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© 2024 Arbeitnehmerkammer Bremen

Prekarität im Helferbereich unverändert hoch

In den letzten zehn Jahren sank der Anteil der Jobs im Niedriglohnbereich. Auch der Anteil der befristeten Arbeitsverträge und Minijobs war rückläufig. Die unverändert hohe Zahl prekärer Jobs im Helferbereich ist aber Grund zur Sorge. Hier gibt es viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne anerkannten Berufsabschluss. Sie haben geringere Chancen, in voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung außerhalb des Niedriglohnbereichs aufzusteigen.

Text: Dr. Alexandra Krause und Jörg Muscheid

Gibt es eine neue Arbeitnehmermacht? Diese Frage wird angesichts des weit verbreiteten Fachkräftemangels seit einiger Zeit viel diskutiert. In der Tat: Der Arbeitsmarkt hat sich ein Stück weit gewandelt, in vielen Branchen konkurrieren die Unternehmen zum Beispiel durch attraktive Einkommen und Weiterbildungsmöglichkeiten oder flexiblere Arbeitszeitmodelle um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Es würde aber zu kurz greifen, in solchen Entwicklungen einen grundsätzlichen Wandel der Arbeitsbeziehungen zu sehen. So ist die Entwicklung der Löhne nach wie vor unbefriedigend. Nach zwei Jahren des Rückgangs sind die – inflationsbereinigten – Reallöhne 2023 zwar leicht gestiegen. Aber lediglich um 0,1 Prozent. Und in vielen Branchen gibt es prekäre Beschäftigung in erheblichem Ausmaß.

Was ist prekäre Beschäftigung?

Prekäre Beschäftigung meint Arbeitsverhältnisse, die so unsicher sind, dass sie die gesellschaftliche Teilhabe gefährden. Merkmale können sowohl niedrige Einkommen als auch atypische Arbeitsverträge sein.1 Diese weichen in mindestens einem Aspekt von einer unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung ab. Sie können höhere Arbeitslosigkeitsrisiken (etwa durch Befristungen oder Leiharbeit) oder geringere Ansprüche an die Sozialversicherungen zur Folge haben (etwa bei Minijobs). Aber auch „typische“ Vollzeitarbeitsverhältnisse können prekär sein – wenn das erzielte Einkommen so gering ist, dass ein gutes Leben damit kaum möglich ist. Studien wie auch die Beratungspraxis der Arbeitnehmerkammer Bremen belegen zudem, dass Beschäftigte gerade bei atypischen Arbeitsverhältnissen häufig Probleme haben, grundlegende Arbeitnehmerrechte, zum Beispiel die Einhaltung des Mindestlohns, durchzusetzen.2

Wichtige Merkmale prekärer Beschäftigung sind demnach:

  • Beschäftigung im Niedriglohnbereich
  • Atypische Arbeitsverträge
  • Fehlender oder eingeschränkter Sozialversicherungsschutz
  • Schwache Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten
  • Anforderungen auf Helferniveau

Sowohl die Zahl der Niedrigverdienerinnen und Niedrigverdiener als auch die der atypischen Verträge ist rückläufig. Demgegenüber gibt es jedoch einen Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse, an dem der Arbeitsmarktaufschwung weitgehend vorbeigegangen ist. Im Zeitverlauf hat sich hier ein Problem verfestigt, das in der Politik zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Von allen Merkmalen ist die Bezahlung der eindeutigste Anknüpfungspunkt für prekäre Erwerbstätigkeit. Bezogen auf die Stundenlöhne liegt die Niedriglohnschwelle im Land Bremen 2023 bei 13,04 Euro: Das entspricht zwei Dritteln des Medianverdienstes von 19,56 Euro aller abhängig Beschäftigten.

