Zum Alltag vieler People of Color gehört es, dass sie (auch) im Berufsleben Diskriminierung erfahren. Fachleute und Betroffene sind sich einig: Um das zu ändern, braucht es ein gesellschaftliches Umdenken und Unterstützung aus der Politik.
28. Februar 2022
Text: Anne-Katrin Wehrmann
Foto: Jonas Ginter
Bandjan Keita (Name geändert) lebt noch nicht lange in Bremen. Seine Heimat in Westafrika hat der junge Mann verlassen, um mit einem Studentenvisum nach Deutschland zu kommen. „Ich wollte etwas Neues lernen und mir eine Perspektive aufbauen“, erzählt er, „das war von Anfang an mein Ziel.“ In einem Bremer Unternehmen bekam Keita voriges Jahr die Möglichkeit, zunächst drei Monate als Aushilfe zu arbeiten und dann im August eine Ausbildung zum Verfahrenstechnologen zu beginnen.
„Am Anfang war noch alles gut mit den Kollegen“, erinnert er sich. „Aber ab Juli veränderte sich die Stimmung mir gegenüber plötzlich.“ Angefangen habe es damit, dass ihn die anderen im Team nicht mehr gegrüßt und auch sonst weitgehend ignoriert hätten. Hinter seinem Rücken seien dann mit der Zeit Beleidigungen wie „dreckiger Hund“ ausgesprochen worden – gefolgt von direkt an ihn gerichtete Provokationen wie: „Was willst du hier? Geh doch zum Bahnhof.“ Oder: „Was hast du da in der Hand? Sind das Drogen?“ Und auch: „Kommt ihr alle hierher, um so intelligent zu werden wie wir?“ Bandjan Keita wurde nun auf Schritt und Tritt überwacht und kontrolliert, wie er sagt. Sein Meister sprach nicht mehr direkt mit ihm, sondern ließ ihm seine Arbeitsaufträge über Kollegen ausrichten. „Das war psychischer Terror“, macht er deutlich. „Aber ich dachte, ich muss das aushalten.“
„Angefangen hat es damit, dass mich die anderen im Team nicht mehr gegrüßt und auch sonst weitgehend ignoriert haben.“
Bandjan Keita (Name geändert)
Mehrere Monate lang hielt der junge Afrikaner die rassistischen Beleidigungen aus – weil seine Aufenthaltserlaubnis an die Ausbildung gekoppelt ist und weil er die Ausbildungsvergütung braucht, um seine Miete und die Rechnungen bezahlen zu können. Ende November wurde die Situation für ihn dann so unerträglich, dass er zum Produktionsleiter ging und ihm sagte, dass es so nicht weitergehen könne. „Ich habe ihn gefragt, womit ich das verdient habe, aber er hat mir nicht geantwortet“, berichtet er. Stattdessen bekam er per Post einen Aufhebungsvertrag, den er nicht unterschrieb, und dann im Januar schließlich die Kündigung. „Es wird eine Weile dauern, bis ich das alles verarbeitet habe“, meint Keita. Aufgeben wolle er nicht: Sein Ziel sei es, bald einen neuen Ausbildungsplatz zu finden – dann hoffentlich in einem anderen Umfeld. „So eine Erfahrung will ich nicht noch einmal machen müssen.“
„Alle People of Color und insbesondere alle Schwarzen wissen: Wir müssen viel mehr leisten, um anerkannt zu werden. Das gilt überall und in allen Bereichen und das ist wirklich sehr verletzend.“
Virginie Kamche, Mitgründerin des Afrika Netzwerks Bremen
Druck, Verunsicherung und Angst
Rassistische Diskriminierung ist nicht die Ausnahme, sondern immer noch die Regel: Das sagt Virginie Kamche, Mitgründerin des Afrika Netzwerks Bremen und Bremer „Diversity Persönlichkeit 2019“. Als Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung setzt sich die gebürtige Kamerunerin seit Jahren dafür ein, dass die Stimmen von People of Color (PoC) in der Stadt mehr Gehör finden und der inter- und transkulturelle Austausch gestärkt werden.
