Von Büros aus werden Unternehmen geleitet, wissenschaftliche Innovationen entwickelt und politische Geschicke gelenkt. Fast jeder zweite Erwerbstätige in Deutschlands Großstädten arbeitet heutzutage im Büro. Zum Anlass des 100-jährigen Bestehens der Arbeitnehmerkammer blicken wir auf die Entwicklung der modernen Büroarbeit zurück.
Text: Aileen Pinkert
Foto: Staatsarchiv Bremen (Rudolph Stickelmann) / Kay Michalak
Auf weiten Fluren erschienen Büroräume in jüngster Zeit nahezu verwaist. Analysten, Bürokaufmänner, Data Scientists, Grafikdesignerinnen, Sachbearbeiter, Vertriebsleiterinnen und viele mehr mussten den Büroarbeitsplatz zum Teil gegen Homeoffice eintauschen. Vor 100 Jahren wäre das undenkbar gewesen. Auch wenn die inhaltlichen Tätigkeiten einiger Berufsfelder ähnlich geblieben sind, hat sich der Arbeitsplatz im Büro stetig modernisiert.
Bündelung von Verwaltungsabläufen
Im 19. Jahrhundert entstanden die ersten modernen Büroräume. Manufakturen und Industriebetriebe mussten die Abwicklung des Fernhandelsgeschäfts und ihre in unterschiedliche Abläufe unterteilten Produktionsprozesse planen und verwalten. Neue lohnabhängige Berufsfelder in der Buchhaltung, Prokura und Korrespondenz entstanden.
Diese Angestellten bildeten zugleich eine neue Schicht Beschäftigter aus. Die Größe, Anordnung und Ausstattung des Büroraums spiegelte schon damals eine strenge Hierarchie wider. So stand Lehrlingen nur ein dunkler, unattraktiver Raumabschnitt zu. Anspruch auf ein Einzelbüro hatten dagegen nur wenige mit leitender Funktion. Die Massenfertigung, die mit der Arbeit in den Fabrikhallen eingeführt wurde, sollte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in der Zusammenarbeit und Koordination der Büros niederschlagen. Große Bürosäle wurden eingerichtet und besser beleuchtet, damit die Akten und Aufträge, die auch hier auf Fließbändern durch den Raum transportiert wurden, schneller bearbeitet werden konnten.
Zeitgleich kamen mit dem Boom des Dienstleistungssektors Bürotätigkeiten im öffentlichen Dienst, in Banken wie auch Versicherungen hinzu. Neu erbaute Bürogebäude schossen wie Pilze aus dem Boden und prägten erstmals das Aussehen größerer Städte.
Bloß keine überflüssigen Bewegungen
Neben der architektonischen Hülle war die Inneneinrichtung nicht minder wichtig. Um administrative Tätigkeiten zu standardisieren, wurde bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes darauf geachtet, die Wege zwischen Akten und Angestellten möglichst kurz zu halten.
Die Schreibtische wurden flacher. Alles war griffbereit: Telefon, Schreibtischlampe, Hauspostständer, Stempel, Schreibzeug, Karteien und die Formulare in der Handregistratur. Mit der Bewegungsreduktion auf kleinstem Raum sollte sich Arbeitsdisziplin durchsetzen und die Konzentration allein auf denkende Abläufe begrenzen. Dabei half auch der Bürostuhl, der den Oberkörper der Angestellten auf Tischhöhe bringt und zur Tischfläche hin orientiert. Beim Aufstehen muss man den später eingesetzten Drehstuhl nicht einmal mehr nach hinten schieben, eine Vierteldrehung genügt, so ein Werbeversprechen.
Im 19. Jahrhundert spiegelt das Büro die Hierarchien wider: Lehrlinge saßen in dunklen, unattraktiven Raumabschnitten, Einzelbüros standen nur Mitarbeitern in leitender Funktion zu.