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58.000 von insgesamt 375.000 Beschäftigungsverhältnissen3 , rund 15 Prozent, zählen damit zum Niedriglohnsektor. Der Wert liegt leicht unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Gegenüber 2014 ist er um 5,5 Prozentpunkte gesunken. Besonders betroffen sind geringfügig Beschäftigte: Hier wird für rund 34.000 der insgesamt 51.000 Beschäftigungsverhältnisse, rund 66 Prozent, maximal 13,04 Euro Stundenlohn gezahlt. Bei den Teilzeitbeschäftigten sind es 14.000 von insgesamt 103.000, also rund 14 Prozent. Bei den Vollzeitbeschäftigten sind es schätzungsweise 10.000 von insgesamt 217.000, also rund fünf Prozent. Der Niedriglohnsektor umfasst demnach vor allem die geringfügig und in Teilzeit Beschäftigten. Trotzdem ist ein vertiefter Blick auf die Vollzeitbeschäftigten lohnenswert. Hier kann analysiert werden, welche Berufe und welche individuellen Faktoren dafür ausschlaggebend sind, dass Beschäftigte einen Niedriglohn beziehen.4

Geringverdienende gibt es auch unter den Vollzeitbeschäftigten

Wer sind nun die Geringverdienenden unter den Vollzeitbeschäftigten? Eher Frauen als Männer, eher Junge als Alte. Vor allem Ausländerinnen und Ausländer sind oft betroffen; ihr Anteil ist mehr als dreimal so hoch wie bei den deutschen Beschäftigten. Insbesondere wird die hohe Bedeutung eines anerkannten Berufsabschlusses und einer anspruchsvollen Tätigkeit deutlich: Fast die Hälfte aller Beschäftigten ohne beruflichen Abschluss beziehungsweise in Helfertätigkeiten finden sich im unteren Entgeltbereich.
Auch Beschäftigte mit anerkanntem Berufsabschluss verdienen je nach Branche sehr unterschiedlich. So bekommt eine Floristin in Deutschland 2.058 Euro brutto im Monat, eine KFZ-Mechatronikerin dagegen 3.127 Euro. Generell kann gesagt werden, dass in den vergangenen Jahren vor allem die unteren Entgeltgruppen überproportional von der Lohnpolitik der Gewerkschaften profitieren konnten. Doch nach wie vor ist in vielen Berufsfeldern der Niedriglohn die Normalität: In den Reinigungsberufen liegt der Anteil bei 50 Prozent, in der Gastronomie bei 45 Prozent, in den Verkaufsberufen bei 35 Prozent. Sieht man sich die Niedriglohnbeschäftigung im Land Bremen im Vergleich mit ganz Deutschland an, ist der Unterschied gering. Im Vergleich der Bundesländer dagegen zeigen sich deutliche Unterschiede. In ostdeutschen Ländern findet sich jede/-r vierte Vollzeitbeschäftigte (24,7 Prozent) im Niedriglohnbereich, in Westdeutschland variieren die Anteile zwischen 12,2 Prozent in Hamburg und 18,7 Prozent in Schleswig-Holstein. Sehr deutliche Unterschiede sind auch im Vergleich westdeutscher Städte erkennbar. Hier fällt auf, dass in Bremerhaven jede/-r vierte Vollzeitbeschäftige einen Niedriglohn bezieht.

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Atypische Arbeitsverträge: Ein Bereich mit vielen Beschäftigungsrisiken

Die gängigen atypischen Arbeitsverhältnisse sind die sozialversicherte Teilzeitbeschäftigung, der befristete Job, die Leiharbeit sowie der Minijob ohne Sozialversicherungspflicht. Betriebe sind dadurch flexibler in der Personalplanung: Sie setzen unter anderem Leiharbeit für Auftragsspitzen und befristete Beschäftigung für zeitlich begrenzte Projekte ein. Für Beschäftigte birgt jede atypische Beschäftigungsform aber eigene Unsicherheiten. Befristete Arbeitsverträge bedeuten Planungsunsicherheit und erhöhen die Bereitschaft, bei der Jobsuche schlechtere Angebote anzunehmen, um rechtzeitig einen neuen Job zu finden.6 Teilzeitbeschäftigte verzichten auf Einkommen und erwerben nur entsprechend reduzierte Sozialversicherungsansprüche.

