Seit 2006 gibt es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Deutschland, das vor Diskriminierung schützen soll. Wie gut gelingt das inzwischen aus Sicht der Arbeitnehmerkammer?
Wiebke Blanquett: Das AGG wurde seit 2006 nicht inhaltlich reformiert und schützt nach wie vor nicht alle Betroffenen. Positiv ist, dass das AGG dazu geführt hat, dass Diskriminierung etwa am Arbeitsplatz in Deutschland heute breiter diskutiert wird. Die Betroffenen mussten lange darum kämpfen, dass anerkannt wurde, dass Diskriminierung im gesellschaftlichen Leben, aber auch am Arbeitsplatz überhaupt ein Problem darstellt! Allerdings ist das AGG in der breiten Bevölkerung, aber auch bei manchen Arbeitgebern nach wie vor unbekannt. Dazu läuft aber gerade eine Kampagne der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Welche Lücken hat das Gesetz denn?
Das AGG soll Diskriminierungen verhindern oder beseitigen und regelt den Schutz vor Benachteiligung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Es schützt also nur vor Benachteiligung aufgrund bestimmter Merkmale, die Menschen haben oder die ihnen zugeschrieben werden. Diskriminierung kann aber noch viele weitere Gründe haben. So ist derzeit etwa der Schutz von arbeitenden Eltern oder arbeitenden pflegenden Angehörigen noch nicht vom AGG abgedeckt. Eine der großen Schwächen des AGG ist die Rechtsdurchsetzung: Es ist sehr schwer für die Betroffenen, auch wirklich Recht zu bekommen. Die Klagefrist ist mit zwei Monaten sehr kurz. Alle, die sich erst danach entscheiden, rechtliche Schritte zu unternehmen, kommen also zu spät.
Was bewegt Betroffene, die in die Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer kommen?
Betroffene kommen wegen sexueller Belästigung oder rassistischer Vorfälle am Arbeitsplatz zu uns. Auch Diskriminierung in Bewerbungsverfahren ist ein Thema. Dabei kommen die meisten Ratsuchenden aber nicht und sagen: „Ich werde diskriminiert und beanspruche den Schutz des AGG.“Sie kommen, weil zum Beispiel der Spruch eines Kollegen unangemessen war und sie sich eine Einschätzung wünschen, ob ihr Störgefühl berechtigt ist.
Das Gesetz als solches ist bei den Betroffenen selten bekannt. Aber selbst, wenn sie es kennen, geht es bei Diskriminierungsfällen häufig nicht darum, direkt zu klagen oder ein Recht einzufordern. Es geht vielfach darum, die Situation erst einmal einzuordnen und festzustellen: Ja, da läuft etwas schief. Viele Betroffene gehen auch zu expliziten Antidiskriminierungsstellen. In Bremen ist das etwa das Projekt „ADA – Antidiskriminierung in der Arbeitswelt“. Das ist ein gutes ergänzendes Angebot zu unserer Rechtsberatung.
Was muss sich jetzt konkret ändern, damit insbesondere Beschäftigte besser geschützt sind?
Der Schutz für Beschäftigte muss an vielen Stellen verbessert werden! Schon jetzt gibt das AGG etwa vor, dass Arbeitgeber in den Betrieben Beschwerdestellen einrichten müssen, an die sich Beschäftigte bei möglichen Diskriminierungsfällen wenden können. Viele Betriebe haben aber gar keine Beschwerdestelle und das AGG sieht dafür keine Sanktionen vor. Die Stellen sind zudem häufig nicht unabhängig. Das kann Betroffene abschrecken, Hilfe zu suchen. Es braucht also unabhängige Beschwerdestellen, deren Einrichtung am besten auch kontrolliert wird.
Die Beschäftigten müssen aber auch konkret darin unterstützt werden, ihre Rechte durchzusetzen. Klagen scheitern nicht nur an der sehr kurzen Klagefrist, sondern auch, weil die persönlichen und finanziellen Ressourcen nicht da sind. Es braucht Geld und Kraft, vor Gericht zu ziehen. Hier könnten Antidiskriminierungsverbände gestärkt werden, Betroffene zu unterstützen. Darüber hinaus sollte auch der Merkmalskatalog des AGG erweitert werden, etwa mit dem Merkmal familiäre Fürsorge.
Welche Möglichkeiten hat das Land Bremen, um den Schutz vor Diskriminierung zu verbessern?
Die angesprochenen Lücken im AGG müssen auf Bundesebene geschlossen werden, und das verspricht der Koalitionsvertrag der Ampelregierung auch. Bremen plant darüber hinaus ein eigenes Landesantidiskriminierungsgesetz. So steht es im aktuellen Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot. Die Errichtung einer Landesantidiskriminierungsstelle ist bereits in der letzten Wahlperiode beschlossen worden. Beides muss nun schnell umgesetzt werden. Bremen kann etwa im Bildungsbereich oder auch in seiner Verwaltung einen weitreichenden Schutz etablieren und somit mit gutem Beispiel vorangehen.
Vorträge & Podiumsdiskussion zum Thema
Am Mittwoch, den 22. November 2023 lädt die Arbeitnehmerkammer Bremen in Kooperation mit der Hochschule Bremen von 17 bis 19 Uhr in den Kultursaal:
Auf dem Programm steht ein Vortrag von Prof. Dr. Christiane Brors von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zum Thema: „Das AGG auf dem Prüfstand - Istzustand und Reformnotwendigkeit“ sowie ein Bericht von Kaarina Hauer, Abteilungsleiterin für Rechtspolitik und -beratung der Arbeitnehmerkammer zur Frage: „Was bewegt Beschäftigte? AGG-Fälle aus der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen“.
Abschließend wird es eine Podiumsdiskussion über „Lücken und notwendige Veränderungen des AGG“ geben, mit Prof. Dr. Christiane Brors (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), Ikram Errahmouni-Rimi (Expertin für diskriminierungssensible Organisationskultur) und Oliver Sanner (Präsident Landesarbeitsgericht Bremen), Daniel Scherr (Referent für Beratung und Rechtsfragen, Antidiskriminierungsstelle des Bundes).