Seit 2018 gibt es ein überarbeitetes Mutterschutzgesetz. Es soll die Bedürfnisse von Schwangeren in den Mittelpunkt stellen und vorbeugenden Charakter haben. Doch in der Praxis müssen werdende Mütter und ihre Familien noch immer mit Nachteilen im Betrieb kämpfen. Aktuelle Studien untermauern diese Auffassung.
Text: Ulf Buschmann
Fotos: Istock
1. November 2022
Marita Heimsohn ist Fachkraft für Lagerlogistik. Schwere Gegenstände zu heben, innerhalb des Lagers umzusetzen oder beim Verladen zu helfen, das gehört für die 28-Jährige dazu.
Jetzt ist Heimsohn schwanger. Das Logistik-Unternehmen hält sich streng an die Vorgaben des Mutterschutzgesetzes. Dieses sieht für jeden Arbeitsplatz bereits präventiv eine sogenannte Gefährdungsbeurteilung vor. Dürfen Schwangere ihrer bisherigen Tätigkeit nachgehen und in welchem Umfang? Welche Schutzmaßnahmen sind notwendig? Muss ein anderer Arbeitsplatz im Betrieb gefunden werden? Für Marita Heimsohn war schnell klar: Mit dem Transportieren großer und schwerer Kisten ist es vorbei. Stattdessen ist sie jetzt in der Disposition tätig.
„Reise in die richtige Richtung“
Beim Mutterschutz hat sich viel getan. Das neue Mutterschutzgesetz erfasst zum Beispiel mehr Mütter als vor 2018, auch der Arbeitsschutz wurde verstärkt. Und der Kündigungsschutz nach einer Fehlgeburt wurde verbessert. Diese Entwicklung begrüßen Viktoria Dychek, Rechtsberaterin der Arbeitnehmerkammer, und ihre Kollegin Kai Huter grundsätzlich. Huter ist Referentin für Arbeitsschutz- und Gesundheitspolitik. Mit dem 2018 neu ausgerichteten Mutterschutzgesetz „geht die Reise in die richtige Richtung“, sagt Huter. Doch sie und Dychek wissen: Es ist noch erheblich Luft nach oben. „Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels können sich Arbeitgeber vor dem Mutterschutz nicht verschließen“, sagt Rechtsberaterin Dychek. Die Arbeitnehmerkammer hat alleine im Jahr 2021 1.453 Frauen und 289 Männer zu den Themen Mutterschutz, Elternzeit und Elterngeld beraten.
„Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels könnten sich Arbeitgeber vor dem Mutterschutz nicht verschließen.“
Rechtsberaterin Viktoria Dychek
Wie gut oder schlecht es um den Mutterschutz beziehungsweise die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in Deutschland bestellt ist, unterstreichen Untersuchungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). „Während der Schwangerschaft haben (…) 56 Prozent der befragten Eltern mindestens eine diskriminierende Situation erlebt. 26 Prozent der Mütter und 15 Prozent der werdenden Väter erlebten beispielsweise, dass ihnen Verantwortlichkeiten entzogen, weniger anspruchsvolle Aufgaben zugeteilt oder Aufstiegsmöglichkeiten verhindert (beziehungsweise) auf Eis gelegt wurden“, heißt es auf der Internetseite der Antidiskriminierungsstelle.
Daten untermauern Nachteile
Die Daten beziehen sich auf eine im Mai veröffentlichte Untersuchung. Aus dieser geht zudem hervor, dass „knapp vier von zehn Müttern (39 Prozent)“ von „negativen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Mutterschutz“ berichtet hätten: „So wurden beispielsweise erforderliche Gesundheitsschutzmaßnahmen nicht ausreichend getroffen.“
Auch der DGB hat sich des Themas angenommen und im Juni eine eigene Untersuchung veröffentlicht. Das Ergebnis liest sich wenig schmeichelhaft für die Arbeitgeber. Schwangere und Stillende könnten ihre gesetzlichen Rechte viel zu selten durchsetzen, schließen die beiden Autoren Svenja Pfahl und Eugen Unrau. Unter anderem geben die Befragten an, dass nur in gut der Hälfte der Fälle Gefährdungsbeurteilungen erstellt wurden oder bekannt waren.