Trotzdem sind befristete Jobs und Teilzeitbeschäftigung nicht zwangsläufig mit schlechten Arbeitsmarktchancen gleichzusetzen. Im Juni 2023 haben knapp 40 Prozent der akademisch qualifizierten Beschäftigten ihren neuen Job mit einem befristeten Vertrag begonnen (siehe dazu: „Prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft“​​​​​​​). Und 27 Prozent der Teilzeitbeschäftigten haben zum selben Zeitpunkt als Spezialisten/- innen oder Experten/-innen gearbeitet.7

Im Unterschied dazu sind Minijobs und Leiharbeit vorwiegend prekär. Sie werden häufiger im Helferbereich genutzt und damit niedrig entlohnt. Wer ausschließlich im Minijob arbeitet, kann davon ohnehin nicht leben. Mit Ausnahme der Rente erwerben Beschäftigte auch keine Sozialversicherungsansprüche. Leiharbeitsverhältnisse haben ein hohes Arbeitslosigkeitsrisiko. Phasen der Arbeitslosigkeit bedeuten sowohl Einkommensunsicherheit als auch Lücken in den Beitragszeiten für die Sozialversicherungen.

Minijobs und Leiharbeitsverhältnisse werden selten zur Brücke in eine sozialversicherungspflichtige, unbefristete Vollzeitbeschäftigung. Außerdem weisen Anzeigen aus der Beratungspraxis immer wieder darauf hin, dass Grundregeln des Arbeitsrechts verletzt werden: Minijobbern und Minijobberinnen werden Ansprüche wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und das Urlaubsgeld vorenthalten, Leiharbeitern und Leiharbeiterinnen wird etwa der Mindestlohn oder die Einhaltung der Kündigungsfristen verwehrt. Wechselnde Einsatzorte erschweren zudem die betriebliche Interessenvertretung.

Die Rolle des Mindestlohns für die Lohnentwicklung AKB003_IconInfo

Langfristige Analysen für das gesamte Bundesgebiet zeigen, dass neben der veränderten Lohnpolitik der Gewerkschaften vor allem der Mindestlohn zum Rückgang der Niedriglohnbeschäftigung beigetragen hat. Seit seiner Einführung 2015 stieg der Mindestlohn in mehreren Stufen kontinuierlich an: 2022 auf zwölf Euro, ab dem 1. Januar 2024 auf 12,41 Euro – ein Zuwachs von insgesamt 46 Prozent gegenüber 2015. Ein erheblicher Zuwachs für Millionen von Beschäftigten in Deutschland, vor allem in den neuen Bundesländern. Allerdings: Für einen existenzsichernden Lohn, der Altersarmut vermeidet, müsste der Mindestlohn aber noch deutlich steigen. Im Land Bremen waren einer Studie des WSI zufolge 2022 rund 60.400 Menschen mindestlohnberechtigt, davon 48.800 in der Stadt Bremen (15,8 Prozent aller Beschäftigten) und 11.600 in Bremerhaven (20,3 Prozent aller Beschäftigten).

Atypische Verträge sind rückläufig: Die Beschäftigungssicherheit nimmt leicht zu

Atypische Verträge haben sich im Land Bremen seit 2015 ähnlich wie im Rest Deutschlands entwickelt, die Befristungsquote ist auf das gesamtdeutsche Niveau gesunken. Im Jahresdurchschnitt 2022 waren 6,6 Prozent der Jobs befristet (rund 17.000). Befristung wird mehrheitlich im Dienstleistungssektor eingesetzt, zum Beispiel für unternehmensbezogene Dienstleistungen. Das betrifft Tätigkeiten, die ein überdurchschnittliches Qualifikationsniveau voraussetzen ebenso wie Helfertätigkeiten in der Logistik oder die Leiharbeitsbranche. Von befristeten Neueinstellungen waren 2022 mehr Beschäftigte mit ausländischem (50 Prozent) als mit deutschem Pass (38 Prozent) betroffen.

Sozialversicherte Teilzeitbeschäftigung wird häufig im Sozial- und Gesundheitswesen, im Handel und für wirtschaftliche Dienstleistungen eingesetzt. Sie ist auch im Land Bremen Treiber des Beschäftigungswachstums. Im Sozial- und Gesundheitswesen ist die Zahl der Stellen von 20.600 im Juni 2015 auf 26.300 im Juni 2022 gestiegen. Im Juni 2022 gab es insgesamt rund 106.000 solcher Stellen. Bei der Beschäftigtenbefragung der Arbeitnehmerkammer Bremen hat 2023 aber knapp ein Viertel der Teilzeitbeschäftigten (23,1 Prozent) angegeben, gern mehr arbeiten zu wollen. Dass dieser Wert seit einigen Jahren stagniert, ist keine gute Nachricht. Anders als bei befristeten Neueinstellungen sind Frauen sehr viel häufiger betroffen: Im Juni 2023 entfielen 73 Prozent der Teilzeitjobs auf Frauen. Für ausländische Beschäftigte entsprach die Teilzeitquote ihrem Anteil an der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung insgesamt (auch 14,2 Prozent).

