Junger Mann mit gelbem Schutzhelm und dunkler Schutzbrille arbeitet mit Brenner an einem Metallstück, Funken fliegen.

Der Ausbildungsfonds

- eine gute Idee

Zu viele junge Leute im Land Bremen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Der vom Senat geplante Ausbildungsfonds soll Abhilfe schaffen.

Text: Ulf Buschmann
Foto: Kay Michalak
1. November 2022

Der 17-jährige Hendrik kann sich glücklich schätzen. Er macht eine Ausbildung zum Zimmermann. Der Umgang mit Holz ist eigentlich sein Ding. Und doch hat Hendrik ein Problem: In der Praxis ist er zwar recht gut, aber mit den theoretischen Grundlagen hapert es mächtig. Seinen Hauptschulabschluss hat Hendrik nur mit Ach und Krach geschafft. Trotzdem hat er in seinem Ausbildungsbetrieb eine Chance bekommen.

Damit es auch mit den Arbeiten in der Berufsschule und später mit dem Abschluss klappt, nimmt der Jugendliche Nachhilfeunterricht – von Mathematik bis Politik ist alles dabei. Selbst bei Problemen im Betrieb kann sich Hendrik an kundige Menschen wenden. Und nicht nur das: Betriebsübergreifende Ausbildungsanteile, die der Betrieb nicht erbringen kann, werden den angehenden Gesellinnen und Gesellen gemeinsam vermittelt. Bezahlt wird das alles aus dem Bremer Ausbildungsfonds.

So oder ähnlich könnte das funktionieren, was dem Senat und der Regierungskoalition sehr am Herzen liegt: Mit dem Ausbildungsfonds soll die duale Ausbildung im Land Bremen gestärkt werden. Dort nämlich liegt einiges im Argen. Während sich die Handelskammer für Bremen und Bremerhaven und die Handwerkskammer Bremen noch gegen den Ausbildungsfonds wehren, unterstützt die Arbeitnehmerkammer das Vorhaben des Senats.

Der „Goldstandard“

Spätestens mit Beginn des neuen Ausbildungsjahres am 1. August kochte die Diskussion über die Probleme des kleinsten Bundeslandes wieder hoch. Diese sind durchaus massiv – trotz des allgemein anerkannten Fachkräftemangels. So hat das Bundesinstitut für Berufsbildung ausgerechnet, dass im vergangenen Jahr auf 100 sogenannte Ausbildungsinteressierte beziehungsweise Bewerberinnen und Bewerber nur 67 angebotene Lehrstellen kamen. Viel zu wenig, wie Peer Rosenthal, Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen, betont. Das Verhältnis zwischen Ausbildungsinteressierten und angebotenen Stellen sei der „Goldstandard“ zum Messen der Lage in der dualen Berufsausbildung und weise auf eine deutliche Ausbildungsplatzlücke im Land Bremen hin.

Die Folgen dieser Unwucht auf dem Ausbildungsmarkt sind gravierend. „Da wächst in unserem Bundesland ein großes soziales Problem auf, während gleichzeitig der Fachkräftenachwuchs fehlt“, sagt Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarktpolitik der Arbeitnehmerkammer. Sie untermauert ihre Ansicht mit Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung. Danach bekommen inzwischen in erster Linie Abiturientinnen und Abiturienten einen Ausbildungsplatz – mit entsprechendem Abschluss. Ihr Anteil an den jungen Menschen mit einem neuen Ausbildungsvertrag lag laut Bundesinstitut im Jahr 2019 bei 38,8 Prozent. Somit hätten die Abiturienten „inzwischen sogar die Jugendlichen mit dem Mittleren Schulabschluss überholt“, ergänzt Geraedts. Ihr Anteil an den Neuverträgen lag bei 37,2 Prozent.

Mit sehr deutlichem Abstand folgen Hauptschülerinnen und Hauptschüler mit lediglich 18,8 Prozent. „Dabei ist es diese Gruppe, die gar keine Alternative zu einer Ausbildung hat“, mahnt Regine Geraedts. Denn kein Berufsabschluss bedeute für viele eine prekäre Zukunft als Ungelernte mit wechselnden Jobs und immer wieder Phasen der Arbeitslosigkeit.

Eine weitere Zahl weist auf genau dieses Problem hin: Im Land Bremen stieg der Anteil der jungen Erwachsenen von 25 bis 34 Jahren ohne Berufsabschluss von 18,9 Prozent 2012 auf 23,7 Prozent im Jahr 2019. Dabei wächst doch zugleich auch der Fachkräftemangel. Das sind die Fragen, die die Verantwortlichen im Land Bremen umtreibt.

