Jungs wollen Technik, Mädchen ins Büro?

Rollenklischees bei der Berufswahl

Das Land Bremen bietet zahlreiche Projekte und Initiativen, um Geschlechterklischees entgegenzuwirken und junge Menschen fit für den Arbeitsmarkt zu machen.

28. Februar 2022
Text: Suse Lübker
Foto: Kay Michalak

Alissa ist 16 Jahre alt und startet im Sommer ihre Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin. Der 15-jährige Theo würde gern nach der Schule als Bürokaufmann arbeiten. Klingt plausibel? Die Realität sieht meistens anders aus. So ist der Beruf des Kfz-Mechatronikers nach wie vor Spitzenreiter bei den Jungs und die Kauffrau für Büromanagement der meist gewählte Ausbildungsberuf bei den Mädchen. Zwar gibt es laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 324 anerkannte Ausbildungsberufe in Deutschland, dennoch entscheidet sich die Mehrzahl der Jungen und Mädchen seit vielen Jahren für sehr wenige Berufe und die entsprechen fast immer den klassischen Rollenbildern.

„Die geschlechtersensible Berufsberatung ist unser roter Faden.“
Swantje Hüsken, Referentin in der Jugendberufsagentur in Bremerhaven

Diese Tendenz ist auch in der Berufsberatung erkennbar, berichtet Swantje Hüsken, Referentin in der Jugendberufsagentur (JBA) in Bremerhaven: „In den Gesprächen mit den Schulabgängerinnen und Schulabgängern bemühen wir uns sehr, genau an diesen Stellschrauben zu drehen. Die geschlechtersensible Berufsberatung ist unser roter Faden. Allerdings versuchen wir die Schülerinnen und Schüler nicht umzuberaten, sondern informieren sie möglichst früh über ihre Möglichkeiten“, so Hüsken. Denn oft entwickeln Kinder bereits in jungen Jahren Vorstellungen darüber, welche Berufe typisch für welches Geschlecht sind.

Berufliche Orientierung muss früh beginnen

Kein Wunder, denn die meisten Kinder erleben die klassischen Geschlechterrollen tagtäglich im Alltag. So ist es schließlich ganz normal, dass sie in der Kita von einer Erzieherin betreut werden und in der Grundschule selten männliche Lehrer unterrichten. Und auch das Auto wird meist von einem Mechaniker repariert, während man Frauen hingegen eher an der Supermarktkasse oder als medizinische Fachangestellte sieht. Umso wichtiger ist es, dass Eltern und Erzieherinnen und Erzieher die Kinder ermutigen, für alle Berufe offen zu sein und vielmehr die eigenen Stärken und Talente in den Vordergrund zu stellen.

Die meisten Kinder erleben die klassischen Geschlechterrollen tagtäglich im Alltag.

Diese Rollenbilder ändern sich langsam, aber stetig: „Anders als Männer mussten Frauen sich die komplette Berufswelt erst einmal erobern. Dabei haben sie in kurzer Zeit riesige Schritte zurückgelegt“, erklärt Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer. Der Grund: Bis 1994 war ihnen der Zugang zu vielen Berufen aus „sittlichen und gesundheitlichen Gründen“ gesetzlich versperrt. So dürfen Frauen beispielsweise am Bau erst seit knapp 30 Jahren arbeiten. Davor galt für fast 120 Jahre ein Berufsverbot. Das habe Spuren hinterlassen, so Geraedts: „Die Vorurteile gegen Frauen sind geblieben. Maurerinnen, Betonbauerinnen und Zimmerfrauen haben bis heute einen Exotenstatus auf Baustellen.“ In männerdominierten Branchen herrsche außerdem oft eine wenig attraktive Betriebskultur. „Wenn Betriebe Frauen gewinnen wollen, dann sollten sie mehr für ein gutes Arbeitsklima, Fairness im Miteinander, Weiterentwicklungsmöglichkeiten für alle und Flexibilität in der Arbeitszeit tun. Das spricht besonders junge Frauen, aber auch Männer an“, resümiert die Referentin.

