Es gibt sie immer noch: Vorgesetzte, die Mitarbeitenden das Arbeitsleben schwer machen. Woran liegt es, wenn es zu Spannungen mit Vorgesetzten kommt, und wie lassen sich diese Konflikte beheben?
Text: Suse Lübker
Foto: Nikolai Wolff
1. September 2024
Mal ist es nur ein Missverständnis, das den Arbeitsalltag stört, mal sind es ernsthafte Konflikte im Umgang mit cholerischen oder launischen Vorgesetzten, die das berufliche Miteinander belasten. Und im schlimmsten Fall sind die Konflikte so gravierend, dass es scheint, nur eine Kündigung könne die Situation lösen. Moderne Führung, so könnte man denken, schließt derartige Probleme aus, setzt sie doch auf Empathie, Kommunikation und eine konstruktive Feedbackkultur. Doch die Realität zeigt, dass es selbst in der heutigen Zeit keine Garantie für ein konfliktfreies Arbeitsumfeld gibt.
Missverständnisse an der Tagesordnung
Konflikte treten häufig auf, wenn Erwartungen nicht definiert werden, sagt Business- und Karrierecoach Christoph Homeier. Oftmals gehen Vorgesetzte davon aus, dass die Angestellten schon wissen, welche Aufgaben sie erledigen sollten, was zu Enttäuschungen führt, wenn dies nicht der Fall ist. So berichtet Homeier aus seinem Coachingalltag von einem Abteilungsleiter, der dachte, dass er Zahlen, Daten und Fakten liefern soll. Sein Vorgesetzter hingegen erwartete, dass er Führungsaufgaben übernimmt und für ein gutes Arbeitsklima im Team sorgt. Eine klassische Situation, die nur durch ein gemeinsames Gespräch aufgelöst werden konnte.
Moderne Führung sollte auf Empathie, Kommunikation und eine konstruktive Feedbackkultur setzen.
Homeier schlägt vor, dass die Erwartungen gleich zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses auf den Tisch kommen. Nicht nur die Aufgaben müssen klar definiert werden, sondern auch, wie man zukünftig miteinander umgeht. Die Initiative für ein solches Gespräch muss nicht zwangsläufig von dem oder der Vorgesetzten ausgehen. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten klarmachen, was sie im Arbeitsalltag brauchen, um einen guten Job zu machen. Wenn diese Erwartungen nicht geklärt sind, kann es zu Missverständnissen und Frustrationen auf beiden Seiten kommen. „Missverständnisse aufgrund ungeklärter Erwartungen kommen auf allen Hierarchieebenen vor“, so Homeier. Und die lassen sich am besten verhindern, wenn sich beide Parteien regelmäßig austauschen.
Feedbackkultur entscheidend, um Konflikte zu verhindern
Wichtig sei außerdem eine gute Feedbackkultur, damit Mitarbeitende ohne Angst bei ihren Vorgesetzten Dinge ansprechen können, die sie verändern oder verbessern möchten. „Feedback ist keine Einbahnstraße“, sagt Homeier, „auch Vorgesetzte brauchen Feedback, um sich selber weiterzuentwickeln.“ Viele Führungskräfte würden positiv mit Feedback umgehen, diese Erfahrung hat der Berater oft in seinen Coachinggesprächen gemacht.
„Konflikte treten häufig auf, wenn Erwartungen nicht definiert werden.“
Christoph Homeier, Business- und Karrierecoach
Ähnlich sieht es auch Nadja Rondke. Die Trainerin und Beraterin begleitet Mitarbeitende und deren Vorgesetzte bei der Entwicklung ihrer Unternehmenskultur. Entscheidend sei, dass im Unternehmen ganz offen und ohne Angst über Themen gesprochen werden könne, und zwar auch über kritische Themen. „Gibt es eine offene Feedbackkultur, fällt es nicht schwer, problematische Situationen anzusprechen.“ Anliegen müssen klar formuliert werden, und zwar ohne dem Gegenüber Vorwürfe zu machen. Wichtig sei es auch, so Rondke, zu formulieren, wie man sich das Miteinander in der Zukunft vorstellt und wie sich zukünftige Krisensituationen konstruktiv lösen lassen.
Ist ein solches Gespräch nicht möglich und ist jemand dauerhaft unzufrieden, braucht es Unterstützung von jemandem, der die Situation mit einem neutralen Blick beurteilt und nicht involviert ist. Das kann auch der Betriebs- oder Personalrat sein.
Bossing: Wenn Vorgesetzte Mitarbeitende mobben
Hubertus Bartelt, Rechtsberater bei der Arbeitnehmerkammer, erlebt in seiner Beratung verschiedene Themen, wenn es um Konflikte mit Vorgesetzten geht. Manchmal geht es so weit, dass Chefs einzelne Mitarbeitende mobben, sie vor Arbeitskolleginnen und -kollegen schlechtmachen oder willentlich aus dem Team ausgrenzen. Dahinter steht meist das Ziel, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Dieses sogenannte Bossing kommt vergleichsweise selten in der Beratung vor. Häufiger geht es um Verhaltensweisen von Vorgesetzten, die den Arbeitsalltag unangenehm machen: etwa wenn der oder die Vorgesetzte jede Kritik als persönliche Beleidigung auffasst oder Vorschläge, Arbeitsabläufe zu optimieren, abgetan werden. Manchmal sind es auch „nur“ unfreundliche Reaktionen. Anders als beim Bossing verfolgen diese Vorgesetzten kein bestimmtes Ziel mit ihren Verhaltensweisen und verhalten sich nicht nur einer Person gegenüber unsozial, sondern mehreren. Oft handelt es sich dabei um Vorgesetzte, die zwar fachlich fit sind, aber keine Führungsqualifikationen haben. Keine einfache Situation für die betroffenen Mitarbeitenden. „Meist sind es Vorgesetzte mit cholerischen Verhaltensweisen, die sich regelmäßig im Ton vergreifen und persönlich beleidigen, und oft haben sie ihre Lieblinge im Team oder im Betrieb“, berichtet Bartelt.