Die drei Bremer „Baustellen“

Arbeitnehmerkammer-Geschäftsführer Rosenthal nannte bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) im September drei „Baustellen“ in Sachen dualem Ausbildungssystem: An erster Stelle stünde das Versorgungsproblem der Ausbildungsplatzinteressierten. Zudem müsse allen daran gelegen sein, erfolgreiche Ausbildungsverläufe zu organisieren. Und dann ist da der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung – dieser ist von jungen Menschen erfahrungsgemäß schwieriger zu bewältigen als der Wechsel von der Schule an die Universität oder Hochschule. Nicht nur Rosenthal war davon überzeugt, dass die Hilfen für den Eintritt in die Arbeits- und Berufswelt passgenauer sein müssten als bislang.

Auch die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion stimmten in diesen Chor mit ein. Dies waren Daniela Teppich vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Bremens Arbeits-Staatsrat Kai Stührenberg und der SPD-Landesvorsitzende Reinhold Wetjen. Er und seine Partei, aber auch das von den Linken geführte Arbeitsressort kassieren für ihre Idee, das Bremer Ausbildungs- und Fachkräfteproblem anzupacken, seit Wochen scharfe Kritik  von der Wirtschaft – es geht um den geplanten Ausbildungsfonds.

Ein Ausbildungsfonds für Bremen

Dahinter stecke die Idee einer Umlage, wie Arbeitsmarktreferentin Geraedts erläutert. Es gebe nämlich viele Betriebe und Unternehmen, die nicht selbst ausbilden, sondern die den fertigen Fachkräftenachwuchs abwerben. Das Nachsehen haben insbesondere kleine Betriebe, die sich engagiert und in Ausbildung investiert haben und am Ende doch ohne die dringend benötigte Fachkraft dastehen.

Die Umlage könnte die Ausbildungskosten gerechter auf alle Betriebe verteilen, so Geraedts: „Heute bildet in Bremen nur gut jeder fünfte Betrieb aus. Mit einem Umlagesystem würden alle Arbeitgeber gemeinsam die Investitionen in die Ausbildung des Fachkräftenachwuchses schultern. Damit verbindet sich auch die Erwartung, dass dies ein Anreiz ist, dass sich wieder mehr aktiv beteiligen.“ Damit kontert die Arbeitsmarktreferentin den Argumenten der Handelskammer und der Handwerkskammer. Sie ergänzt: „Gerade für kleine und mittlere Ausbildungsbetriebe etwa im Handwerk bedeutet das eine enorme finanzielle Entlastung. Ihre Ausbildungsinvestitionen werden ihnen zu einem Teil erstattet. Belastet werden nur die, die sich nicht an Ausbildung beteiligen, obwohl auch sie den Fachkräftenachwuchs brauchen, Fachkräfte wollen.“

Aus der Umlage könnte zudem eben jenes Beratungs- und Unterstützungssystem bezahlt werden, das jungen Menschen wie Hendrik hilft, wenn es nötig ist – mit Nachhilfe in einigen oder allen Fächern oder Intensivierung der Fachpraxis, die im Alltag nicht so häufig vorkommt. Aber auch Unterstützung bei Prüfungsangst, bei privaten Problemen oder Reibereien im Betrieb könnte geleistet werden.

„Jede Universität und Hochschule hält ein solches Angebot für Studierende vor, weil klar ist, dass junge Menschen in der Adoleszenz viele Entwicklungsaufgaben zu bewältigen haben und dafür Unterstützung brauchen. Im dualen Ausbildungssystem ist das bisher aber nicht mitgedacht“, erläutert Geraedts. „Dabei würde es den jungen Menschen und den Betrieben gleichermaßen helfen, auf gutem Wege miteinander zum Ausbildungserfolg zu kommen.“

Wichtige Rolle des Handwerks

Eine wichtige Rolle kommt bei allem dem Handwerk zu. André Holtrup vom Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) bezeichnet es als „treue Seele“: Handwerksbetriebe bilden unterm Strich über alle Krisen hinweg zuverlässig aus. Und was aus der Sicht von Geraedts wichtig ist: Das Handwerk zeigt sich weiter offen für junge Menschen mit einem Hauptschulabschuss. Das sei in Zeiten sehr zu honorieren, in denen es vielen anderen nur um die Bestenauslese ginge. Umso wichtiger sei gerade für Handwerksbetriebe eine externe Unterstützung, wenn es in der Ausbildung mal nicht ganz glatt läuft – wie sie sich über die Ausbildungsumlage organisieren ließe. Hier sind sich Geraedts und Holtrup einig.