Unterstützung bei der klischeefreien Berufswahl

Im Land Bremen gibt es verschiedene Projekte, in den Jungen und Mädchen bereits in jungen Jahren dabei unterstützt werden, Berufe jenseits von den traditionellen Geschlechterklischees zu wählen.

Be oK – Berufsorientierung und Lebensplanung ohne Klischees ist ein Projekt der ZGF Bremen – Bremerhaven, das derzeit an 20 Schulen in Bremen, Bremerhaven und dem Landkreis Osterholz umgesetzt wird. Das Projekt wird durch die Arbeitsagentur Bremen-Bremerhaven, die Handelskrankenkasse Bremen, die Arbeitnehmerkammer Bremen sowie durch den Landkreis Osterholz finanziert. Innerhalb einer Projektwoche setzen sich Schülerinnen und Schüler ab Jahrgangsstufe 6 praktisch und spielerisch mit ihren Fähigkeiten und Zukunftswünschen auseinander – klischee- und vorurteilsfrei. Dafür tauschen sie sich zum Beispiel mit Auszubildenden aus, die bereits in geschlechtsuntypischen Berufen arbeiten. Eltern und Lehrkräfte sind aktiv einbezogen und das Projekt arbeitet eng mit Betrieben zusammen. Be oK soll langfristig dazu beitragen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Das Projekt läuft noch bis November 2022.

Das GunA-Projekt – kurz für geschlechteruntypische Ausbildung – ist ein Projekt der Universität Bremen, das junge Menschen in geschlechteruntypischen Ausbildungen begleitet und sie bei Problemen und Konflikten unterstützt. Dabei werden sowohl Auszubildende als auch Lehrkräfte und Betriebe nach ihren Einstellungen und Erfahrungen befragt. Eine Initiative, die vom Land Bremen ins Leben gerufen wurde und finanziert wird und an der sich auch die Jugendberufsagenturen in Bremen und Bremerhaven beteiligen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem Projekt helfen auch dabei, neue Fortbildungsmodule für die gendersensible Beratung zu konzipieren und die Beraterinnen und Berater fitter zu machen, so sieht es Swantje Hüsken. Zwar vergeben viele Betriebe in Bremerhaven ihre Ausbildungsplätze unabhängig vom Geschlecht, dennoch habe man bisher wenig Informationen darüber, welche Probleme es tatsächlich gibt.

Alle diese Initiativen unterstützen Mädchen und Jungen dabei, bei der Berufswahl viel stärker auf die eigenen Stärken und Interessen zu achten und sich unvoreingenommen für eine Ausbildung zu entscheiden – klischeefrei und zukunftsorientiert.

 

Berufliche Vorbilder gesucht! AKB003_IconInfo

Wer in einem geschlechteruntypischen Beruf arbeitet, kann Schülerinnen und Schülern davon erzählen. Mehr Infos


Folge 16: Jungs wollen Technik, Mädchen was mit Menschen? Zur Rolle von Geschlecht bei der Berufswahl

Girl’s Day, Boy’s Day, Komm mach MINT – trotz wachsender Angebote zur geschlechtersensiblen Berufsorientierung verändert sich das Berufswahlverhalten junger Menschen nur schleppend. Die Berufsentscheidungen sind nach wie vor stark von Geschlechterrollen geprägt: Auf dem ersten Platz liegt bei jungen Frauen immer noch die Ausbildungen zur Kauffrau für Büromanagement oder zur medizinischen Fachangestellten. Junge Männer wählen am häufigsten die Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker. Mechatronikerin oder Arzthelfer? Findet man nur selten … Swantje Hüsken, Referentin der Jugendberufsagentur (JBA) in Bremerhaven, spricht in dieser Folge mit uns über die Herausforderungen der Ausbildungssuche und geschlechtersensible Berufsberatung in der JBA.