Vom Smartphone bis zum autonomen Roboter: KI-Technologien gewinnen stetig an Bedeutung, sowohl im täglichen Leben als auch am Arbeitsplatz. Mithilfe intelligenter Maschinen lässt sich Arbeit erleichtern und verbessern – wenn die Weichen entsprechend gestellt werden.
Text: Anne-Katrin Wehrmann
Foto: Istock, Kay Michalak, Fotolia, Stefan Schmidbauer
1. September 2022
Wenn nach Feierabend die letzten Angestellten den Laden verlassen haben, fängt sein Job erst an: Sobald die Eingangstür verschlossen ist, verlässt der rollende Kollege automatisch seine Ladestation, schaltet seine Beleuchtung und seine Kameras an und fährt zielstrebig durch die Reihen. Gang für Gang scannt er die Regale und speichert ab, welche Produkte in welcher Menge wo stehen. Am Ende seines Einsatzes hat der Roboter einen digitalen Zwilling der gesamten Filiale erstellt, und das jede Nacht aufs Neue. „Der tagesaktuelle digitale Zwilling bildet die Filiale in einem Detailgrad ab, den es heute nirgends gibt“, erläutert Jonas Reiling, betriebswirtschaftlicher Geschäftsführer des Bremer Start-ups Ubica Robotics. „Weil diese Daten bisher fehlen, kann der stationäre Einzelhandel viele seiner Potenziale nicht ausschöpfen. Unser Roboter wird helfen, das zu ändern und damit die Konkurrenzfähigkeit der Filialen gegenüber dem Onlinehandel stärken.“
Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich die gesammelten Daten auswerten, um zum Beispiel Lieferketten und interne Prozesse zu optimieren. Aktuell laufen vielversprechende Tests mit einer großen Drogeriemarktkette und mit einer bundesweiten Supermarktkette. Wichtig ist Reiling die Feststellung, dass die neue Technologie die Angestellten nicht verdrängen, sondern entlasten soll: „Wenn die Beschäftigten von monotonen Zählarbeiten befreit sind, können sie sich intensiver der Beratung ihrer Kundschaft widmen und somit einen echten Mehrwert für den stationären Handel schaffen.“
Der Einsatz von KI bei der Arbeit wird von vielen Beschäftigten unterschätzt. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Demnach gaben direkt danach befragt nur 20 Prozent der Beschäftigten an, mit KI zu arbeiten. Auf konkrete Anwendungen angesprochen berichteten dann allerdings 45 Prozent der Befragten, zumindest wöchentlich auf KI basierende Sprach-, Bild- und Texterkennungsprogramme am Arbeitsplatz zu nutzen. Sie arbeiten also häufiger mit KI-Systemen zusammen, als ihnen bewusst ist.
Ein anderes Bremer Start-up hat in den vergangenen Jahren diverse nationale und internationale Preise für eine innovative Fördertechnik abgeräumt, mit deren Hilfe die immer weiter wachsende Paketlogistik flexibler und effizienter werden soll: Das Transport-System von Cellumation besteht aus einzelnen Modulen, die dank individueller Steuerung komplexere Aufgaben als herkömmliche Förderbänder erledigen können. „Mit unserem Celluveyor lassen sich beliebig viele Zellen zu beliebig großen Anlagen zusammensetzen, die dann wiederum dank intelligenter Software die unterschiedlichsten Aufgaben erledigen können“, erläutert Mitgründer Claudio Uriarte. Objekte sortieren, sie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten geradeaus oder um die Ecke transportieren, rotieren, Paletten bestücken – all das ist möglich, da sich jede Zelle einzeln steuern lässt. Dabei setzt die Steuerung auf KI in Form von Computervision: Integrierte Kameras oder Scanner erkennen und klassifizieren die hereinkommenden Pakete und lenken sie dann auf die gewünschte Bahn.