Der Anteil der Leiharbeitsverhältnisse liegt langfristig relativ stabil bei etwa vier Prozent – im Juni 2022 waren es rund 15.600 Jobs. Leiharbeit wird im Land Bremen dennoch fast doppelt so oft eingesetzt wie im Bundesdurchschnitt. Betroffen sind vor allem die Branchen Verkehr und Logistik sowie Metallgewinnung und -verarbeitung, aber auch der heterogene Bereich Gesundheit, Soziales, Erziehung und Unterricht. Obwohl es einen Zuwachs an Arbeitsverhältnissen für Spezialisten/-innen oder Experten/-innen gegeben hat, bleibt Leiharbeit eindeutig prekär: Im Juni 2022 waren 58 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse Helfertätigkeiten im Niedriglohnbereich.

Die Minijobquote sank in etwa auf das gesamtdeutsche Niveau: Die Zahl der ausschließlich als solche tätigen Minijobber und Minijobberinnen sank zwischen Juni 2015 und 2022 von 47.953 auf 38.181. Für Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner bedeutet ein Minijob ein geringeres Prekaritätsrisiko, denn für sie ist die geringfügige Beschäftigung ein Nebenjob. Positiv zu bewerten ist, dass Minijobs auch in der Altersgruppe zwischen 25 und 54 Jahren von 21.100 im Juni 2015 auf gut 13.600 im Juni 2022 gesunken sind. 

Beschäftigte mit atypischem Vertrag und niedrigem Lohn

Wenn atypische Verträge mit geringen Kompetenzanforderungen und niedrigen Löhnen zusammentreffen, sind Beschäftigungsverhältnisse immer prekär. Genau dieses Segment konnte von der positiven Arbeitsmarktentwicklung nicht profitieren.

Im Jahresdurchschnitt 2022 waren rund 43.300 Beschäftigungsverhältnisse dem prekären Segment zuzuordnen, was 11,5 Prozent der Gesamtbeschäftigung entspricht.2018 lag der Anteil knapp darunter. Beschäftigte in Helfertätigkeiten haben häufiger keinen Berufsabschluss und geringere Chancen auf betriebliche oder berufliche Weiterbildung. Sie laufen Gefahr, dauerhaft prekär beschäftigt zu bleiben. Das prekäre Segment ist deshalb so stabil, weil Helfertätigkeiten in der für das Land Bremen wichtigen Logistikbranche verbreitet sind und in einigen Wirtschaftszweigen zugenommen haben. Insgesamt ist der Anteil zwischen 2013 und 2023 moderat um 4,6 Prozent gestiegen. Besonders das Baugewerbe, das Gesundheits- und Sozialwesen und das Gastgewerbe weisen aber deutlich höhere Zuwachsraten auf.

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Ausländische Beschäftigte im Helfersegment

Die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ausländischem Pass in Bremen steigt: 2013 waren es 27.800, im vergangenen Jahr 57.400. Zugleich ist sowohl der Anteil der ausländischen Beschäftigten ohne abgeschlossene Berufsausbildung als auch ohne Angabe zur beruflichen Qualifikation überdurchschnittlich hoch.
Im Juli 2023 hatten 30 Prozent keinen Berufsabschluss (Deutschland: 14 Prozent), bei 29 Prozent (Deutschland: zehn Prozent) fehlte die Angabe zum Berufsabschluss. Dahinter kann sich auch eine fehlende Anerkennung von Berufsabschlüssen und -erfahrungen verbergen. Aber auch unter Berücksichtigung des überdurchschnittlich hohen Anteils fehlender oder nicht anerkannter Berufsabschlüsse sind ausländische Beschäftigte in der Leiharbeit und bei den Minijobs im Helfersegment noch überrepräsentiert. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere in den letzten Jahren zugewanderte ausländische Beschäftigte unter anderem aufgrund von Sprachbarrieren, fehlenden Informationen über die Ausbildungs- und Arbeitsmarktinstitutionen in Deutschland oder Diskriminierungen benachteiligt sind, ist es hier umso wichtiger, Übergänge in andere Arbeitsmarktsegmente und Weiterbildungen zu fördern (siehe dazu: „Verschenktes Potenzial“.)