„26 Prozent der werdenden Mütter und 15 Prozent der Väter erlebten, dass ihnen Verantwortlichkeiten entzogen, weniger anspruchsvolle Aufgaben zugeteilt oder Aufstiegsmöglichkeiten verwehrt wurden.“
Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Eher die Norm als die Ausnahme sei auch für Schwangere, dass Mehrarbeit geleistet oder die Tageshöchstarbeitszeit von 8,5 Stunden überschritten wird. Oft fehlen auch Schutzmaßnahmen wie Ruheräume.
Klare gesetzliche Vorgaben
Dabei macht das Mutterschutzgesetz klare gesetzliche Vorgaben, so etwa bei den Schutzfristen, wie Dychek erläutert. Werdende Mütter stünden jeweils sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung unter besonderem Schutz. Bei Mehrlings- und Frühgeburten sind es sogar zwölf Wochen nach der Geburt. Der Grundsatz ist, dass Frauen in dieser Zeit freigestellt sind.
Aber auch außerhalb dieser Schutzfristen ist der Arbeitgeber gefordert – und zwar mit dem betrieblichen Gesundheitsschutz. Dychek stellt klar, dass ein betriebliches Beschäftigungsverbot das allerletzte Mittel sei. Zuvor müssten alle zur Verfügung stehenden konkreten Schutzmaßnahmen bis hin zu einer Umgestaltung des Arbeitsplatzes ausgeschöpft werden. Könne die Gefährdung durch die Umgestaltung des Arbeitsplatzes – wie im Falle von Marita Heimsohn – nicht ausgeschlossen werden, komme auch eine Versetzung auf einen gefahrlosen Arbeitsplatz in Betracht – mit finanzieller Absicherung auf dem Niveau von vor der Schwangerschaft.
Die Studien zeigen jedoch, dass sehr häufig Beschäftigungsverbote ausgesprochen werden. In der Studie der Antidiskriminierungsstelle berichten sogar zwölf Prozent der Frauen, dass ihr Arbeitgeber sie unter Druck gesetzt habe, in ein Beschäftigungsverbot zu gehen. Klar geregelt sind auch die gesetzlichen Vorgaben im Mutterschutzgesetz, wenn es um mögliche Kündigungen geht. So ist eine Frau mit Beginn der Schwangerschaft sowie bis vier Monate nach der Entbindung praktisch unkündbar, hebt Dychek hervor –
auch bei Fehlgeburten nach der zwölften Schwangerschaftswoche. Selbst in der Elternzeit greife ein besonderer Kündigungsschutz.
Schwierige Praxis
Wie die Antidiskriminierungsstelle und der DGB, haben auch die beiden Fachfrauen der Arbeitnehmerkammer einige Hemmnisse bei der möglichen Rückkehr in den Betrieb wahrgenommen. „In der Praxis gestaltet sich das schwierig“, sagt Huter, „die Arbeitgeber wollen oft keine jungen Mütter im Betrieb, Schwierigkeiten gibt es auch dabei, Teilzeitansprüche durchzusetzen.“
Dabei kann es für die Unternehmen durchaus teuer werden. So weist die Rechtsberaterin darauf hin, dass diejenigen, die keine Schutzmaßnahmen für Schwangere ergreifen, wegen einer Ordnungswidrigkeit zur Kasse gebeten werden. Kann ihnen gar Vorsatz nachgewiesen werden, sei dies sogar eine Straftat, die mit einer Freiheitsstraße bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe geahndet werden.
Infoveranstaltung
Am 8.11.2022 von 18 bis 19.30 Uhr können Sie an unserer Online-Veranstaltung „Mutterschutz, Elternzeit und Elterngeld“ teilnehmen.
Beratung
Als Mitglied der Arbeitnehmerkammer können Sie sich kostenlos zu rechtlichen Fragen von Mutterschutz, Elternzeit und -geld beraten lassen.