Wie kann es gelingen, qualifiziertes Personal zu halten oder sogar wiederzugewinnen? Mit dieser Frage haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Auftakt unseres Ideen-Workshops beschäftigt.
Text: Anna Zacharias
Foto: Istock
15. Juli 2021
Was können Einrichtungen gegen den Mangel an Pflegepersonal tun? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Arbeitnehmerkammer nicht erst seit der Corona-Krise. Doch die hat die schon hohe Arbeitsbelastungen von Beschäftigten in der stationären Langzeitpflege noch mal erhöht. Zugleich hat die Krise gezeigt, welche Ressourcen aktiviert und entwickelt werden können, um Krisen auf Einrichtungs- und Unternehmensebene zu bewältigen und die Gesundheit von Beschäftigten zu erhalten.
In mehreren Vortragsveranstaltungen mit Vertretern von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie dem ersten einer Ideen-Workshop-Reihe „Gute Pflege ermöglichen – Pflegekräfte halten und zurückgewinnen“ haben sich Arbeitnehmerkammer und die Gewerkschaft Verdi mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt.
Personalmangel verschärft
„Als wir uns 2019 zum ersten Mal mit der Projektidee befasst haben, war noch keine Rede von einer Pandemie", sagt Carola Bury, Referentin für Gesundheitspolitik der Arbeitnehmerkammer bei der Vortragsveranstaltung zur Untersuchung „Gemeinsam stärker! Betriebliche Unterstützungsstrukturen für Beschäftigte in der Langzeitpflege". Auch da schon sei die Belastung durch Personalmangel hoch gewesen. Cora Zenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, und Dr. Guido Becke vom Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) haben die Untersuchung dann unter den Bedingungen der Corona-Krise aktualisiert und die Situation in der Langzeitpflege unter die Lupe genommen.
Die Erhebung sollte die betrieblichen Handlungsmöglichkeiten und deren Umsetzbarkeit aufzeigen. Es wurden Expertinnen und Experten sowie Beschäftigte in den Einrichtungen befragt. Cora Zenz betont die Bedeutung betrieblicher Unterstützungsstrukturen für die Gesundheit der Pflegekräfte. Diese seien zwar grundsätzlich vorhanden, allerdings nicht in allen Einrichtungen auf dem gleichen Stand.
Dienstplangestaltung sei ein großes Thema bei den Befragten sowie auch die zu große Diskrepanz zwischen Beruf und Privatleben. Die Umfragen haben ergeben, dass die fehlende Verlässlichkeit von Dienstplänen ebenfalls ein Kernaspekt sei, ebenso sei die wertschätzende Kommunikation von Seiten der Führungskräfte wichtig, wie auch ein stabiles Team mit wenig Fluktuation.
„Mitarbeiter verlassen eine Einrichtung, wenn die Führung und die Teamarbeit nicht stimmen.“
Christina Middelberg, Leiterin Stadtteilhaus Remberti
Die Leiterin des Stadtteilhauses Remberti der Bremer Heimstiftung, Christina Middelberg, berichtet als Teilnehmerin der Vortragsveranstaltung, man sei bis jetzt ohne Corona-Fälle bei den Bewohnerinnen und Bewohnern durch die Krise gekommen. „In der Pandemiezeit war hilfreich, immer an der Basis zu sein, dicht an den Mitarbeiterteams, jede Frage zu klären“, sagt sie. „Mitarbeiter verlassen eine Einrichtung, wenn die Führung und die Teamarbeit nicht stimmen“, meint die Leiterin, deswegen sei man immer auf der Suche nach Lösungsansätzen. „Wir haben versucht, über Zeitarbeitsfirmen an Fachkräfte zu kommen, was sehr schwierig war, weil auch da der Pool klein war."
Eine Pflegekraft aus einer Bremer Einrichtung berichtet von zusätzlicher Belastung durch einen Wechsel im Management. „Es hat sich gezeigt, wie wichtig die Führung ist. Die Leitungskräfte können ein Team zusammenhalten und führen. Besonders wenn außen herum viele Unsicherheiten herrschen“, sagt sie.
Als Kernaufgaben der Einrichtungen stellt sich heraus, dass Führungskräfte ansprechbar sein müssen und als Vorbilder fungieren sollten, fasst Cora Zenz zusammen. Dabei stehen sie vor dem Spagat, auf den Fluren Präsenz zeigen zu müssen, ohne als Überwacher der Arbeit wahrgenommen zu werden. Die Einrichtungsleitung kann Talente und Potenziale in Einzelgesprächen erkennen und auch mögliche Weiterbildungen fördern. „Bei den Teams spielt Vertrauen eine große Rolle“, sagt Zenz. Überlastungen sollten angesprochen und gemeinsam eine Lösung gesucht werden. Außerdem könne die Leitung durch Vorsorge, Bereitstellung von Arbeitsschutz und Beratungen für Beschäftigte die Gesundheit gefördert werden.
Viele würden wieder einsteigen
Grundlage für den Ideen-Workshop, der am 1. Juli seinen Auftakt hatte, ist die Studie „Ich pflege wieder wenn…“. Arbeitnehmerkammer-Referentin für Gesundheits- und Pflegepolitik, Dr. Jennie Auffenberg, fasst die Ergebnisse kurz zusammen: Ausstiege und der Schritt in die Teilzeit seien häufig eine Reaktion auf die körperlichen und psychischen Belastungen. „Überraschend war für uns die Aussage, dass viele wieder einsteigen würden, wenn sich die Bedingungen ändern“. Es gebe für Bremen und das Umland ein Potenzial von bis zu 1.500 zusätzlichen Pflegekräften, würden die Teilzeit-Pflegekräfte ihre Stunden erhöhen. Das Potenzial von Rückkehrerinnen und Rückkehrern in die Pflege könne nicht geschätzt werden, es sei vermutlich noch höher.
Mehr Wertschätzung von Führungskräften, mehr Zeit für eine gute Pflege, eine angemessene Bezahlung und kein Einspringen aus der Freizeit, aber auch eine betriebliche Interessenvertretung und Tarifbindung waren die Punkte, die oft genannt wurden. „Die Situation ist paradox: Wir brauchen mehr Pflegekräfte, um Pflegekräfte zu gewinnen“, sagt Auffenberg.
Mit möglichen Lösungsvorschlägen befassten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Kleingruppen, die ersten Ergebnisse sollen im Laufe des Jahres zu Konzepten ausgearbeitet werden. Als Lösungsansätze wurden neben einer Anpassung der Bezahlung unter anderem genannt: Vernetzung und Schulung von Führungskräften in wertschätzender Kommunikation, bessere Ausfallkonzepte, zum Beispiel durch das Einrichten von Springerpools, das Angebot von Wiedereinstiegskursen und Sicherstellung einer guten Einarbeitung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern und eine kollegiale Beratung, um Erlebtes während der Arbeitszeit psychisch im Kreis der Kolleginnen und Kollegen verarbeiten zu können.
Interessierte können sich noch für die weiteren Workshops anmelden. Termine stehen noch nicht fest. Wer informiert bleiben möchte, kann sich mit einer Mail an h.hettwer@arbeitnehmerkammer.de in den Verteiler Gesundheitspolitik aufnehmen lassen.
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