
„Jetzt zahlen alle dafür, dass ganz wenige gewinnen“
Strom ist in Deutschland teurer als anderswo in Europa. Wie wir das ändern und zugleich die erneuerbaren Energien ausbauen.
Der Strom in Deutschland ist deutlich teurer als im EU-Durchschnitt. Aber warum?
Sebastian Möller: Der Strompreis hängt von ganz vielen Faktoren ab. Die staatlichen Abgaben – also: Steuern und Netzentgelte – sind in Deutschland höher als in anderen EU-Ländern. Durch die Energiewende fallen zusätzlich hohe Kosten an: Früher wurde der Strom in großen Mengen da produziert, wo er auch verbraucht wurde. Bei den erneuerbaren Energien ist das anders: Der Strom aus Windrädern muss von der Küste durchs ganze Land transportiert werden. Der Ausbau dieser Netze ist sehr teuer, die fossilen Rohstoffe werden aber auch teurer. Nach der russischen Invasion in der Ukraine gab es einen Energiepreisschock. Jetzt sind die Preise zwar wieder etwas gesunken, aber sie sind hierzulande immer noch höher als in anderen EU-Staaten. Hinzu kommt: Strom ist ein sehr lukratives Geschäft: Die Nachfrage ist stabil bis steigend und es gibt kaum Wettbewerb. Diese hohen Renditen zahlen die Verbraucher*innen und Betriebe.
Erneuerbare Energien machen den Strom also teuer?
Nein, die Art und Weise, wie wir die Energiewende finanzieren! In Deutschland werden die Investitionskosten für den Netzausbau auf den Strompreis umgelegt. Das treibt den Strompreis nach oben und ist sozial ungerecht, weil so Verbraucher*innen in Regionen mit viel erneuerbaren Energien stärker belastet werden. Langfristig ist der Strom aus erneuerbaren Energien aber billiger – wir müssen kein Gas beschaffen und keine Kohle mehr aus der Erde holen, wenn wir den Wind und die Sonne nutzen. Aber bis die neue Stromproduktion aufgebaut ist, müssen wir diese Umstellung bezahlen.
KammerFokus: Soziale Strompreise in der Energiewende. Thesen für eine arbeitnehmendenorientierte Strompreispolitik der Arbeitnehmerkammer Bremen und der Arbeitskammer des Saarlandes (Juli 2025)
Welche Folgen haben die hohen Strompreise in Zeiten der Digitalisierung, zumal ja auch Autos und Heizungen mit Strom betrieben werden sollen?
Die Energiearmut steigt: Wenn Menschen mehr als zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Energie ausgeben müssen, gelten sie als energiearm. Sie werden überfordert mit den Stromkosten und können sich vieles nicht mehr leisten. Die gesellschaftliche Nachfrage nach anderen Gütern sinkt also und die Leute sind auch weniger bereit, E-Autos oder Wärmepumpen zu kaufen. Hinzu kommt: Je mehr die Unternehmen für ihren Strom zahlen, desto weniger können sie investieren. Das gefährdet dann am Ende auch Arbeitsplätze.
Ist ein hoher Strompreis nicht der beste Anreiz für alle, um Strom zu sparen?
Energieeffizienz ist natürlich ein großes Thema – wir brauchen Industrieanlagen und Geräte im Haushalt, die möglichst wenig Strom verbrauchen. Weil ein gewisser Stromverbrauch aber notwendig ist, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ist es entscheidend, dass der Strompreis nicht zu hoch und vor allem auch einigermaßen stabil ist. Dafür brauchen wir bessere Netze und ganz viele Speichermöglichkeiten für den Strom, der gerade nicht gebraucht wird.
„Die hohen Renditen zahlen die Verbraucher*innen und Betriebe“
Sebastian Möller, Referent für Wirtschaftspolitik

Was muss passieren, damit der Strom für Verbraucher*innen billiger wird?
Naheliegend ist natürlich die Senkung der Stromsteuer, auch für die Privathaushalte. Dafür will die Bundesregierung gerade kein Geld ausgeben, obwohl der Koalitionsvertrag das vorsieht. Das ist aber ehrlich gesagt auch nur eine relativ kleine Stellschraube. Die größere Stellschraube wären die Netzentgelte: Wenn wir den Ausbau der Stromnetze nicht mehr aus den laufenden Einnahmen finanzieren müssten, könnte der Strompreis spürbar sinken.
Das Stahlwerk in Bremen ist sehr energieintensiv. Hätte ein niedrigerer Strompreis das vorerst abgesagte Projekt „Grüner Stahl“ gerettet?
ArcelorMittal hat seine Entscheidung zumindest mit dem hohen Strompreis begründet. Aber zugleich treiben andere Unternehmen hierzulande die Umstellung ja weiter voran! Es gibt sicher viele Aspekte, die bei der Entscheidung über das Bremer Stahlwerk eine Rolle gespielt haben. Ich denke schon, dass ArcelorMittal auch anders hätte entscheiden können.