Der hohe Anteil von Geringverdienenden ist Anlass zur Sorge

Als Fazit lässt sich festhalten, dass bundesweit wie auch im Land Bremen die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse leicht zurückgegangen ist. Der Anteil derer, die im Niedriglohnbereich arbeiten, ist gesunken. Die gewerkschaftliche Lohnpolitik mit ihrem Fokus auf die unteren Lohngruppen und der Mindestlohn zeigen Wirkung. Dennoch gibt der nach wie vor hohe Anteil von Niedriglohnempfängern und -empfängerinnen in vielen Berufsgruppen Anlass zur Sorge.

Rund 58.000 Beschäftigte in Bremen arbeiten für maximal 13,04 Euro in der Stunde – das betrifft 15 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse. Auch wenn die letzten Jahre immer wieder von Beschäftigungsrekorden gekennzeichnet waren, zeigt sich hier, wie wichtig eine Politik für gute Arbeit ist. Der Städtevergleich beweist zudem, dass der Niedriglohnsektor in Bremerhaven noch größer ist als der in Bremen. Die Löhne gerade im unteren Segment müssen weiter steigen.

Bei den atypischen Beschäftigungsverhältnissen sind zwar Rückgänge von Risiken zu verzeichnen, aber das Zusammentreffen mehrerer Risiken der Prekarität bleibt problematisch. 11,5 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land Bremen üben eine prekäre Beschäftigung im engeren Sinne aus. Sie verrichten Leiharbeit oder Minijobs im Helferbereich. In diesem Segment haben sich die positiven Entwicklungen der letzten Jahre nicht niedergeschlagen: Jede und jeder neunte Beschäftigte im Land Bremen ist in einer verfestigten prekären Erwerbssituation.

Handlungsoptionen gibt es viele. Auf tariflicher Ebene werden die Gewerkschaften ihre Lohnpolitik der letzten Jahre fortsetzen. Die Arbeitsmarktlage und der Fachkräftemangel lassen hoffen, dass die häufig zitierte „Arbeitnehmermacht“ auch in den aktuellen Tarifauseinandersetzungen wirkt. Zudem muss die sinkende Tarifbindung der Betriebe gestoppt werden. Tariftreue und -bindung sind entscheidend dafür, dass die gewerkschaftliche Tarifpolitik in möglichst vielen Branchen und Unternehmen Wirkung zeigen kann. Neben der konsequenten Weiterentwicklung des Tariftreue- und Vergabegesetzes im Land Bremen ist es an der Zeit, eine entsprechende Regelung auf Bundesebene – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen – umzusetzen. Eine wichtige Rolle kommt auch der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen zu. Sie dient dazu, die Tarifwirkung auch auf Unternehmen auszuweiten, die keinem Arbeitgeberverband angehören. Und die Vorgabe der EU, die Tarifbindung durch nationale Maßnahmen deutlich auszubauen, muss von der Bundesregierung noch in diesem Jahr mit konkreten Vorschlägen unterlegt werden.

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Grundlegende Reform der Minijobs überfällig

An einer grundlegenden Reform der Minijobs führt kein Weg vorbei. Da damit keinerlei soziale Absicherung – weder bei Arbeitslosigkeit noch bei der Rente – verbunden ist, wäre eine Begrenzung auf Studierende beziehungsweise die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge ab dem ersten Euro durch die Arbeitgeber sinnvoll.