Chancen und Risiken
Künstliche Intelligenz: Der Begriff ist längst in aller Munde. Doch was ist KI eigentlich und wo steht sie? Welche Entwicklungen sind in den kommenden Jahren zu erwarten? Und inwiefern wird sie den Arbeitsmarkt verändern? Fragen, auf die es aktuell noch keine eindeutigen Antworten gibt. Fest steht nur, dass bestehende Jobs wegfallen werden – und dass an anderer Stelle neue entstehen. „Eine einheitliche Definition für den Begriff KI gibt es nicht“, erläutert Nico Eschkötter, Referent für Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer. „Im Allgemeinen verstehen wir darunter Informatikanwendungen, die menschliche Intelligenz nachzuahmen versuchen, um eigenständig komplexe Probleme zu lösen.“ Für die Arbeitswelt ergeben sich daraus drei mögliche Auswirkungen: KI kann Arbeitskräfte ersetzen, Beschäftigte bei der Arbeit unterstützen oder neue Arbeitsplätze schaffen. Besonders bei einfachen Tätigkeiten sei das Potenzial groß, dass computergesteuerte Maschinen die Arbeit übernehmen, macht Eschkötter deutlich. „Daraus ergeben sich aber durchaus auch positive Möglichkeiten –
zum Beispiel, dass Beschäftigte von eintönigen Routineaufgaben oder körperlich anstrengenden Arbeiten entlastet werden und so mehr Zeit für kreative und erfüllende Aufgaben haben.“
„KI kann Beschäftigte von eintönigen Routineaufgaben oder körperlich anstrengenden Arbeiten entlasten.“
Nico Eschkötter, Arbeitnehmerkammer
Prognosen für die Zukunft sind auch deswegen schwierig, weil viele unterschiedliche Faktoren die weitere Entwicklung beeinflussen – neben den sich ständig wandelnden technischen Möglichkeiten sind es unter anderem ethische, soziale und arbeitspolitische Fragen, auf die Politik und Gesellschaft Antworten finden müssen. Einen Anhaltspunkt geben die technologischen Entwicklungen der Vergangenheit, die zeigen, dass sich Neuerungen bisher immer Schritt für Schritt etabliert haben. „Wir müssen nicht befürchten, dass es einen plötzlichen Umbruch geben wird“, meint Eschkötter. Unabhängig davon sei aber schon jetzt absehbar, dass sich Jobprofile verändern und neue Kompetenzen erforderlich würden: „Es wird darum von entscheidender Bedeutung sein, passende Qualifizierungsangebote zu entwickeln.“ Dafür brauche es allerdings zunächst einen Überblick, in welchem Umfang KI schon in Bremer Unternehmen eingesetzt werde und was in nächster Zeit geplant sei. „Nur wenn wir das wissen, können wir daraus Rückschlüsse ziehen, was das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Qualifizierung und ihre Absicherung bedeutet“, betont der Kammerreferent.
Qualifizierung als wesentlicher Faktor
In den vergangenen Jahren hat sich das Land Bremen einen Namen als einer der führenden Standorte in der KI-Forschung gemacht. Zugleich sind hier schon heute zahlreiche Unternehmen ganz oder in Teilen im Bereich KI tätig, mehrere Netzwerke bringen das Thema weiter voran. Um das Know-how der unterschiedlichen Akteure noch stärker zusammenzuführen, hat die Bremer Politik vor einem Jahr eine KI-Strategie für das Land veröffentlicht. Eines der darin genannten zentralen Handlungsfelder: die Stärkung des Standortes durch Qualifizierung und Fachkräftesicherung. Gemeinsam mit der Landesagentur für berufliche Weiterbildung, der Agentur für Arbeit sowie verschiedenen Trägern werde das Land prüfen, inwieweit konkrete Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen mit dem Schwerpunkt KI entwickelt werden können, heißt es darin.
„Angesichts der sich verändernden Anforderungen müssen die Beschäftigten zwingend die Möglichkeit bekommen, sich weiterzubilden.“
Martin Beckmann, ver.di
Kern der Bremer KI-Strategie ist der Aufbau eines Transferzentrums für künstliche Intelligenz, das mittlerweile seine Arbeit aufgenommen hat und als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik agiert. „Wir wollen die Beschäftigten bewusst mit ins Boot holen“, sagt Projektleiterin und Zentrumsmanagerin Inis Ehrlich. Auf Initiative und teils unter Mitwirkung der Arbeitnehmerkammer werden dort auch Schulungen für Betriebsräte angeboten. „Uns ist ein ganzheitlicher Ansatz wichtig, darum haben wir schon drei Schulungsmodule entwickelt, die sich gezielt mit dem Bereich KI und Arbeitswelt befassen.“ Die Module „Einführung in die KI“, „KI und Mitbestimmung“ sowie „KI im Unternehmen“ sollen künftig regelmäßig angeboten werden und können von interessierten Betrieben auch gebucht werden. „Wir sind gerade erst gestartet und sammeln noch Erfahrungen“, berichtet Ehrlich, „aber unser Ziel ist es, diese Schulungen weiterzuentwickeln und auszubauen“.
