Richtig essen macht fit für den Arbeitstag, sagt Ernährungsberaterin Stefanie Seling-Stoll.
Fragen: Anne-Katrin Wehrmann
Illustration: Asja Beckmann
1. Januar 2025
BAM: Frau Seling-Stoll, was macht gute Ernährung aus?
Stefanie Seling-Stoll: Gute Ernährung ist sehr individuell. Es ist wichtig zu schauen, was einem guttut, was man braucht, was das Bauchgefühl sagt – und sich weniger von außen beeinflussen zu lassen. Wir haben das intuitive Essen ein bisschen verloren: Wenn wir dahin zurückfinden, kommen wir zum bedarfsoptimierten Essen, was uns guttut.
Wenn wir über Ernährung bei der Arbeit und am Arbeitsplatz sprechen, was fällt Ihnen da auf?
Ich stelle seit Corona Veränderungen fest. Im Homeoffice mussten die Menschen plötzlich einen neuen Arbeitsrhythmus und einen neuen Mahlzeitenrhythmus entwickeln. Früher sind sie einfach in die Kantine gegangen, jetzt müssen sie in die eigene Küche: Da ist aber oft nichts. Es fehlt die Zeit, etwas vorzubereiten, weswegen viele schnell in den Supermarkt gehen und sich einen Salat holen. Der reicht allerdings nicht aus, weil der Hunger schon wenig später zurückkommt.
Wie kann es denn im Arbeitsalltag gelingen, sich gut zu versorgen?
Da muss man vielleicht auch als Team schauen, dass man sich gegenseitig unterstützt. Sich zum Beispiel absprechen, wer mal etwas zu essen mitbringt oder Gemüse und Obst einkauft. Bei den Teamsitzungen stehen ja meistens Kekse auf dem Tisch, die ließen sich gut ersetzen durch Gurke, Paprika, Radieschen oder ein paar Nüsse. Manche kochen zusammen oder treffen sich in der Teeküche, um Rezepte auszutauschen: Da gibt es viele Möglichkeiten, gemeinsam kreativ zu werden.
Wie viel und was sollte man essen, um gut durch den Arbeitstag zu kommen?
Wenn der Tag beginnt, brauchen wir Kohlenhydrate als Energiebedarfsdeckung für das Gehirn und für den Abruf unserer Informationen zusätzlich hochwertiges Eiweiß. Das gibt es nicht in der Leberwurst oder Salami, sondern da geht es um Nüsse, um Milchprodukte, Käse, Quark, Haferflocken. Und dann haben wir ja nicht nur eine Gehirnzelle, sondern ganz viele. Die Info-Weiterleitung von Zelle zu Zelle braucht hochwertiges Fett, also Omega-3-Fettsäuren, und die gibt es vor allem in fettem Fisch. Wer keinen Fisch mag, kann das in Form von Walnüssen, Rapsöl, Leinöl oder DHA-Algenöl ersetzen. Wir brauchen also diese drei Nährstoffe Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate in einem optimalen Mischungsverhältnis. Das heißt: einen halben Teller Gemüse, morgens eher Obst. Außerdem 150 bis 200 Gramm Eiweiß, zum Beispiel in Form von einem Quark mit Joghurt. Dazu noch einmal zwei bis vier Esslöffel Haferflocken oder Leinsamen, dann habe ich morgens schon mal eine gute Mischung und bin leistungsfähig.
Wie geht es nach dem Frühstück weiter?
Für die nächsten beiden Mahlzeiten gilt wieder das gleiche Mischungsverhältnis. Ich arbeite da gern mit dem Tellermodell: Stellen Sie sich einen Teller vor, der zur Hälfte mit Gemüse und zu jeweils einem Viertel mit Beilage und Protein gefüllt ist. Eiweißlieferant kann ein Stück Fisch sein, aber auch ein Kräuterquark oder eine Kichererbsen-Linsen-Frikadelle. Diese drei Komponenten muss ich auf meinem Teller haben, damit ich wieder für die nächsten vier bis fünf Stunden satt bin. Für das kleine Tief, das manchmal nachmittags kommt, sind Nüsse optimal.
Welchen Unterschied macht es, ob man am Schreibtisch sitzt oder schwere körperliche Arbeit verrichtet?
Da liegt der Unterschied ganz klar bei den Kohlenhydraten. Die Kohlenhydrate werden über die Muskeln verbrannt, und wenn ich den ganzen Tag im Büro sitze, muss ich mir die quasi verdienen. Eine Faustregel besagt, dass zwei Scheiben Brot mit einer Stunde Walking verbrannt werden. Kohlenhydrate sind ein toller Energielieferant, aber was die Muskeln nicht brauchen, wandelt der Körper in Fett um. Im Umkehrschluss brauchen Menschen, die körperlich schwer arbeiten, entsprechend mehr Kohlenhydrate.
Welche Folgen hat es, falsch zu essen?
Das führt letztlich dazu, dass ich permanent Blutzuckerschwankungen habe, dass meine Organe und mein Stoffwechsel gestresst werden, der Blutdruck steigt, dass ich Heißhunger habe und gereizt bin. Konzentrations- und Leistungsfähigkeit lassen nach. Ein weiteres wichtiges Symptom ist die Erschöpfung: Wer nicht gut isst und trinkt, fühlt sich oft schon nachmittags total kaputt.
Wie wichtig ist es, richtige Pausen zu machen und sich Zeit zum Essen zu nehmen?
Das ist sehr wichtig, weil sich das Gehirn nur auf eine Sache konzentrieren kann. Wenn ich am Rechner sitze und nebenbei esse, dann merke ich gar nicht, wenn ich satt bin: Das Signal kann nicht gesendet werden. Insofern muss ich mich entscheiden, mir eine Viertelstunde Zeit nehmen, mich in Ruhe hinsetzen und das Essen genießen. Mit allen Sinnen. Es hat sich gezeigt: Wer nebenbei isst, der snackt auch mehr im Laufe des Tages.
Auf den Punkt gebracht: Wie lauten Ihre drei besten Tipps zum Thema Ernährung am Arbeitsplatz?
Erstens: gesunde Snacks am Arbeitsplatz, damit ich gar nicht erst in Versuchung komme. Zweitens: ausreichend zuckerfrei trinken, das ist ein ganz wichtiger Schlüssel für die Konzentrationsfähigkeit. Und drittens: optimierte Mahlzeiten – also der optimale Teller im richtigen Mischungsverhältnis mit Portionen von 400 bis 600 Gramm, damit ich dann für die nächsten vier bis fünf Stunden Ruhe habe.
Zur Person
Stefanie Seling-Stoll arbeitet seit gut 20 Jahren als freiberufliche Diätassistentin und zertifizierte Ernährungstherapeutin in Bremen. Mit der „Bremer Kochlust“ betreibt sie in der Überseestadt eigene Praxisräume mit Küche, wo sie Seminare und Kochkurse anbietet. Unternehmen schult und berät sie in Sachen betriebliche Gesundheitsförderung mit dem Schwerpunkt Ernährungsoptimierung.