Die dauerhafte Benachteiligung ausländischer Beschäftigter muss bekämpft werden. Ein wichtiger Schritt dahin ist der Abbau bürokratischer Hemmnisse bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Last but not least sieht die Arbeitnehmerkammer Bremen in der kontinuierlichen Weiterbildung der Beschäftigten wie auch in qualifizierten Berufsabschlüssen den zentralen Faktor für gute Arbeit. Eine Ausbildung ist nach wie vor wesentlich für die Vermeidung prekärer Arbeitsverhältnisse. Zielgruppenorientierte Angebote wie die Qualifizierung von Beschäftigten in „einfachen“ Tätigkeiten können ebenfalls dazu beitragen, Prekaritätsrisiken zu verringern.

Literatur

Allmendinger, J./Jahn, K./Promberger, M./Schels, B./ Stuth, S. (2018): Prekäre Beschäftigung und unsichere Haushalts - lagen im Lebensverlauf: Gibt es in Deutschland ein verfestigtes Prekariat? In: WSI Mitteilungen 4/2018, Jg. 71, 259–269.

Arbeitnehmerkammer Bremen (Hrsg.): Koordinaten der Arbeit im Land Bremen 2023.

Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): Entwicklungen in der Zeitarbeit, Blickpunkt Arbeitsmarkt, Juli 2023.

Grabka, M.: Niedriglohnsektor in Deutschland schrumpft seit 2017. In: DIW Wochenbericht 5/2024.

IAB (Hrsg.): Befristete Beschäftigung in Deutschland 2022.

Walwei, U./Muschik, M. L. (2023): Wandel der Erwerbsformen – Alte und neue Trends, IAB Forschungsbericht 01/2023, Nürnberg.

WSI Monitor: Arbeitsmarkt im Wandel, Befristete Einstellungen 2019–2022.

Fußnoten

1 Die Analyse prekärer Beschäftigungsverhältnisse ist schwierig. Zum einen ist die Datenlage für regionale Analysen unzureichend. Zum anderen leben nicht alle befristet Beschäftigten, Leiharbeiter/-innen oder Minijobber/-innen automatisch prekär. Es kommt immer auch auf die Haushaltssituation und auf die gesamte Erwerbsbiografie an. So werden Minijobs auch oft von Studierenden übernommen. 2 Dazu ausführlich das Interview mit Josephine Klose, siehe Startseite 3 Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand 4/2023 ohne Auszubildende 4 Für die Vollzeitbeschäftigten ist die Niedriglohnschwelle als zwei Drittel des monatlichen Einkommens definiert, absolut sind das 2.431 Euro in Deutschland. 5 Hinzu kommen vermehrt die sich in einer rechtlichen Grauzone zwischen abhängiger und selbstständiger Beschäftigung bewegenden Jobs der Plattformökonomie (siehe dazu den Beitrag von Daniel Kühn auf Seite 50). 6 Befristung wird als Belastung erlebt – vor allem in bestimmten Lebensphasen. Wie die Beschäftigtenbefragung der Arbeitnehmerkammer zeigt, waren im letzten Jahr 32,4 Prozent der Frauen und 20,5 Prozent der Männer dadurch in „sehr hohem“ oder „hohem“ Maße belastet. In der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen waren es sogar 45,3 Prozent. 7 Tätigkeiten für Spezialisten und Spezialistinnen gelten als komplex und setzen eine höhere berufliche oder eine akademische Qualifikation voraus. Als Beispiele gelten der Datenbankadministrator oder die AußenhandelsBetriebswirtin. Experten, zum Beispiel Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, üben Tätigkeiten aus, die als hoch komplex gelten und mindestens ein vierjähriges Studium erfordern. 8 Die Abbildung „Helfertätigkeiten mit atypischem Vertrag“ berücksichtigt Minijobs von Beschäftigten zwischen 25 und 54 Jahren, die ausschließlich im Minijob arbeiten. Um Überschneidungen mit Leiharbeitsverhältnissen zu vermeiden, werden Erwerbstätige in Vollzeit, die ihr Einkommen durch Bürgergeld ergänzen, nicht berücksichtigt. Ihre Zahl lag 2023 bei etwa 1.400. Ebenso wenig berücksichtigt werden Befristungen im Helfersegment. Sie sind sowohl in der Arbeitnehmerüberlassung als auch in der Logistik verbreitet. Die Abbildung weist also ein Minimum an prekären Beschäftigungsverhältnissen aus.