Interview: Anna Zacharias
Foto: Tanja Valérien

„Raus aus den Schubladen“ heißt Ihr Buch, das Sie im Rahmen der globale° bei uns vorstellen werden – in welche Schublade werden schwarze Menschen in Deutschland gesteckt?

Florence Brokowski-Shekete: Wenn man noch nichts von der Person weiß, wird sie meist als sozial niedrig eingestuft. Im Berufsleben geht man davon aus, dass dieser Mensch im Niedriglohnsektor tätig ist und einen Job bekleidet, den sonst keiner machen will. Und wenn man eine schwarze Frau trifft, dann ist die vermutlich nur mitgebracht. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: wenn man es dann aufklärt, dann rattert es zum Teil deutlich sichtbar bei den Leuten.

Sie befassen sich mit Rassismus in Deutschland – was entgegnen Sie den (vor allem weißen) Menschen, die sagen: es sei doch jetzt auch „mal gut mit dem Thema“, das sei kein Problem in Deutschland?

Das ist schlichtweg quatsch. Wenn es kein Thema mehr wäre, würde ich mich mit Tanzen beschäftigen, aber nicht damit. Wenn es kein Thema wäre, hätte ich niemanden für mein Buch gefunden, der oder die mit mir über ihr Leben gesprochen hätte. Dann würde der Sozialökonom in Hamburg nicht damit kämpfen müssen, dass zu ihm niemand ins Büro geht, weil jeder denkt: Ach da sitzt ja schon ein Schwarzer – also ein Antragsteller. Wenn es kein Thema wäre, würde auch nicht mehr die Frage kommen: „Wo kommen Sie her“?

Weil es um diese Frage so viele Missverständnisse gibt: Darf man Menschen fragen, woher sie kommen?

Die Frage an sich ist nicht das Problem, sondern die Reaktion auf die Antwort. Wenn ich sage: Ich komme aus Buxtehude, dann müsste der Fragende sagen: „Ah, okay“. Aber das ist ja in der Regel nicht die Frage, sondern die Person fragt eigentlich, warum man so aussieht, wie man aussieht. Und das als erste Frage zu stellen ist einfach übergriffig. Es wird ja gerne gesagt, man frage auch jemanden mit fränkischem Akzent, wo er herkommt – da fragt man aber, aus welcher Region Deutschlands jemand kommt. Viele unterstellen einer Person mit Migrationshintergrund aber per se, dass sie nicht aus Deutschland kommen kann.

Der Metzgermeister in Speyer, der ostfriesische Kfz-Mechaniker und die Gynäkologin in Saarbrücken berichten in Ihrem Buch von ihren Erfahrungen. Gibt es eine Geschichte, die Sie selbst am meisten bewegt hat bei der Recherche?

Ja, das war Juliana, eine Bildungswissenschaftlerin aus Magdeburg. Sie wurde überfallen, als sie mit ihren Kindern auf dem Weg von der Kirche nach Hause war und kann seitdem ihre Hand nicht mehr bewegen – trotzdem spricht sie so liebevoll über Magdeburg und sagt: Das ist meine Stadt, Magdeburg kann ja nichts dafür und hier kann ich nicht weggehen.

Ist es diese extreme Form des Rassismus oder eher der Alltagsrassismus, den sie heute insgesamt für gesellschaftlich problematischer halten?

Das was Juliana erlebt hat, ist natürlich schlimm und ein Extremfall. Das ist aber auch nicht das, was ich täglich bespreche. Aber diese kleinen, alltäglichen Ereignisse verursachen Mikroenttäuschungen, und die darf man nicht außer Acht lassen. Das sind kleine Nadelstiche, die nachhaltig etwas bewirken bei den Menschen. In meinem Buch erzählt Isaac, dass er beim Pförtner gefragt wird, wohin er will, wenn er kurz vor acht Uhr in der Behörde pünktlich in sein Büro gehen will, der Gynäkologin wird gesagt, sie solle froh sein, dass sie überhaupt hier sein darf. Es sind solche Bemerkungen, die einfach immer wieder wehtun im Alltag. 

Ist Ihr Buch eine Anklage, ein Apell oder einfach eine Beschreibung des Zustands und an wen richtet es sich?

Anklagen passt nicht in mein Weltbild. Es ist zum einen für die weißen Menschen, die viele Fragen haben, und Antworten suchen. Und es ist eine Bestärkung für schwarze Menschen, die Spiegelbilder, Vorbilder und Empowerment suchen und benötigen.

Wo fängt für Sie Rassismus an? Wird mit dem Begriff zu leichtfertig umgegangen?

Für mich beginnt Rassismus da, wo Bemerkungen wirklich absichtlich abwertend sind. Wir müssen die Grenze ziehen zu Fettnäpfchen. Diese sind zwar manchmal auch rassistisch, aber ich persönlich versuche immer zu entscheiden, ob jemand etwas bewusst sagt oder es einfach nicht besser weiß, aber lernwillig ist. Und ich vermeide auch zu sagen: Du bist ein Rassist. Denn da machen die Menschen dicht. Wer zum Beispiel sagt, das sei kein Thema mehr, ist einfach ignorant.

Wenn sie all Ihre Erfahrungen zusammennehmen, wie rassistisch ist Deutschland denn heute noch?

Es hat sich vieles verbessert, allerdings ist der Ton seit 2015 auch wieder anders, zum Teil negativer geworden. Und seit Black Lives Matter fühlen sich viele Menschen, die zur Mehrheitsgesellschaft gehören, fast schon überfordert.

 

Lesung bei der globale°

Florence Brokowski-Shekete ist Schulamtsdirektorin in Baden-Württemberg und Trainerin für interkulturelle Kommunikation. Die Autorin wuchs als Kind nigerianischer Eltern bei einer deutschen Pflegemutter in Buxtehude auf. Neben ihrem Podcast „Schwarzweiss“ mit der Journalistin Marion Kuchenny führt sie auf Youtube den People-Talk „Schwarzwälder und Butterkuchen“.