Die Arbeitskammern plädieren für starke staatliche Eingriffe in den Strommarkt. Wo hat der Wettbewerb versagt?
Lennart Härtlein: Der Markt funktioniert so, dass die teuerste Art der Stromerzeugung den Strompreis vorgibt. Wenn die Gaspreise steigen, steigt also auch der Strompreis, obwohl erneuerbare Energien viel günstiger sind. Das ist politisch gewolltes Marktversagen. Hinzu kommt, dass es bei Energienetzen überhaupt keinen Wettbewerb gibt: Niemand kann zwischen verschiedenen Stromnetzen wählen. Das sind natürliche Monopole. Das bedeutet, dass die Netzbetreiber auf Kosten der Verbraucher*innen märchenhafte Renditen erzielen. Deswegen sollten die Stromnetze in öffentlicher Hand sein. Ohne diese Infrastruktur ist gesellschaftliches Leben und wirtschaftliche Aktivität gar nicht möglich – so etwas darf nicht dem Markt überlassen werden. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht, dass eine „strategische staatliche Beteiligung“ des Staates im Energiesektor „geprüft“ werden soll. Das ist zumindest ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung.
„Die teuerste Art der Stromerzeugung gibt den Strompreis vor“
Lennart Härtlein, Referent für Wirtschaftspolitik

Wäre der Netzausbau billiger, wenn der Staat das übernimmt?
Ja. Bis 2045 fallen Kosten von ungefähr 650 Milliarden Euro für den Netzausbau in Deutschland an. Eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat gezeigt, dass mit öffentlicher Finanzierung jährlich bis zu 14 Milliarden Euro an privaten Renditen gespart werden könnten, die ansonsten die Verbraucher*innen zahlen müssten.
Hat der Staat das Geld für den Netzausbau?
Natürlich können solche Kosten nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werden, sie sollen aber auch nicht weiter über die Netzentgelte bezahlt werden – sondern über Kredite. Nach Ansicht der Arbeitskammern sollten gesellschaftlich sinnvolle Investitionen ja von der Schuldenbremse ausgenommen sein. Diese Kredite würden dann langfristig aus Steuermitteln bedient. Das wäre auch sozial gerechter. Die Netzentgelte wären dann nur noch so hoch, wie es für den Betrieb der Netze notwendig wäre. Der Strompreis würde dadurch deutlich sinken. Es gibt schon konkrete Vorschläge für öffentliche Gesellschaften, die sich dann um die Stromnetze kümmern würden. Das ist gesamtgesellschaftlich günstiger – weil keine privaten Renditeerwartungen mehr erfüllt werden müssen. Jetzt zahlen alle dafür, dass ganz wenige gewinnen.
Die Arbeitskammern fordern außerdem einen Strompreisdeckel. Warum?
Wir plädieren dafür, dass der Strompreis für einen angemessenen Grundverbrauch in jedem Haushalt gedeckelt ist. Was angemessen und dringend notwendig ist, müsste dann von einer unabhängigen Kommission regelmäßig festgelegt werden. Für diese Menge gäbe es dann eine feste Preisobergrenze, die von den Unternehmen nicht überschritten werden dürfte. Dann müsste niemand mehr in Energiearmut rutschen. Weil der gedeckelte Preis nur den Grundbedarf abdeckt, bestünde weiterhin der Anreiz, sich sparsam zu verhalten, also etwa nicht die ganze Zeit überall das Licht brennen zu lassen. Um gleichzeitig zu gewährleisten, dass Stromanbieter nicht insolvent werden, weil sich das Geschäft für sie nicht rechnet, müsste der Staat ihnen aus Steuermitteln helfen – wenn sie nachweisen können, dass sie ihre Kosten mit dem gedeckelten Preis nicht decken können. Da kommt dann auch die Übergewinnsteuer ins Spiel.
Was ist die Übergewinnsteuer?
Sie soll verhindern, dass die Stromanbieter in der Folge auf Steuerkosten unangemessen hohe Renditen erzielen. So eine Übergewinnsteuer gab es in Deutschland im Energiesektor 2022 und 2023 schon mal. Dafür musss man definieren, was ein angemessener Gewinn ist – alle Gewinne, die darüberliegen, werden dann besteuert. Das verhindert, dass die Energiekonzerne wie in den letzten Jahren riesige Renditen einfahren und die Verbraucher*innen dafür bezahlen. Diese Steuer wäre eine Art Leitplanke, die Planbarkeit schafft und für sozialverträgliche, aber ökonomisch sinnvolle Strompreise sorgt. Wenn alles gut läuft, brauchen wir diese sozialpolitischen Instrumente gar nicht. Es geht darum, jetzt den Ausbau der erneuerbaren Energien mit Nachdruck voranzutreiben – ohne dass deswegen der Strompreis durch die Decke geht. Denn spätestens 2045 muss Deutschland ja klimaneutral sein.
Fragen: Jan Zier
Foto: iStock