So heftige Anfeindungen wie bei Bandjan Keita gebe es zwar eher selten, berichtet sie. „Aber die Anfänge sehen ganz oft so oder so ähnlich aus, das ist praktisch der Normalfall.“ Sie kenne viele Schwarze, die am Arbeitsplatz diskriminiert würden oder Probleme hätten, überhaupt einen Job zu finden. „Dabei hat es hier schon so viele Studierende of Color gegeben, die dieselben Kompetenzen haben wie weiße Menschen. Da stellt sich mir die Frage: Nach welchen Kriterien werden Menschen eigentlich eingestellt? Ist es das erste Kriterium, weiß zu sein?“
Häufig äußere sich Rassismus sehr subtil und sei deswegen schwer nachzuweisen. „Aber wir spüren das“, macht Virginie Kamche deutlich. „Alle People of Color und insbesondere alle Schwarzen wissen: Wir müssen viel mehr leisten, um anerkannt zu werden. Das gilt überall und in allen Bereichen und das ist wirklich sehr verletzend.“ Der permanente Druck, immer alles besser machen zu müssen und dabei möglichst nicht aufzufallen, führe fast zwangsläufig zu Verunsicherung und Angst.
Wer im Restaurant zur Toilette gehe, sehe dort zumeist als Erstes afrikanische Reinigungsfrauen: „Das sind Bilder, die sich ständig reproduzieren – und die dazu führen, dass viele dieser Frauen irgendwann selbst glauben, sie könnten nichts anderes. Was wir brauchen, sind Vorbilder. Schwarze Menschen, die in Banken, Schulen, Arztpraxen arbeiten.“ Es sollte selbstverständlich sein, jeden Menschen als Menschen zu akzeptieren und zu respektieren, betont Kamche. „Aber das ist es offensichtlich nicht. Wir brauchen da ein allgemeines Umdenken und das muss auch von der Politik unterstützt werden.“
„Nach welchen Kriterien werden Menschen eigentlich eingestellt? Ist es das erste Kriterium, weiß zu sein?“
Virginie Kamche, Mitgründerin des Afrika Netzwerks Bremen
People of Colour
People of Color (Singular: Person of Color) ist eine selbst gewählte politische Bezeichnung von verschiedensten Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren. Dabei geht es nicht um Hautfarben, sondern um die Benennung von Rassismus und Machtverhältnissen in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft. Viele Menschen afrikanischer und afrodiasporischer Herkunft bezeichnen sich selbst als Schwarz (mit großem S). Die Großschreibung soll verdeutlichen, dass hier keine tatsächliche Eigenschaft im Sinne einer Farbe beschrieben wird, sondern eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position.
Migrationshintergrund
Der gebräuchlichen Definition des Statistischen Bundesamtes zufolge hat eine Person dann einen Migrationshintergrund, „wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt“.
Struktureller Diskriminierung entgegenwirken
Umfassende statistische Erhebungen und Untersuchungen zur Diskriminierung von PoC auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind bis heute Mangelware. Erste Einblicke gibt aber zum Beispiel eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung von 2018, nach der Menschen mit afrikanischem oder muslimischem Migrationshintergrund im Bewerbungsverfahren besonders deutlich benachteiligt werden.
„Diese Zahlen sind deutliche Hinweise auf strukturelle Diskriminierung.“
Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik
Das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit fand 2016 heraus, dass sich Kopftuch tragende Musliminnen mit türkischem Namen viermal so häufig bewerben müssen wie Bewerberinnen ohne Kopftuch und mit deutsch klingendem Namen, um überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Und aus dem kürzlich veröffentlichten „Afrozensus“, der zum ersten Mal die Lebensrealität von schwarzen Menschen in Deutschland in den Fokus nimmt, geht hervor: Rund 85 Prozent der Befragten haben in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung im Arbeitsleben erfahren. Besonders häufig genannt wurden in der Umfrage rassistische Beleidigungen sowie aus rassistischen Gründen ausbleibende Beförderungen.
„Die Einrichtung einer Beschwerdestelle ist eine gesetzliche Verpflichtung der Betriebe. Es ist für Betroffene enorm wichtig, eine Anlaufstelle zu haben.“
Michael Mindermann, Bremer Beratungsstelle ADA – Antidiskriminierung in der Arbeitswelt
Auch in Bremen gibt es zur Situation von PoC auf dem Arbeitsmarkt bisher kein detailliertes Datenmaterial. Es besteht aber eine Schnittmenge mit den Beschäftigten mit Migrationshintergrund, die in der jüngsten Beschäftigtenbefragung „Koordinaten der Arbeit im Land Bremen“ der Arbeitnehmerkammer interviewt wurden. Eine Sonderauswertung zeigt unter anderem: Der Anteil der Beschäftigten ohne Berufsabschluss liegt bei den Befragten mit ausländischer Staatsangehörigkeit fast viermal und bei denen mit Migrationshintergrund mehr als dreimal so hoch wie bei den übrigen Befragten. Diejenigen unter ihnen, die über einen Hochschulabschluss verfügen, können diesen am Arbeitsmarkt weniger gut verwerten: So übt weniger als die Hälfte der Migrantinnen und Migranten mit Hochschulabschluss auch tatsächlich eine Tätigkeit auf diesem Qualifikationsniveau aus. Insgesamt sind Menschen mit Migrationshintergrund häufiger niedrig entlohnt.