Beschäftigte möglichst früh mit einbinden
Auch aus Gewerkschaftssicht ist der Bereich Qualifizierung der Dreh- und Angelpunkt, um dem Wandel von Jobprofilen zukunftsweisend zu begegnen. „Angesichts der sich verändernden Anforderungen müssen die Beschäftigten zwingend die Möglichkeit bekommen, sich weiterzubilden“, erläutert Martin Beckmann, Gewerkschaftssekretär im Bereich Politik und Planung der ver.di-Bundesverwaltung. „Wir setzen uns deswegen für einen gesetzlichen Anspruch auf lebenslange Weiterbildung und eine staatlich geförderte Weiterbildungsteilzeit ein.“
Aufgabe der Politik sei es, die erforderlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass künstliche Intelligenz im Sinne des Gemeinwohls genutzt werde: KI dürfe nur so eingesetzt werden, dass sie ethischen, sozialen und demokratischen Grundwerten entspreche. „Dazu gehört aus unserer Sicht auch, dass KI Arbeit erleichtert und besser macht“, betont Beckmann. „Und dass mehr Arbeitsplätze geschaffen als durch KI abgebaut werden.“ Um das zu erreichen, brauche es einen Ausbau der Rechte von Betriebs- und Personalräten, macht der Gewerkschafter deutlich. „Gerade weil KI auch Risiken birgt, müssen die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen so früh wie möglich mit eingebunden werden.“
Dass künstliche Intelligenz nicht nur für Großunternehmen ein Thema ist, zeigt das Beispiel der Bremer Onlinedruckerei INnUP. Als Dienstleister für die Druckindustrie vermittelt der kleine Betrieb Aufträge für Spezialdrucke zwischen Kunden und Druckereien – und setzt dabei auf den Einsatz von KI. Im Rahmen eines von der EU geförderten Projekts entsteht dort gerade eine intelligente Plattform, die auf eingehende Anfragen nach Analyse der Parameter wie Dicke, Form und Farbe genau passende Angebote herausfiltern soll.
„Momentan hat eine Anfrage bei uns je nach Komplexität eine Bearbeitungszeit von bis zu 24 Stunden“, erläutert Geschäftsführer Phillip Bock, der sich als studierter Mathematiker schon seit vielen Jahren mit KI beschäftigt. „Wir müssen Preise recherchieren und geeignete Partner finden, wobei sich durch die unterschiedlichen Parameter Millionen von Varianten ergeben. Wenn diesen Job nun die KI übernimmt, können wir unsere Abläufe effizienter gestalten oder neue Geschäftsmodelle erschließen.“ Bock ist bewusst, dass sich nicht jeder Firmenchef so tief in die Materie einarbeiten kann und will wie er selbst. Aber zumindest ein grundlegendes Verständnis von KI und deren Auswirkungen auf das eigene Geschäftsmodell sei erforderlich, ist er überzeugt: „Nur so kann ich entscheiden, ob sich der Einsatz lohnt oder nicht – und ob ich überhaupt noch eine Chance habe, wenn mein Wettbewerber auf diese Technologie setzt.“
KI braucht Demokratie
Kommentar von Elke Heyduck, Geschäftsführerin und Leitung Politikberatung
"Es ist schön, dass das Land Bremen in Sachen KI die Nase recht weit vorn hat und Politik und Wirtschaft sich aktiv damit auseinandersetzen. Noch schöner: Dass inzwischen auch Betriebsräten Angebote gemacht werden, sich mit den sehr verschiedenen Technologien auseinanderzusetzen und sie kennenzulernen. Denn wer neue Technologien und ihre Folgen nicht einschätzen kann, kann auch seine Mitbestimmungsrechte nicht wahrnehmen. Am schönsten wäre es deshalb, wenn Bremen sich auch hier profilieren würde.
Denn was KI auf jeden Fall braucht, ist eine transparente, demokratische und gesellschaftliche Auseinandersetzung über Einsatz und Folgen. Betriebe können der Ort einer solchen Auseinandersetzung sein und haben das in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, ob es um Arbeitszeit, Gleichstellung oder Integration ging.
Und auch jetzt, angesichts tiefgreifender Eingriffe in die (Arbeits-)Welt, müssen die Produktionshallen und Büros – jenseits von Ethikkommissionen auf Bundes- oder EU-Ebene – wieder zentrale Orte lebendiger und demokratischer Auseinandersetzung werden. Damit KI nicht rücksichtslos marktwirtschaftliche Ziele verfolgt, damit sie diskriminierungsfrei, transparent und im gesellschaftlichen Interesse eingesetzt wird."
Beratung für Interessenvertretungen
Betriebs- und Personalräte und Mitarbeitervertretungen können sich in der Arbeitnehmerkammer zum Thema „Künstliche Intelligenz und Mitbestimmung“ beraten lassen.
Telefon: 0421.3 63 01 - 955