Interview mit Dr. Magnus Brosig, Referent für Sozialversicherungs- und Steuerpolitik bei der Arbeitnehmerkammer.
Worum geht es inhaltlich beim neuen Rentenpaket?
Magnus Brosig: Mit einem großen Reformpaket plant die Bundesregierung eine ganze Reihe von Änderungen bei der Alterssicherung. Sie sollen in unterschiedlichen Gesetzen noch bis zum Jahresende 2025 beschlossen werden.
Das Rentenniveau soll zunächst bei 48 Prozent stabilisiert werden. Damit sollen jedenfalls bis 2031 die Renten weiterhin so stark steigen wie zuvor die Löhne. Mit der „Mütterrente III“ sollen ab 2028 Erziehungsleistungen unabhängig vom Geburtsjahr des Kindes bei der Rente gleich bewertet werden.
Außerdem ist geplant, Betriebsrenten vor allem für Beschäftigte in nicht-tarifgebundenen Betrieben und im Niedriglohnsektor attraktiver zu machen – also in den Bereichen, in denen sie heute besonders selten sind. Ergänzend soll eine sogenannte Aktivrente eingeführt werden: Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht hat, aber freiwillig weiterarbeitet, soll bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen dürfen. Bislang ist lediglich ein Minijob mit 556 Euro im Monat steuerfrei. Damit soll die Arbeit im Alter attraktiver werden.
Darüber hinaus will die Bundesregierung eine „Frühstartrente“ schaffen, für die der Staat für jedes Kind im Alter zwischen sechs und 18 Jahren monatlich zehn Euro auf ein individuelles Altersvorsorgedepot einzahlt. Auch die Möglichkeiten zur staatlich regulierten und geförderten Privatvorsorge sollen grundlegend reformiert werden. Damit will man Lehren aus dem weitgehenden Scheitern der „Riester-Rente“ ziehen.
Wie wirkt sich das neue Rentenpaket auf Beschäftigte aus?
Ohne eine Stabilisierung des Rentenniveaus würde es bis 2031 voraussichtlich von 48 auf 47 Prozent sinken. Niedrigere Alterseinkommen wären die Folge. Unmittelbar profitieren werden von der Reform zwar nur jene, die in diesem Zeitraum schon eine gesetzliche Rente beziehen. Weil zukünftige Rentenanpassungen aber von der garantierten Haltelinie von 48 Prozent ausgehen, profitieren auch alle zukünftigen Rentner*innen von der Reform: Auch die ab 2032 ausgezahlten Renten lägen um etwa zwei Prozent höher als ohne die verlängerte Haltelinie.
Die Finanzierung dieser Differenz soll dauerhaft aus Steuermitteln erfolgen, sodass alle Menschen und nicht wie sonst üblich nur die Beitragszahler*innen herangezogen werden. Das mag zunächst sinnvoll erscheinen, ist aber systemfremd. Gute Renten kosten nun einmal Geld – und zwar aus Beiträgen. Dabei kann man sich auch folgenden Zusammenhang zunutze machen: Je stärker der Beitragssatz steigen muss, um das Rentenniveau zu halten, desto geringer fallen wiederum die Rentenanpassungen aus. So erreicht man anders als bei sinkendem Rentenniveau eine tatsächlich faire Lastenverteilung zwischen heutigen und künftigen (aktuell noch beitragszahlenden) Rentner*innen bei nachhaltig angemessenen Renten. Die Beitragsfinanzierung der Renten muss aber auch dann unbedingt um zusätzliche Steuermittel ergänzt werden – für die sogenannten versicherungsfremden Leistungen wie die „Mütterrente“.
Ist die Reform bei den Betriebsrenten ein Fortschritt?
Es ist eher nur ein kleiner Schritt – durchaus erwartbare Verbesserungen dürften überschaubar ausfallen. Das reicht nicht aus, schon weil heute nur etwa die Hälfte aller Arbeitnehmer*innen überhaupt einen Anspruch auf eine Betriebsrente erwirbt. Für ein insgesamt gutes Alterseinkommen müssten angesichts der niedrigen gesetzlichen Renten gerade die Betriebsrenten möglichst hoch ausfallen – und zwar für alle. Langfristig dürfte kein Weg daran vorbeiführen, dem Vorbild anderer Länder zu folgen und Vorsorgetarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären oder die Arbeitgeber anderweitig zur flächendeckenden Vorsorge für ihre Beschäftigten zu verpflichten.
Was bringt die geplante „Aktivrente“?
Sie soll mehr Arbeitnehmer*innen dazu animieren, auch im Rentenalter noch weiterzuarbeiten. Was auf den ersten Blick einfach nur wie eine willkommene Steuererleichterung wirkt, ist insgesamt aber kritisch zu bewerten. Denn statt den Ruhestand aufzuweichen, muss viel mehr dafür getan werden, dass praktisch alle Menschen die Rente mit 67 in guter Arbeit erreichen können – und nicht frühzeitig erwerbsgemindert ausscheiden oder dauerhafte hohe Abschläge in Kauf nehmen müssen. Ein weiteres Problem: Die Einkommensteuer belastet heute gerade geringere und mittlere Löhne viel zu stark und muss dringend reformiert werden. Aber immerhin betrifft sie alle Arbeitseinkommen gleichermaßen. Nun soll jedoch ein Unterschied danach gemacht werden, ob jemand 63 oder 69 Jahre alt ist, beschäftigt oder selbstständig ist. Das dürfte auch rechtlich hochproblematisch sein und trifft noch nicht einmal diejenigen, die im Alter tatsächlich dringend mehr Geld benötigen: Wer sich seine karge Rente mit einem Minijob um 556 Euro aufbessert, zahlt dafür schon jetzt keine Steuern. Er hat nichts von der „Aktivrente“. Ein Facharbeiter hingegen, der monatlich schon 2.500 Euro aus gesetzlicher und betrieblicher Rente bekommt, kann sich mit weiterem Einkommen aus regulärer Beschäftigung über eine erhebliche Steuerersparnis freuen. Immerhin sollen die im Alter bezogenen Löhne wie bisher sozialversicherungspflichtig bleiben, sodass den Sozialkassen keine dringend benötigten Einnahmen entgehen würden.
