Die traditionsreiche Lebensmittelbranche im Land Bremen wandelt sich. Viele junge Unternehmen erobern den Markt, während alteingesessene Firmen abwandern. Für die Beschäftigten heißt das: viel Engagement, mehr Verantwortung und weniger Gehalt in der Startphase.
Text: Suse Lübker
Foto: Jonas Ginter
Dezember 2022
Bremen hat eine lange Tradition in der Lebensmittelherstellung: Rund 10.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftige sorgen in 260 Betrieben dafür, dass viele Genuss- und Nahrungsmittel nicht nur „um die Ecke" produziert, sondern auch vor Ort verpackt und in die ganze Welt exportiert werden. Die Nahrungs- und Genussmittelherstellung ist die zweitwichtigste Branche im verarbeitenden Gewerbe im Land Bremen. Zu den bekanntesten Bremer Marken zählt InBev mit der Brauerei Beck & Co., das Kaffeeunternehmen Melitta, der Lebensmittelkonzern Mondelez oder der Tiefkühlkosthersteller FRoSTA in Bremerhaven.
Seit einigen Jahren allerdings wandelt sich der Markt: Einige der großen Player wie Kellogg´s, Coca Cola oder Hachez haben bereits ihre Produktionsstätten geschlossen und produzieren zum Teil günstiger im Ausland. Stattdessen etablieren sich nach und nach immer mehr junge Unternehmen. Die Anzahl der neugegründeten/in Gründung befindlichen Unternehmen liegt derzeit laut Wirtschaftsressort bei 20 Start-ups (Stand: September 2022). Viele dieser Unternehmen produzieren in kleinen Manufakturen, meist handelt es sich um nachhaltige, regional produzierte Lebensmittel – die Unternehmen reagieren so auf das veränderte Ernährungsverhalten und auf die Nachfrage nach Bio-Produkten und regionalen Waren.
Viele Neugründungen in Bremen
„Die Branche hat sich massiv verändert und steht vor großen Herausforderungen“, berichtet Kristina Vogt, Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa, auf der I2B-Meet-up zum Thema „Foodkonzepte made in Bremen“. Bremen habe so viel Neugründungen, dass in den letzten Jahren keine Arbeitsplätze verloren gegangen seien. Viele Start-ups seien allerdings auf Unterstützung angewiesen, so die Senatorin. Neben Küchen und entsprechenden Equipment brauchen sie Unterstützung bei der Markenentwicklung. Seit November existiert 2021 das „Hanse Kitchen“ – eine Entwicklungsküche für Gründer:innen in der Startphase. An zwei Locations steht eine große Auswahl an Küchengeräten und -Zubehör bereit: Im Beck´Stage an der ÖVB-Arena und im Food Studio in der Alten Schnapsfabrik werden neue Rezepte ausprobiert und Produkte getestet, außerdem stehen dort den Start-ups Räume für Fotoshootings oder Workshops und Seminare kostenfrei zur Verfügung. Seit dem Start sind in der Hanse Kitchen bereits 57 Anfragen eingegangen, 16 Start-ups mieten sich bisher regelmäßig ein. Anfang 2024 sollen die beiden Standorte als Bremer Food Hub auf das Gelände des Großmarktes ziehen.
Von Bio-Eis bis Bio-Reis
Hilfreich für viele Gründer:innen aus der Foodbranche ist die Anbindung im Interessensverband der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft im Land Bremen, dem NaGeB e. V.: Hier zählen neben etablierten Unternehmen zunehmend auch Start-ups zu den Mitgliedern. Produziert werden nachhaltige Eiskreationen, Streichwurst aus Grillen, Limonade aus Kaffeekirschen – einem Abfallprodukt aus der Kaffeeproduktion – oder fair gehandelte Gewürze direkt vom Kleinbauern im Anbauland. Einige dieser jungen Unternehmen haben sich längst am Markt etabliert. Dazu gehört zum Beispiel Reishunger. Das Unternehmen importiert seine verschiedenen Reissorten seit 2011 direkt von weltweiten Bauern und Reismühlen ohne Zwischenhandel. Die Produkte werden in der Lagerhalle in der Bremer Überseestadt verpackt und über den eigenen Onlineshop vertrieben. Fast alle Reisprodukte sind biologisch angebaut. Das Konzept geht auf, das Unternehmen schreibt schwarze Zahlen und beschäftigt knapp 100 fest angestellte Mitarbeitende, die meisten arbeiten in Vollzeit. „Wir sind ein Betrieb mit sehr vielen jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das Durchschnittsalter liegt bei unter 30 Jahren. Bei uns herrscht eine sehr frische Dynamik", sagt Reishunger-Mitbegründer und Geschäftsführer Sohrab Mohammad. Die Arbeitsbedingungen seien gut, so Mohammad. Natürlich könne das Unternehmen nicht immer genauso hohe Gehälter zahlen wie die großen Konzerne. Allerdings würden die Mitarbeitenden von Anfang an viel Verantwortung bekommen und das wirke sich meist auch positiv auf die Geschäftsentwicklung aus: „Entwickeln sich unsere Geschäfte gut, dann können wir auch Gehälter anpassen“, erklärt der Geschäftsführer, „davon profitiert jeder".