„Schwierige Vorgesetzte sind oft zwar fachlich fit, haben aber keine Führungsqualifikationen.“
Hubertus Bartelt, Rechtsberater bei der Arbeitnehmerkammer
Was kann man tun, wenn die Situation zunehmend unerträglich wird? Auch Bartelt rät dazu, das Gespräch mit dem oder der Vorgesetzten zu suchen, wenn möglich gemeinsam mit dem Betriebsrat oder einer Vertrauensperson. Wichtig sei es, das Gespräch sehr gut vorzubereiten und sich vorab Notizen zu konkreten Situationen zu machen. Das gilt besonders dann, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bossing betroffen sind: „Mitarbeitende, die regelmäßig von ihren Vorgesetzten schikaniert werden, sollten unbedingt alle Vorfälle mit Datum und Uhrzeit in einem Bossing-Tagebuch festhalten“, empfiehlt der Berater. Denn oft kritisieren die Vorgesetzten unter vier Augen und streiten im Gespräch die Vorfälle ab. Wenn alle Gesprächsmöglichkeiten ausgeschöpft sind oder die Gespräche scheitern, bleibe allerdings nur noch der Weg zum Arbeitsgericht – oder sich einen anderen Arbeitsplatz zu suchen.
Interview: Schikane am Arbeitsplatz
Hubertus Bartelt, Rechtsberater bei der Arbeitnehmerkammer, über mobbende Vorgesetzte
Herr Bartelt, was genau ist der Unterschied zwischen Mobbing und Bossing?
Bossing bedeutet Mobbing durch Vorgesetzte am Arbeitsplatz. Konkret heißt das, dass Kolleg:innen sozial ausgegrenzt und oft auch vom Informationsfluss abgeschnitten werden. Mobbing passiert in der Regel auf einer hierarchischen Ebene unter Kolleginnen und Kollegen und kann von einem verantwortungsbewussten Kollegen oder einer Kollegin aufgelöst oder zumindest befriedet werden. Wenn eine vorgesetzte Person Mobbing betreibt, dann hat man eben diese Chance nicht.
Wer ist in so einem Fall zuständig?
Der erste Schritt wäre, das Gespräch mit dem oder der Vorgesetzten, um die Situation zu klären. Manchmal hat sie ihr Verhalten nicht so gemeint oder so empfunden wie der oder die Betroffene und der Vorfall kann im Gespräch geklärt werden. Bei echtem Bossing handelt die Person allerdings vorsätzlich. In so einem Fall müsste sich der oder die Betroffene an die vorgesetzte Person der mobbenden Vorgesetzten wenden. Und das ist schon eine heikle Sache: Häufig trauen sich Beschäftigte nicht, das zu tun. Sie haben Angst, dass die Vorgesetzte ihre Bossingattacken noch verschärft.
Was ist der Grund für derartige Bossingattacken?
Man möchte eine Person, die einem untergeben ist, öffentlich bloßstellen und oft auch dazu bringen, von sich aus das Arbeitsverhältnis zu beenden.
Was sind typische Merkmale für Bossing?
Vorgesetzte entziehen ihren Mitarbeitenden die Kompetenzen. So hat er oder sie jahrelang bestimmte Aufgaben erledigt und ohne Erklärung werden diese Aufgaben plötzlich einer anderen Person zugeteilt. Manchmal werden die Betroffenen auch von Informationen abgeschnitten. Andere Kolleginnen und Kollegen werden zum Beispiel über Änderungen von Arbeitsabläufen informiert, die gebosste Person hingegen arbeitet so weiter, wie bisher und das ist natürlich falsch. Dadurch werden Fehler produziert. So hat der oder die Vorgesetzte einen weiteren Angriffspunkt. All das sind Merkmale für Bossing. Hinzu kommen weitere Aspekte. So sind die Vorgesetzten häufig unfreundlich oder machen abfällige Bemerkungen.
Wie reagieren die Kolleginnen und Kollegen in solchen Fällen?
Manchmal unterstützen sie die betroffene Person und sind auch bereit, bei einem Gespräch mit dem bossenden Vorgesetzten dabei zu sein. Oft entsteht allerdings eine Eigendynamik: Die Kolleginnen und Kollegen machen mit und grenzen die gemobbte Person aus.
Der nächste Schritt in einem Bossingfall wäre also ein Gespräch mit der oder dem Vorgesetzten?
Genau, das empfehlen wir auch. Wenn es einen Personal- oder Betriebsrat gibt, dann sollte sich der oder die Betroffene zunächst dort Hilfe holen. Die Personalvertretung wird dann auch an einem Gespräch teilnehmen. Zur Vorbereitung eines Gesprächs sollten die Betroffenen unbedingt alle Vorfälle, so genau wie möglich aufschreiben.
Wenn so ein Gespräch gescheitert ist, bleibt oft nur noch die Möglichkeit, den Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht zu verklagen oder sich auf einen neuen Job zu bewerben. Bevor ein Arbeitgeber einen leitenden Angestellten austauscht, lässt er es eher dazu kommen, dass die gebosste Person kündigt – das zeigt die Erfahrung in der Beratung.