"Das Thema Kinderbetreuung muss ganz oben auf der politischen Agenda stehen. "

Interview mit Marion Salot zur Situation der Kinderbetreuung in Bremen

Am 20. September ist der Weltkindertag. Er macht auf die Umsetzung der Kinderrechte aufmerksam. Seit 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Marion Salot erklärt im Interview, wie die aktuelle Situation der Kinderbetreuung in Bremen ist, was politisch passieren muss und was kurzfristige Lösungen sein können.

Bremen hinkt bei der Kinderbetreuung im Bundesländervergleich hinterher. Wie viele Betreuungsplätze fehlen aktuell?

Marion Salot: Zunächst mal: Seit 2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz – seitdem sind fast 7.000 Betreuungsplätze in Bremen hinzugekommen. Das heißt, es ist schon eine Menge passiert. Aber: Das reicht leider nicht. Will man dem Anspruch gerecht werden, dass 60 Prozent der Kinder unter drei Jahre sowie jedes Kind über drei Jahre betreut werden, dann fehlen immer noch mehr als 5.000 Plätze. Und nicht nur das: Im Bundesvergleich hat Bremen auch kürzere und wenig flexible Öffnungszeiten.

Was bedeutet das für die Eltern?

Vor allem für Eltern mit Kindern unter drei Jahren ist die Situation schwierig. Derzeit gibt es nur für jedes dritte Kind in dieser Altersgruppe einen Kita-Platz. Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, ist für die Eltern, die leer ausgehen, ein großes Problem, besonders dann, wenn beide arbeiten wollen oder müssen. In Bremen sind im Bundesvergleich am wenigsten Frauen berufstätig. Das hat sicher auch mit den fehlenden Betreuungsmöglichkeiten zu tun.

Das heißt, es sind dann doch wieder die Frauen, die die Betreuung übernehmen?

Ja, genau. Auch heute sind es meistens die Mütter, die beruflich zurückstecken. Das heißt, für die Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt ist das ein Rückschritt – genauso für die einzelne Frau, die diesen Rückschritt im Laufe ihres Berufslebens oft nicht mehr aufholen kann. Ein weiterer Aspekt ist aber: Egal, welcher Elternteil wegen fehlender Kinderbetreuung kürzertritt: Am Ende hat die Familie weniger Geld im Portemonnaie, weil einer von beiden weniger oder gar nicht mehr arbeiten kann. Und das ist wiederum auch ein Problem für Unternehmen, die auf der Suche nach Fachkräften sind. 

"Bremen muss noch mehr in die Ausbildung investieren, damit möglichst viele junge Leute in den Erzieherinnenberuf einsteigen."


Dr. Marion Salot ist Referentin der Geschäftsführung der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Und die Fachkräfte fehlen ja auch gerade in den Kitas: Es mangelt an Erzieherinnen und Erziehern. Was muss die Politik hier tun?

Ja, bis zum nächsten Jahr fehlen in Bremen rund 1.400 Erzieherinnen und Erzieher. Die Idee, dass diese Berufsgruppe bei der Vergabe von Kita-Plätzen bevorzugt wird, ist schon mal sehr gut! Denn eine Erzieherin kann im Ü3-Bereich beispielsweise rund 20 Kinder betreuen und damit auch 20 Elternpaaren dabei helfen, berufstätig zu sein. Darüber hinaus muss Bremen noch mehr in die Ausbildung investieren, damit möglichst viele junge Leute in den Erzieherinnenberuf einsteigen. Der ist aber auch hoch anspruchsvoll, denn in den Kitas sollen die Kinder ja nicht nur untergebracht, sondern auch gefördert werden. Kitas haben zuallererst auch einen Bildungsauftrag. Die Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher dauert deshalb richtigerweise lange. Das heißt, von jetzt auf gleich lässt sich die Situation allein mit mehr Ausbildung nicht lösen.

Welche kurzfristigen Möglichkeiten gibt es?

Die Möglichkeiten sind begrenzt. Denn auch wenn der Wunsch und der Wille da sind, die Kita-Plätze auszubauen, darf eines nicht aus dem Blick geraten: Erzieherinnen und Erzieher sind schon jetzt sehr belastet. Wenn zum Beispiel die Gruppen in den Kitas schlicht vergrößert werden, steigt auch die Belastung weiter an. Niemandem wäre damit geholfen, wenn dadurch noch mehr Personal krank ausfällt, Erzieherinnen die Arbeitszeit reduzieren oder gleich ganz den Beruf verlassen. Es muss eher darum gehen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, anstatt sie weiter zu verschärfen. Eine Chance könnte sein, die Aufgaben in den Kitas zwischen Erzieherinnen, Sozialpädagogischen Assistenzen und Kinderpflegern anders zu verteilen.

Was heißt das konkret?

Kitas könnten den Personalmix – beispielsweise in den Randzeiten – ändern. Sozialpädagogische Assistenzen und Kinderpflegerinnen haben ja bereits Kompetenzen erworben, sind aber noch keine fertig ausgebildeten Erzieherinnen. Sie könnten also außerhalb einer Kernbetreuungszeit von sechs Stunden einspringen und für Entlastung sorgen. Dies darf aber erstens nur zeitlich befristet erfolgen und zweitens muss gewährleistet sein, dass sie sich parallel zur Fachkraft weiterqualifizieren. Denn wichtig ist: Diese schnellen Lösungen dürfen auf Dauer nicht zu einer Abwertung des Erzieherinnenberufs führen und auch nicht zum Qualitätsverlust bei der Betreuung. Hier ist bei der Umsetzung also Fingerspitzengefühl gefragt, nicht die Brechstange.

Das Geld in Bremen ist knapp – reicht es für ein gutes Kita-Angebot?

Das Thema Kinderbetreuung muss ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Denn nur mit einer guten Kinderbetreuung können mehr Frauen erwerbstätig sein und damit gleiche Chancen am Arbeitsmarkt haben. Und auch die Bremer Wirtschaft ist dringend auf Fachkräfte angewiesen. Und ganz besonders wichtig: In der Kita können Kinder frühzeitig miteinander und voneinander lernen und dann besser in die Schule starten. Jeder Euro, der hier investiert wird, zahlt sich doppelt und dreifach aus.

 

20. September 2024

Fragen: Nathalie Sander