„Diese Zahlen sind deutliche Hinweise auf strukturelle Diskriminierung“, meint Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer. Dagegen lasse sich aktiv etwas tun: „Die Politik muss Maßnahmen ergreifen, um mehr Migrantinnen und Migranten einen Berufsabschluss zu ermöglichen. Und auch die Betriebe müssen Verantwortung übernehmen, indem sie Beschäftigte mit Migrationshintergrund qualifikationsadäquat einstellen und bezahlen und ihre Aus- und Weiterbildungschancen verbessern.“
Zum Argumentieren braucht es Zahlen und Daten
Eine gezielte Studie zum Themenfeld Rassismus und Diskriminierung könne sehr hilfreich sein, meint Michael Mindermann. „Die Betroffenen wissen, dass es das gibt. Aber um argumentieren zu können, braucht es Zahlen und Daten.“ Mindermann arbeitet in der Bremer Beratungsstelle ADA – Antidiskriminierung in der Arbeitswelt und berät und schult dort Unternehmen, die eine innerbetriebliche Beschwerdestelle einrichten wollen.
Laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) haben alle Beschäftigten das Recht, sich bei einer zuständigen Stelle innerhalb ihres Betriebs zu beschweren, wenn sie sich wegen eines der im Gesetz benannten Diskriminierungsmerkmale benachteiligt fühlen: also zum Beispiel aus rassistischen Gründen, wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität. Doch obwohl die Einrichtung einer Beschwerdestelle eine gesetzliche Verpflichtung sei, gebe es solche Stellen in der Praxis nur in sehr wenigen Unternehmen, macht Mindermann deutlich. Es gehöre zur Fürsorgepflicht von Arbeitgebenden, Diskriminierung proaktiv zu begegnen und auf betrieblicher Ebene dazu beizutragen, dass sie gar nicht erst stattfinde. Dazu sei Sensibilisierung nötig: „Ohne ein solches Setting werden die Ziele des Beschwerderechts konterkariert und Beschwerden verhindert.“ Dabei sei es für Betroffene enorm wichtig, eine Anlaufstelle zu haben. Denn während PoC Diskriminierung als Alltagserfahrung erlebten, gebe es eine Diskrepanz in der Wahrnehmung: „Gerade auch was die Deutungshoheit angeht. People of Color werden einfach nicht so gehört wie die Mitglieder der weißen Mehrheitsgesellschaft.“
Als Sohn eines ghanaischen Vaters und einer deutschen Mutter hat Michael Mindermann selbst schon von Kindesbeinen an vielfältige Formen von Ausgrenzung erlebt, wie er sagt – privat und später auch beruflich. So sei bei manchen seiner Jobs in der Vergangenheit seine Expertise nicht wertgeschätzt worden. „Meine jetzige Arbeit ist für mich auch eine Strategie, mit Diskriminierung im Alltag umzugehen. Sie hilft mir, mich mit meinen Erfahrungen in geordnetem Rahmen auseinanderzusetzen und Selbstwirksamkeit zu erleben.“
Kommentar von Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik
Zusammen gegen Rassismus!
Rassismus ist in Deutschland gesellschaftliche Realität – auch in Betrieb und Arbeitswelt. Betroffene, Beratungsstellen und Gewerkschaften kennen viele Schattierungen – von abfälligen Sprüchen, beleidigenden Witzen, offener Hetze über Schikanen bis zur Schlechterstellung bei Lohn, Be - förderung oder Weiterbildung. Beschäftigte sind ihrem Status nach abhängig. Das macht es Einzelnen ohnehin schwer, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Das gilt umso mehr für rassistische Diskriminierung in einer weißen Mehrheitsgesellschaft. Betroffenen kann es helfen, sich Unterstützung vom Betriebsrat und von Vorgesetzten zu holen. Das gelingt besser, wenn sie nicht allein sind. Deshalb ist es wichtig, dass viele Kolleginnen und Kollegen sich auf deren Seite stellen, Unterstützung anbieten, Solidarität, Respekt und Sicherheit einfordern. Verantwortung tragen auch die Unternehmensleitungen: Sie müssen sich aktiv gegen Rassismus einsetzen und eine Kultur schaffen, die Betroffene ernst nimmt und in der Hetze keine Chance hat.