
„Die Arbeitsbedingungen auf See sind oft sehr prekär“
Interview zum Tag der Seeleute
Der 25. Juni ist der Tag der Seeleute. Wie viele Beschäftigte in Bremen arbeiten überhaupt in der maritimen Wirtschaft – und wie viele auf See?
Lennart Härtlein: In der maritimen Wirtschaft im Land Bremen arbeiten ungefähr 15.000 Beschäftigte. Wie viele Menschen auf See arbeiten, kann man nicht genau sagen. Der Interessenverband der örtlichen Schifffahrtsunternehmen, der „Bremer Rhederverein“, spricht von 250 Schiffen, die sich im Besitz oder im Management bremischer Betriebe befinden. Man kann also von einer vierstelligen Zahl an Seeleuten ausgehen, die auf diesen Schiffen arbeiten. Die allermeisten dieser Seeleute werden aber wahrscheinlich nie nach Bremen kommen. Sie stammen meist von den Philippinen, aus China, Vietnam, der Ukraine oder Russland. Nur die Offiziersränge werden in der Regel mit Menschen aus Deutschland oder anderen westlichen Staaten besetzt. Es gibt also eine ethnische Segmentierung und keine wirkliche Durchlässigkeit zwischen der Mannschaft und den Führungskräften an Bord.
Die Seefahrt umweht noch immer der Hauch von Abenteuer und Romantik. Aber: Wie sind die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auf See?
90 Prozent aller global gehandelten Waren werden auf dem Seeweg transportiert. Für den internationalen Handel und die Versorgungssicherheit sind die Seeleute also absolut unverzichtbar. Das spiegelt sich aber so gar nicht in ihren Arbeitsbedingungen wider – die sind oft sehr prekär. Die moderne Seefahrt hat mit Romantik wenig zu tun, es ist ein sehr fordernder und gefährlicher Beruf. Die Liegezeiten der Schiffe werden immer kürzer, ihre Besatzungen immer weiter verkleinert. Die Vorstellung, man könnte als Seefahrer*in fremde Länder und Kulturen kennenlernen, entspricht nicht der Realität – weil man einfach kaum Zeit hat, an Land zu gehen.
Ausstellung zum Thema: Niklas Grüter – „Knurren der See“
Die Arbeitnehmerkammer lädt zu einer crossmedialen Ausstellung über Seeleute ein: Mit Fotografien und Briefen fängt Niklas Grüter Leben und Arbeit auf einem Frachtschiff ein. Ein 360 °-Film ermöglicht einen Blick ins Schiffsinnere – wo sich über Monate der Alltag der Seeleute abspielt. Sie selbst berichten über das Gefühl der Isolation, Träume und Hoffnungen.
3. Juli bis 12. September, Arbeitnehmerkammer in Bremerhaven, Barkhausenstraße 16
Vernissage: Donnerstag, 3. Juli 2025, 18.30 Uhr

Welche Probleme haben die Seeleute?
Ein großes Problem sind überlange Arbeitszeiten und mangelnde Erholungsphasen. Die Arbeit auf Schiffen ist körperlich und geistig sehr anstrengend, ohne ausreichende Ruhezeiten steigt nicht nur der Stress, sondern auch die Unfallgefahr, es kommt zu Schlafmangel und Übermüdung – „Seafarer Fatigue“ ist ein anerkanntes Problem. Zwar gibt es mittlerweile die „Maritime Labour Convention“, die Rechte und Arbeitsstandards für Seeleute völkerrechtlich festlegt. Als Mindeststandard sieht sie aber eine tägliche Höchstarbeitszeit von 14 Stunden und eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 72 Stunden vor. In der Realität werden selbst diese hohen Grenzwerte regelmäßig überschritten, wie die Kontrollen immer wieder zeigen. Immer wieder werden Arbeitszeitaufzeichnungen manipuliert, um so zu tun, als würden die international geltenden Bestimmungen eingehalten. Gängige Praxis ist auch, dass Seeleute von ihrem Arbeitgeber genötigt werden, von den Hafenarbeiter*innen die Ladungssicherung zu übernehmen, wodurch sich ihre Arbeitszeit weiter erhöht.
Auch die soziale Situation der Seeleute ist sehr belastend. Sie fahren neun, zehn, elf Monate am Stück zur See, sind in dieser Zeit getrennt von ihren Familien und Freund*innen. Und noch immer ist es so, dass an Bord oft keine stabile und durchgängige Internetverbindung zur Verfügung gestellt wird, sodass es den Seeleuten kaum möglich ist, soziale Kontakte zu halten. In der Gestaltung ihrer Freizeit haben sie ohnehin wenig Abwechslung. Die Crews sind zudem international sehr gemischt, wodurch es Sprach-, aber auch kulturelle Barrieren gibt, was natürlich auch rassistische Diskriminierung begünstigt.
