfrage ist da: „Das Geschäft mit der Dämmung läuft gut, das hilft uns über jede Krise hinweg“, sagt Detring. Und was ist mit Solaranlagen? „Wir kümmern uns auch um Photovoltaik. Aber das macht bisher nur einen sehr kleinen Anteil an unserem Geschäft aus.“ Doch der werde zunehmen: „Die Leute wollen was tun, das merken wir. Darauf müssen wir reagieren: Das kann man nicht nebenbei machen, wir haben dafür einen Fachmann eingestellt.“ Aber das reicht nicht: „Unsere Meister wie Altgesellen müssen lernen, auch auszubilden“, so Detring. Und wo früher ein oder zwei Meister ausreichten, arbeiten heute zehn. Die Anforderungen an die Qualifikation steigen, so Detring, und ausgelernte Dachdecker seien schwer zu kriegen. Also gibt es hier monatlich am freien Samstag eine Lehrwerkstatt für Azubis.
„In den nächsten zehn Jahren müssen in den Bauberufen im Land Bremen 2.000 zusätzliche Arbeitskräfte ausgebildet oder aus anderen Berufen rekrutiert werden.“
Marie-Luise Assmann, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik der Arbeitnehmerkammer
Umweltfreundlichere Jobs sind attraktiver
Immerhin entscheiden sich junge Menschen „zunehmend häufiger“ für eher umweltfreundliche Berufe wie die Dachdeckerei oder die Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Hier stieg die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen zwischen 2013 und 2022 um mehr als ein Viertel an, steht in einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Potenziell klimaschädliche Jobs etwa in der Kunststoffproduktion verzeichneten einen „moderaten Rückgang“ an Ausbildungsplätzen und einen „markanten Rückgang“ an Bewerbungen, so das IAB: Die Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse in den Berufen mit „Green Skills“ wuchs von 2013 bis 2021 um 14 Prozent, während sie in den Jobs mit „Brown Skills“ im selben Zeitraum um 15 Prozent fiel. Werden Jobs umweltfreundlicher, sind sie attraktiver.
Die Gewerke müssen mehr kooperieren
Es braucht aber auch „praxisnahe und passgenaue Qualifizierungen“ für jene, die schon im Baugewerbe arbeiten, so das iit. Und Maßnahmen, um zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen. „Aktuelle Weiterbildungsbedarfe“ sieht die Studie bei der Dämmung, bei Photovoltaikanlagen und beim Umgang mit neuen Technologien. Auch weiche Faktoren werden wichtiger. Dazu gehört die Kommunikations- und Beratungskompetenz und ein „gewerkeübergreifendes Verständnis“ von Arbeit: Kein Dachdecker kommt ohne Elektriker aus, wenn eine Solaranlage aufs Dach soll.
„Die Vor-Ort-Qualifizierung im Betrieb wird immer wichtiger. Gerade wenn ohnehin Fachkräfte fehlen, mangelt es oft an Zeit für Schulungen.“
Frederik Fuchs, Energieberater im Klima Bau Zentrum
„Viele Firmen müssen verstärkt selbst nachqualifizieren, zum Teil werden die Leute on the fly umgeschult“, sagt Frederik Fuchs, Energieberater im Klima Bau Zentrum, einem Angebot der Bremer Klimaschutzagentur energiekonsens. Manchmal steht da am Ende ein vollwertiges Zertifikat, manchmal nicht. „Die Vor-Ort-Qualifizierung im
Betrieb wird immer wichtiger. Gerade wenn ohnehin Fachkräfte fehlen, mangelt es oft an Zeit für Schulungen“, so der Ingenieur für Energietechnik. Er sieht bei den Wärmepumpen einen „hohen Bedarf an Nachschulung“. Deren Technologie aus der Kältetechnik gibt es zwar schon lange, „für viele Firmen war das hierzulande aber bisher eher ein Nischenthema. Mit der gestiegenen Nachfrage wächst das Verständnis für diese Technologie auf dem Markt. Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen wir die Umstellung und auch die dazu nötige Weiterqualifizierung schneller voranbringen“, so Fuchs. Eine weitere Herausforderung: Bei Wärmepumpen sollten die Firmen mehrere Termine vor Ort machen, um maximale Effizienz zu erreichen – „dieser Aufwand ist in der Praxis oft nicht vorgesehen und für viele Firmen nicht abbildbar“, so Fuchs. „Angesichts der niedrigen Energiepreise war die Frage der Effizienz von Heizungen früher vielfach nicht so relevant. Das ist heute anders.“
Es fehlt noch an Weiterbildungskultur
Die iit-Studie fordert Beratungsangebote gerade für kleine und mittlere Unternehmen. „Wir müssen die Weiterbildungskultur im Baugewerbe fördern“, so Assmann. „Die Betriebe müssen heute schon aus Ungelernten die Fachkräfte von morgen machen.“ Der „Campus für Aus- und Weiterbildung“ wäre ein geeigneter Ort, um die Betriebe dahingehend zu beraten – er soll ein „bundesweites Leuchtturmprojekt“ und im Umfeld der Berufsschulen angesiedelt sein. Die Arbeitnehmerkammer fordert zudem, Beschäftigte zu „Energiewende-Scouts“ fortzubilden, damit sie in den Firmen für das Thema sensibilisieren und dort beraten.