Rentenpolitik muss den Menschen dienen – nicht den Geschäftsinteressen der Finanzwirtschaft!
Dr. Magnus Brosig
Referent für Sozialversicherungs- und Steuerpolitik bei der Arbeitnehmerkammer

Was ist von den übrigen Reformplänen zu halten?
Sie sind noch nicht hinreichend ausbuchstabiert, um sie gründlich bewerten zu können. Fest steht aber: Individuelle Modelle bei der Altersvorsorge wie die Riester-Rente sind viel teurer, ineffizienter und weniger leistungsfähig als die gesetzliche Rente oder große Betriebsrentensysteme. Nicht ohne Grund setzen Länder mit auskömmlicher Alterssicherung genau darauf – Österreich ebenso wie die Niederlande. Die deutsche Politik hingegen ist mit dem Versuch der individuellen Riester-Rente krachend gescheitert. Von diesem Fiasko mit Ansage sollte man nun unbedingt lernen, statt erneut auf das falsche Pferd kleinteiliger, ineffizienter, lückenhafter und angeblich „freiwilliger“ persönlicher Altersvorsorge zu setzen. Denn Rentenpolitik muss den Menschen dienen – nicht den Geschäftsinteressen der Finanzwirtschaft!
Was muss sich aus Sicht der Arbeitnehmerkammer an den Reformplänen konkret ändern?
Die geplante Stabilisierung des Rentenniveaus über 2025 hinaus bis 2031 wäre besser als nichts. Sie ist aber nur ein kleiner Schritt. Notwendig wäre eine Wiederanhebung des Niveaus auf mindestens 50 Prozent, um eine bessere Basis für Alterseinkommen zu schaffen, die auch den Lebensstandard der Menschen im Alter sichern. Zudem sollte das Niveau dauerhaft garantiert werden, um auch heutigen und zukünftigen Beitragszahler*innen die nötige Verlässlichkeit zu bieten. Allen Unkenrufen aus Unternehmen und Finanzwirtschaft zum Trotz wäre dies auch in Zeiten des demografischen Wandels sehr wohl bezahlbar.
Die Finanzierung der Rente muss außerdem viel systematischer werden, um Verteilungswirkungen klarer erfassen zu können: Wer bezahlt was, wer bekommt was? Aktuell zahlt der Bund viel zu wenig für „versicherungsfremde“ Leistungen, die eigentlich aus Steuermitteln des Staates finanziert werden müssten, will aber nun erstmals Steuergeld für den Teil der Rente einsetzen, der sich eigentlich aus Beiträgen finanziert. Das ist widersinnig! Viel besser wäre es, die „versicherungsfremden“ Leistungen endlich einmal sauber zu definieren, voll aus Steuermitteln zu bezahlen und für den reinen Lohnersatz im Alter – dafür steht das Rentenniveau – ausschließlich die Rentenbeiträge zu nutzen. Das würde das System insgesamt fairer machen.
Was das Arbeiten im Alter angeht: Die „Aktivrente“ sollte gar nicht erst eingeführt werden. Der verdiente Ruhestand darf nicht infrage gestellt werden, und schon gar nicht brauchen wir unnötige und unfaire Steuergeschenke. Priorität für Politik und Arbeitgeber muss eine gute, ordentlich entlohnte und sozialversicherte Arbeit bis zur auskömmlichen Rente haben. Die Beschäftigten sollen ihren verdienten Ruhestand genießen können – eine Aufstockung der Rente sollte weder finanziell notwendig sein noch gesellschaftlich erwartet werden.
Priorität für Politik und Arbeitgeber muss eine gute, ordentlich entlohnte und sozialversicherte Arbeit bis zur auskömmlichen Rente haben.
Dr. Magnus Brosig
Referent für Sozialversicherungs- und Steuerpolitik bei der Arbeitnehmerkammer

Zweifellos muss die Zusatzvorsorge reformiert werden! Wegen des gesunkenen Rentenniveaus ist sie für viele Menschen tatsächlich zur dringend notwendigen Ersatzvorsorge geworden. Die erneute Reform der Betriebsrenten sollte nun erst einmal beschlossen, umgesetzt, in nicht allzu ferner Zukunft kritisch bewertet und dann bei Bedarf erneut angepasst werden. Das Ziel muss dabei eine „Betriebsrente für alle“ sein. Ganz verzichten sollte die Politik aber auf die „Frühstartrente“: Dem schlechten Vorbild der Riester-Rente folgend sollen hier sehr viele Steuergelder in die Hand genommen werden, um kleinteilige Finanzprodukte zu finanzieren und damit die Finanzwirtschaft zu fördern – und diesmal sogar mit der sprichwörtlichen Gießkanne!
Bei der notwendigen Reform der privaten Altersvorsorge sollte stärker auf den Verbraucherschutz als auf staatliche Zuschüsse geachtet werden. Denn in einem Land, in dem künftig hoffentlich eine stabile und ordentliche gesetzliche Rente flächendeckend von nennenswerten Betriebsrenten ergänzt wird, wäre individuelle Vorsorge kein notwendiges Übel mehr, sondern eine freiwillige Ergänzung. Dafür müsste und sollte der Staat dann kein Geld mehr in die Hand nehmen.
Fragen: Jan Zier
Foto: Fotolia