Mit der Schreibmaschine eröffnen sich für Frauen als Maschinenschreiberinnen und Sekretärinnen erstmals Berufsperspektiven jenseits der Hauswirtschaft. Die Zeiten, in denen man mühsam die Handschrift eines Schreibtischarbeiters entziffern musste, sind passé. Tippfehler – für uns heute kaum noch vorstellbar – mussten allerdings jedes Mal aufwendig überpinselt werden. Noch einmal effizienter wurde die Arbeit mit der Einführung der Stenografie, der Deutschen Einheitskurzschrift (DEK) in den 1920er-Jahren. Die Stenotypistin Paula Schlier umschrieb die mechanischen Wiederholungen rückblickend einmal so: „Die Schreiberin gehört zur Maschine. Sie hat nur eine Funktion: Die Bedienung von Hebel und Tasten.“
Bevor erst 60 Jahre später Fotokopiergeräte ihren Weg in die Büros fanden, mussten zunächst Matrizen, also Durchschlagpapier, mit der Schreibmaschine beschrieben werden, um diese anschließend mittels Umdruck-Verfahren zu vervielfältigen: Jede Kopie heller und schwerer lesbar als die davor.
Vom Bienenstock zum Open Space
Orientierte sich die Büroplanung in den USA zunächst an der sozialen Metapher eines Bienenstocks – alle Schreibtische waren in den Bürosälen gleichmäßig und wie einheitliche Zellen angeordnet – prägte eine offene Bürolandschaft die 1960er-Jahre in Deutschland. Der Mensch sollte von nun an weniger als Maschine betrachtet werden, vielmehr rückte die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ins Zentrum. Auf einem weiten Grundriss wurden Arbeitsplätze gruppenweise im Raum platziert, je nach Tätigkeitsfeld. Pflanzenelemente, Trennwände und unterschiedliche Bodenniveaus gliederten die Gruppen bereits optisch. Der Architekt Frank Duffy verglich die nun weitaus kommunikativere Büroarbeit mit einem Ritual, bei dem „die Leute etwas gemeinsam tun und die Arbeit fortwährend von einer Tischgruppe zur nächsten fließt“.
Das Deutschland der 1960er-Jahre prägten offene Bürolandschaften: Pflanzelemente, Trennwände und unterschiedliche Bodenniveaus gliederten die Arbeitsplätze in Gruppen.
Die soziale Interaktion sollte durch neu angelegte Pausenräume, Kantinen und wohnliche Möbel angekurbelt werden.
Mit dem Einzug von Bildschirmgeräten, Computern und Textverarbeitungssystemen wurde das Arbeiten im Büro revolutioniert: Per Mausklick konnten Tippfehler auf unkomplizierte Weise korrigiert werden und auch der Geräuschpegel nahm mit den neuen Tastaturen zumindest ein Stück weit ab. Dass der Fernschreiber erst Mitte der 1990er-Jahre durch das Telefax ersetzt wurde, mutet fast erstaunlich an, bedenkt man, dass zur gleichen Zeit das Internet und die E-Mails die Kommunikation zu weiten Teilen ins Elektronische verlagerten. Gegen die noch immer weitverbreitete Papierflut kämpfen Digitalisierungsversuche an. Onlineformulare erleichtern Zugriff und Archivierung von wichtigen Unterlagen. Der einst kompakt ausgestattete Schreibtisch wirkt regelrecht opulent gegenüber einem zeitgemäßen, der mit Laptop und Mobiltelefon auskommt.
Büroarbeit ist nun theoretisch fast überall möglich – in informellen Räumen, am heimischen Küchentisch oder in Coworking-Spaces. Ob auf die durch die Corona-Pandemie verstärkt angetriebene Mobilisierung des Ortes auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit folgt, die mehr bietet als Gleitzeit und Sabbaticals, bleibt abzuwarten. Sich und das eigene Privat- und Berufsleben miteinander zu vereinbaren, wird vermehrt Bestandteil von Büroarbeit werden.
Fun Fact am Ende: Im Altertum wurde „Kopfarbeit“, also die geistige und immaterielle Herstellung, von Sklaven besorgt. Erst die fortschreitende Bürokratisierung des Römischen Reiches bewirkte eine Prestige-Erhöhung dieser Art Dienstleistungen.