„Die Weiterbildungskultur ist sehr firmenabhängig“, sagt Fuchs – „einigen fehlt es noch daran, andere haben großes Interesse an den Angeboten.“ Andreas Meyer verweist hier auf das handwerkskammereigene „Kompetenzzentrum Handwerk gGmbH“, auf die Beratungen der Innovations- und Technologietransferstelle der Kammer oder Kooperationen wie jene mit Energiekonsens. „Wünschenswert“ wäre aus Sicht der Handwerkskammer zudem „ein echter Werkunterricht an den allgemeinbildenden Schulen“. Das zentrale Mittel gegen den Fachkräftemangel sei die Ausbildung. Deshalb setze das Handwerk das Berufsorientierungsprogramm des Bundes in Bremen und Bremerhaven nahezu flächendeckend um: „Es durchlaufen nahezu alle Schülerinnen und Schüler im Bundesland Bremen.“ Obwohl Bremen bei der Berufsorientierung „vergleichsweise gut aufgestellt“ sei, so Meyer, „sollte diese aus Sicht der Handwerkskammer weiter ausgebaut werden“.
„Wärmepumpen funktionieren in 98 Prozent der Bremer Gebäude“
„Wir haben trotz des akuten Fachkräftemangels in der Branche wenig Probleme, Auszubildende zu finden“, sagt Steffen Röhrs, Geschäftsführer der Uwe Röhrs GmbH, ein Fachbetrieb für Sanitär, Heizungs- und Klimatechnik. Der hat 40 Beschäftigte, davon sieben Azubis – und viel mehr Bewerbungen als Lehrstellen. Röhrs setzt auf Recruiting in sozialen Medien und empfängt in einem schicken Büro mit Loft-Atmosphäre im Bremer Tabakquartier. „Der Job ist gut bezahlt, gute Monteure müssen sich da nicht verstecken“, sagt Röhrs, der Obermeister seiner Innung ist. Seine Firma beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Wärmepumpen, verbaut jedes Jahr rund 120 Stück –
„vor der Energiekrise war das unsere Nische“, sagt Röhrs. „Jetzt ist das anders.“ Gerade kleinere Firmen müssten aber verstärkt kooperieren, schon deshalb, weil Wärmepumpen groß und schwer sind. 80 Prozent seines Umsatzes macht Röhrs heute mit Solaranlagen und Wärmepumpen. Bei Letzteren geht die Nachfrage derzeit stark zurück, doch Röhrs ist überzeugt von der Technologie: „Wärmepumpen funktionieren in 98 Prozent der Bremer Gebäude“. Er sieht vor allem „viel Angst und Vorurteile“ in der Bevölkerung, aber auch „viele Berührungsängste“ im Gewerk, das sich lange vor allem mit traditioneller Verbrennertechnik beschäftigt habe. Große Probleme bei der Weiterbildung gebe es nicht: „Das werden alle meine Fachkolleginnen und Fachkollegen hinkriegen“, sagt Röhrs. „Aber natürlich musss man die Beschäftigten immer auf dem aktuellen Stand halten.“ Er setzt auf mehr Aufklärung, hält oft Vorträge. Und er hofft bei der Nachwuchsgewinnung auf die Familien: „Der größte Hebel ist das Elternhaus.“
Angebote werden nicht ausreichend genutzt
Nicht überall läuft es so gut wie bei Röhrs. „Ein großer Teil der Beschäftigten im bremischen Baugewerbe profitiert bisher nicht von Weiterbildung“, sagt Assmann. „Es gibt hier zwar prinzipiell eine gut entwickelte Weiterbildungslandschaft, die Angebote werden aber nicht ausreichend genutzt.“ Gerade Kleinbetriebe haben schnell Probleme, wenn sie Beschäftigte für Schulungen freistellen sollen, im Zweifelsfall kommt nur der Chef oder Meister. „Es werden vor allem Angebote wahrgenommen, die gesetzlich notwendig sind sowie Herstellerschulungen, die eine unmittelbare Praxisrelevanz haben“, so Assmann.
Kommentar von Tim Voss, Leitung Politikberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen
Strategisch qualifizieren!
Wir brauchen im bremischen Baugewerbe eine neue Weiterbildungskultur. Die Betriebe müssen sich im Zuge der Energiewende mit den langfristigen Qualifizierungsbedarfen ihres Personals auseinandersetzen. Die Kammern beziehungsweise die Wirtschaftsförderung sollten dies unterstützen und Beratungen zum Thema Energiewende inklusive Qualifikationsbedarfsanalysen anbieten.
Auch die Beschäftigten müssen mitgenommen werden: Einzelne Beschäftigte aus dem Baugewerbe könnten zu Energiewende-Scouts geschult werden, die Kenntnisse über Branchentrends und zukünftige Kompetenzanforderungen in ihren Gewerken haben. Sie könnten im eigenen Betrieb Veränderungsprozesse anstoßen und gleichzeitig für Weiterbildungsbedarfe sensibilisieren.
Angesichts der Fachkräfteengpässe sollten Betriebe ihre Beschäftigten aktiv bei Aufstiegen unterstützen und insbesondere Ungelernten eine Nachqualifizierung ermöglichen. Damit sich Beschäftigte auch eigeninitiativ nachqualifizieren können, sollte außerdem das angekündigte Landesprogramm „Aufstieg zur Fachkraft“ für Geringqualifizierte möglichst schnell umgesetzt werden.