Arbeitsbedingungen in größeren Betrieben besser als in kleinen
Das sieht allerdings bei Neugründungen anders aus: Viele kleine Manufakturen starten mit wenig Personal und vielen Überstunden bzw. Wochenendarbeit, zumindest bis sie profitabel arbeiten – das ergab auch eine qualitative Befragung unter Unternehmensgründer:innen der Nahrungsmittelbranche in Bremen und Bremerhaven, die die Arbeitnehmerkammer im September und Oktober 2021 durchgeführt hat.
Mit der Befragung sollten unter anderem Fragen zur Beschäftigungsentwicklung und zu den Arbeitsbedingungen in den Betrieben geklärt werden. Im Rahmen der Umfrage wurden ebenfalls Vertreter:innen von Gewerkschaften, Verbände und Politik befragt. Die befragten Expert:innen gehen davon aus, dass die Arbeitsbedingungen in größeren Betrieben besser seien als in den kleinen. So ist keines der Unternehmen an einen Tarifvertrag gebunden, in dem zum Beispiel Regelungen zu Arbeitszeiten sowie verlässliche Arbeitsbedingungen festgeschrieben sind und keines der Start-ups verfügt über einen Betriebsrat. „Auch das sei typisch für die Branche“, so Dominik Santner, Referent für Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. „Viele der Gründerinnen und Gründer arbeiten zunächst allein und stellen erst nach und nach Personal ein“, so Santner. Die typischen saisonalen Nachfrageschwankungen in der Weihnachtszeit oder im Sommer werden in einigen der befragten Start-ups durch Mehrarbeit abgefedert, teilweise aber auch durch zusätzliche (befristete) Anstellungen oder flexible Beschäftigungsformen wie Leiharbeit oder Werkverträge.
Wenn das Start-Up aus den Kinderschuhen wächst
Fast alle Gründerinnen und Gründer gaben in der Befragung an, in Zukunft weiter wachsen zu wollen. Es ist also damit zu rechnen, dass auch sie mehr Mitarbeiter:innen einstellen werden. Das wiederum setzt voraus, dass genügend Umsätze gemacht werden, um das Team entsprechend zu entlohnen. Keine leichte Aufgabe für die Jungunternehmer:innen, schließlich braucht es entsprechende Rücklagen und Sicherheiten.
Und auch die Arbeitsstrukturen müssen sich ändern: Wenn viele neue Mitarbeitende hinzukommen, lassen sich Entscheidungen nicht mehr zwischen Tür und Angel treffen. Hier braucht es Regelungen, damit die Arbeitsbelastung nicht überhand nimmt und die einzelnen Bereiche und Abteilungen reibungslos zusammenarbeiten.
Dominik Santner rät den Mitarbeitenden früh, also bereits mit fünf Mitarbeitenden, einen Betriebsrat zu gründen, auch dann, wenn im Betrieb eine gute Atmosphäre herrsche. „Irgendwann hat das Unternehmen eine Größenordnung erreicht, bei der das Persönliche nicht mehr gut funktioniert. Und genau dann ist es gut, wenn man diese Strukturen hat", so Santner. Natürlich haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch ohne Betriebsrat Rechte, die sie einfordern können. Bei Unklarheiten lohnt sich die kostenfreie Beratung bei der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer oder der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Daten und Fakten auf einen Blick
- Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie ist die zweitstärkste Branche im Bundesland Bremen. Sie zählt einschließlich des Großhandels fast 10.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in 250 Betrieben, ein Drittel der Beschäftigten sind Frauen.
- Die Branche erwirtschaftet jährlich rund 2,5 Milliarden Euro. (Statistischer Jahresbericht für 2018)
- Bremerhaven ist deutschlandweit der größte Umschlagplatz für Fisch, nicht ohne Grund wird Bremerhaven als die größte Tiefkühltruhe Europas bezeichnet.
- Kaffee ist das wichtigste Ex- sowie Importgut, fast jede zweite Bohne wird über Bremen oder Bremerhaven importiert.
- Beck’s, Melitta, Vitakraft, Nordsee, Frosta, Mondelez und Univeg haben ihren Firmensitz oder große Produktionsstätten in Bremen oder Bremerhaven.
- Der Interessensverband NaGeB e. V. vertritt die Nahrungsmittel- und Genusswirtschaft in Bremen, Bremerhaven und im niedersächsischen Umland.
- Die „Bremer Stadtfabrikanten“ sind ein Verein, der knapp 30 Bremer Manufakturen und Werkstätten vernetzt, die sich gegenseitig mit ihrem Know-how unterstützen. Alle Betriebe sind konzernunabhängig und familien- und personengeführt.
Quelle: Wirtschaftsförderung Bremen