Arbeitsunfähige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in Deutschland durch ein ineinandergreifendes System abgesichert.
Text: Ulf Buschmann
1. Juli 2022
Anna B. ist eine Durchschnitts-Arbeitnehmerin: knapp 30 Jahre alt mit Vollzeitjob. Sie steht stellvertretend für Menschen in Bremen und Bremerhaven. Die Krankheitsgeschichte hinter Anna B. ist echt.
Anna B. fühlt sich krank. Sie fühlt sich schlapp, schläft schlecht und wacht oftmals schweißgebadet auf. Und dann macht auch noch der Rücken Probleme. Die stechenden Schmerzen im Kreuz, die sich bis ins Bein hinunterziehen, lassen einen entzündeten Ischiasnerv vermuten. Anna B.s Hausarzt schreibt sie erst einmal für zwei Wochen krank. Es folgen diverse Untersuchungen bei Fachärzten.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Entgeltfortzahlung
Sorgen um ihr Gehalt muss sich Anna B. nicht machen, denn sie hat ja eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ihres Hausarztes. Weil die Arbeitnehmerin nicht die vertraglich vereinbarte Leistung erbringen kann, greift für sie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Diese Entgeltfortzahlung ist Teil eines Sicherungssystems, das verhindern soll, dass langfristig Erkrankte in die Armut abrutschen. Davon profitiert auch Anna B.
Krankengeld von der Krankenkasse
Nach einem Untersuchungsmarathon wird bei ihr eine Krebserkrankung diagnostiziert. Der Hausarzt der knapp 30-Jährigen bereitet sie sorgsam auf eine längere Zeit der Arbeitsunfähigkeit vor, und die werde sicherlich länger dauern als die Entgeltfortzahlung. Hier hat der Gesetzgeber eine maximale Zeit von sechs Wochen vorgesehen. Nach dem Ende dieser Frist bekommt Anna B. Krankengeld von ihrer Krankenkasse. Dies sind 70 Prozent des Brutto- beziehungsweise höchstens 90 Prozent des Nettoentgelts.
Anna B. könne mit insgesamt 78 Wochen Lohnfortzahlung und anschließendem Krankengeld rechnen, erläutert Rechtsberater Ingo Kleinhenz von der Arbeitnehmerkammer Bremen. In ihrem Fall sei die Gemengelage relativ einfach, weil Anna B. eine Vollzeittätigkeit ausübe. Allerdings gebe es auch viele Menschen, die zwei oder gar mehr Arbeitsverhältnisse hätten. Da könne es im Einzelfall auch mal sein, dass die Betroffenen in ihrem einen Job arbeitsunfähig sind, dem anderen jedoch nachgehen könnten.
Anna B. ist mehrere Wochen in Behandlung: Operation für Gewebeproben, Chemotherapie, Bestrahlungstherapie und anschließend eine mehrwöchige Reha zeigen Wirkung: Anna B. wird wieder gesund.
Dazu beigetragen hat der Umstand, dass sich die Arbeitnehmerin stets an die Ratschläge ihrer behandelnden Ärzte gehalten hat. Oder wie es Ingo Kleinhenz ausdrückt: „Wer arbeitsunfähig ist, sollte nichts tun, was dem Genesungsprozess zuwiderläuft.“ Spaziergänge zu unternehmen und Einkäufe erledigen sei in der Regel unproblematisch. Wer Sport machen möchte oder gar Reisepläne hat, sollte beides tunlichst mit dem Arzt absprechen, rät Ingo Kleinhenz.
Stufenweise Wiedereingliederung
Anna B. hat Glück: Nach acht Monaten gilt sie als geheilt. Allerdings ist sie im Sinne ihres Arbeitsvertrages noch nicht wieder voll arbeitsfähig, da die Zeit ihrer Krebserkrankung physisch und psychisch extrem anstrengend war. Deshalb hat sie sich bei der Arbeitnehmerkammer Bremen informiert und eine stufenweise Wiedereingliederung beantragt. Das bedeutet, dass Anna B. zunächst nicht Vollzeit arbeitet. Statt täglich acht Stunden sind es erst drei, dann vier. Erst wenn die volle Leistungsfähigkeit wieder hergestellt sein wird, ist Anna B. acht Stunden an ihrem Arbeitsplatz und wieder voll arbeitsfähig. Bis dahin ist sie arbeitsunfähig. „Eine Teil-Arbeitsunfähigkeit gibt es nicht“, sagt Ingo Kleinhenz.
Arbeitnehmerkammer-Rechtsberater Ingo Kleinhenz macht darauf aufmerksam, dass der Anspruch von maximal 78 beziehungsweise 72 Wochen Krankengeld für einen Zeitraum von drei Jahren gilt. Für betroffene Menschen wie Anna B. bedeutet dies: Sollte in dieser Zeit ihre Krebserkrankung erneut ausbrechen, hat sie keinen erneuten Anspruch auf Krankengeld. Sollte sich ein Mensch während einer bestehenden Krankschreibung eine andere Malaise zuziehen, etwa einen Beinbruch, erfolgt kein zusätzlicher Anspruch auf Lohnfortzahlung oder Krankengeld. „Wir sprechen hier von der Einheit des Verhinderungsfalls.“, erläutert Ingo Kleinhenz.
Nahtlosigkeitsregelung und Arbeitslosengeld I: Reha oder Erwerbsminderungsrente
Anna B. hat Glück, sie kann wieder in ihre Tätigkeit einsteigen. Doch es gibt auch Menschen, die länger als 78 Wochen arbeitsunfähig sind. Nach dem Auslaufen des Krankengeldes greift die sogenannte Nahtlosigkeitsregelung: Die Bundesagentur für Arbeit zahlt dann Arbeitslosengeld (ALG) I. „Das läuft dann nahtlos im Anschluss an das Krankengeld weiter“, erläutert Ingo Kleinhenz. Die Betroffenen bekommen vor dem Auslaufen des Krankengeldes einen Hinweis von der Krankenkasse, dass sie sich bitte bei der Bundesagentur melden sollten. Diese wiederum fordert ihren neuen Klienten auf, bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) innerhalb eines Monats einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen. Dieser Antrag gilt dabei als Antrag auf Erwerbsminderungsrente, wenn die Leistungen erfolglos verlaufen und der oder die Betroffene weiterhin vermindert erwerbsfähig ist. Das ALG I überbrücke lediglich den „Übergangszeitraum bis zur Erwerbsminderungsrente oder bis zum erfolgreichen Abschluss einer Reha-Maßnahme“, erklärt Rechtsberater Ingo Kleinhenz.
Zudem sei es wichtig zu wissen, so der Rechtsberater, dass die Rente zunächst befristet bewilligt werde. „Wenn die Rente nicht verlängert oder entfristet wird und wenn das Arbeitsverhältnis noch besteht, kann man also anschließend wieder weiterarbeiten“, sagt Ingo Kleinhenz.
Arbeit und Krankheit
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss Rechtsberater Ingo Kleinhenz immer wieder über Irrtümer aufklären, zum Beispiel, dass es während der Arbeitsunfähigkeit ein Kündigungsverbot gibt. Dies sei nicht der Fall, betont der Berater, gerade auch während der Probezeit: „In den ersten sechs Monaten hat man keinen Kündigungsschutz.“ Wird jemand allerdings aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit in dieser Zeit mit der üblichen Frist von zwei Wochen gekündigt und ist aber über den Kündigungsendtermin hinaus arbeitsunfähig, muss der Arbeitgeber das Gehalt bis zum Ende der Krankschreibung (maximal sechs Wochen) weiterzahlen.