Kaum zu begreifen ist, dass Seeleute immer wieder von Schiffseignern im Stich gelassen werden, sodass sie gar nicht nach Hause zurückkehren können. Allein 2023 wurden fast 2.000 Seeleute auf 129 Schiffen irgendwo auf der Welt zurückgelassen, fernab von zu Hause.
Was verdienen die Seeleute?
Die Bezahlung der einfachen Seeleute ist zumindest nach deutschen Maßstäben ziemlich niedrig: Eine übliche Heuer sind da 1.600 US-Dollar im Monat. Das ist ein Gehalt, für das niemand in Deutschland all diese Entbehrungen auf sich nehmen würde. Im globalen Süden, zum Beispiel auf den Philippinen, ist das aber vergleichsweise viel Geld, das eine ganze Familie versorgt. Je nach Nationalität verdienen Menschen aber unterschiedlich – auch wenn sie denselben Rang an Bord haben. Das wird mit unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den Herkunftsländern begründet, ist aber natürlich eine Form der Diskriminierung. Leider kommt auch häufig Lohnbetrug vor – die Heuer wird dann gar nicht oder nicht in der vereinbarten Höhe gezahlt. Oder aber die Seeleute werden genötigt, einen Teil ihrer vertraglich festgelegten Heuer an den Arbeitgeber zurückzugeben. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation ITF hat allein 2023 mehr als 57 Millionen US-Dollar an ausstehender Heuer für Seeleute eingetrieben. Die Arbeitsverträge der Seeleute sind zudem meist zeitlich befristet – in der Zeit, in der sie nicht auf See sind, stehen sie dann ohne Einkommen da. Ganz abgesehen davon, dass die sozialen Sicherungssysteme, die wir in Deutschland kennen, in den meisten Herkunftsländern der Seeleute natürlich nicht so gut ausgebaut sind.
Welche Gefahren drohen jenen, die unsere Waren um den Globus transportieren?
Alles in allem ist die Seefahrt gerade in den Mannschaftsgraden immer noch ein sehr harter und entbehrungsreicher Job. Studien belegen, dass es unter Seeleuten ein überdurchschnittlich hohes Ausmaß an Depressionen oder sogar Suiziden gibt, zudem sind sie immer wieder der Gefahr von traumatisierenden Erlebnissen ausgesetzt – etwa durch Piraterie oder durch die Begegnung mit schiffbrüchigen Geflüchteten. Selbst geltendes Recht wird von Arbeitgebern und Reedereien immer wieder verletzt. Wer sich darüber beschwert, landet unter Umständen auf schwarzen Listen und wird dann gar nicht mehr angeheuert. Das ist zwar verboten, aber durchaus gängige Praxis. Auf diese Weise sind die Seeleute sehr stark von ihren Arbeitgebern abhängig.
Bremen ist ein maritimes Bundesland mit langer Handelstradition. Was kann und muss die Bremer Politik unternehmen, um die Bedingungen zu verbessern?
Die Regelungen, die es in der Schifffahrt gibt, insbesondere in Bezug auf die Rechte der Seeleute, werden natürlich nicht in Bremen festgelegt, auch nicht in Deutschland. Die „Maritime Labour Convention“ ist eine internationale Angelegenheit – und zugleich die einzige ihrer Art im Arbeitsrecht. Der Bund kann sich aber natürlich dafür einsetzen, dass diese Regeln reformiert werden. Und Bremen kann versuchen, Druck beim Bund zu machen, damit beispielsweise das Lieferkettengesetz bestehen bleibt oder bessere Kontrollen stattfinden. So findet die „Hafenstaatkontrolle“ zwar – stichprobenartig – in bremischen Häfen statt, zuständig ist aber eine Bundesbehörde.
Eine Sache gibt es, die Bremen allein umsetzen könnte: In der bremischen Hafenordnung könnte festgeschrieben werden, dass das Laschen, also das Verzurren der Schiffsladung, nur durch Hafenarbeiter*innen erfolgen darf. Das ist noch nicht passiert, obwohl es dazu bereits 2017 einen Antrag in der Bremischen Bürgerschaft gab.
Interview: Jan Zier
Foto: Niklas Grüter