Die Tarifbindung im Land Bremen steigt wieder
Text: Dr. Marion Salot
Tarifverträge übernehmen eine wichtige Schutzfunktion für Beschäftigte und sind ein wirksames Instrument, um gegen prekäre Beschäftigung vorzugehen und für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Über Tarifverträge wurden in der Vergangenheit nach und nach kürzere Arbeits-zeiten und Entgeltsteigerungen durchgesetzt. Auch Sonderzahlungen und Urlaubsansprüche werden in einem Tarifvertrag festgeschrieben. Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung zufolge verdienen Beschäftigte im Land Bremen in tarifgebundenen Betrieben elf Prozent mehr und arbeiten gut eine Stunde weniger als Arbeit-nehmer/-innen, die nicht unter einen Tarifvertrag fallen. Die Vorteile für die Beschäftigten sind also messbar und offensichtlich.
Allerdings ist die Tarifbindung in Deutschland in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Während im Jahr 2000 noch 86 Prozent der Beschäftigten in Betrieben arbeiteten, die einen Tarifvertrag anwenden, sind es inzwischen nur noch 51 Prozent. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen spielt der Strukturwandel eine große Rolle. Während große Industriebetriebe oft tarif-gebunden sind, wenden kleinere, neu gegründete Dienstleistungsunternehmen selten Tarifverträge an. Außerdem haben viele Arbeitgeberverbände Unternehmen zunehmend die Möglichkeit eingeräumt, auch ohne Tarifbindung Mitglied zu bleiben oder zu werden. Dies hat die Sozialpartnerschaft deutlich geschwächt. Erschwerend kommt hinzu, dass auch einige Gewerkschaften Mitglieder verloren haben und der Organisations-grad gesunken ist.
Auch im Land Bremen ging die Bedeutung von Tarifverträgen jahrelang kontinuierlich zurück. Seit 2020 lässt sich aber eine Trendumkehr beobachten: Im Gegensatz zu der Entwicklung auf Bundesebene steigt die Tarifbindung wieder. Der aktuellen Auswertung des IAB-Betriebspanels zufolge liegt sie derzeit bei 64 Prozent. Im Bundesländervergleich steht Bremen damit auf Platz 1. Das ist eine gute Nachricht. Eine weitere gute Nachricht ist, dass die Bremer Politik im vergangenen Jahr einen wichtigen Schritt unternommen hat, um Tarifverträge weiter zu stärken: Der Geltungsbereich des Tariftreue- und Vergabegesetzes wurde deutlich ausgeweitet. Während bisher nur die Vergabe öffentlicher Aufträge im Baubereich und im ÖPNV an das Zahlen eines Tariflohns geknüpft war, gilt dies nun auch für Dienstleistungsaufträge, die ein Volumen von über 3.000 Euro haben. Die Erweiterung des Tariftreue- und Vergabegesetzes war eines der wichtigsten Vorhaben der letzten Legislaturperiode. Nun muss das Gesetz aber zügig um-gesetzt und die Sonderkommission Mindestlohn als Kontrollinstanz schnell aufgestockt werden.
Mit Tarifverträgen können Beschäftige die Transformation mitgestalten
Dass wir aber weiter an einer Erhöhung der Tarifbindung arbeiten müssen, zeigt ein Blick auf die Betriebe. Denn obwohl Bremen im Bundesländervergleich bei der Tarifbindung nach Beschäftigten sehr gut dasteht, gibt es hier Luft nach oben. Nur 23 Prozent der Unternehmen im Land Bremen wenden einen Tarifvertrag an. Mit diesem Wert liegt Bremen sogar unter dem Bundesdurchschnitt von 25 Prozent. Dabei ist die bremische Wirtschaftsstruktur stark von großen Industriebetrieben geprägt und der gewerkschaftliche Organisationsgrad mit 20 Prozent immer noch einer der höchsten in Deutschland. Das Bundesland ist also quasi prädestiniert für eine hohe Tarifbindung und es gibt noch ungenutzte Potenziale, die gehoben werden sollten – gerade mit Blick auf die sozial-ökologische Transformation, die viele bremische Unternehmen und ihre Beschäftigten vor große Herausforderungen stellen wird. Tarifverträge können dafür sorgen, dass dieser Prozess gut und mitbestimmt gestaltet und die Akzeptanz für die anstehenden Veränderungen deutlich erhöht wird.
Der Handlungsdruck zu einer weiteren Erhöhung der Tarifbindung ist aber noch aus einem anderen Grund hoch. Im Oktober 2022 wurde die EU-Mindestlohnrichtlinie verabschiedet. Hier-mit wird das Ziel verfolgt, kollektive Regelungen und Institutionen des Arbeitsmarktes zu stärken – zum einen, indem nationale Mindestlöhne auf ein „angemessenes“ Niveau angehoben werden. Und zum anderen, indem die Nationalstaaten aufgefordert werden, einen konkreten Aktions-plan zur Förderung von Tarifverhandlungen zu entwickeln, sofern weniger als 80 Prozent der Beschäftigten unter einen Tarifvertrag fallen. Dieser Aktionsplan soll einen klaren Zeitplan und konkrete Maßnahmen zur schrittweisen Erhöhung der tarifvertraglichen Abdeckung enthalten. Weil Deutschland mit einer Tarifbindung von 51 Prozent deutlich unter den angestrebten 80 Prozent liegt, ist das Land aufgefordert, aktiv zu werden – und zwar bald. Denn die EU hat auch eine Deadline gesetzt: Bis zum 15. November 2024 muss die Richtlinie umgesetzt werden. Bis dahin sollte der Aktionsplan also vorliegen.
Bremen muss noch mehr für die Tarifbindung tun
Bremen hat mit dem Tariftreue- und Vergabe-gesetz bereits wichtige Pflöcke eingeschlagen, um auf Landesebene Tarifverträge zu stärken. Das Bundesland könnte aber weitergehen und sich als Modellregion positionieren, um die Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie auf Bundesebene durch begleitende Aktivitäten zu flankieren. Entsprechende Hebel auf Landes-ebene gibt es genug. In der Wirtschaftsförderung könnten tarifgebundene Betriebe beispielsweise von höheren Fördersätzen profitieren und auch bei der Vergabe von Gewerbeflächen könnten Betriebe mit Tarifvertrag bevorzugt den Zuschlag erhalten.
Literatur
IAB Betriebspanel Bremen. Herausgeber: Die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration der Freien Hansestadt Bremen
Verfasser: Marek Frei, Silke Kriwoluzky, Simone Prick, Monika Putzing (Institut SÖSTRA)
Datenerhebung: Kantar Public Deutschland GmbH Redaktionsschluss: Oktober 2023